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Auf Initiative von #ichbinhier Presserat rügt „Bild“

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(Quelle: Screenshot Facebook)

 

 

Ein junges Mädchen liegt blutend in seinem Kinderzimmer auf dem Bett. Die 17-Jährige wurde von ihrem Bruder (20) und ihrem Ehemann (37) brutal gefoltert und fast ermordet – dabei filmen die beiden Männer die schreckliche Tat. Es soll sich um einen versuchten „Ehrenmord“ gehandelt haben. Denn das junge Mädchen, das mit 15 Jahren an den älteren Mann nach islamischem Recht verheiratet wurde, wollte sich von eben diesem trennen. Mit dem 37-Jährigen hat sie bereits ein Kind und ist zum Zeitpunkt der Tat schwanger.

Über diese abscheuliche Tat berichtete auch die Bild, sowohl in der Print-Ausgabe, als auch online, da allerdings hinter einer Pay-Wall.

 

Für einige Stunden prangt dieser Bild Plus-Artikel ganz oben auf der Seite

„Mit BILDplus lesen Sie das grausame Protokoll einer Familie ohne Gnade, verhaftet in einem vorsintflutlichen Weltbild. Außerdem dazu, das Video der schrecklichen Tat — von der Familie gefilmt.“

Das Video des Verbrechens? In der Tat!

Die Familie filmt die 17-Jährige, wie sie im Sterben liegt und ihre Brüder um Hilfe anfleht einen Krankenwagen zu rufen, so schildert es „BildBlog“. Einer der Brüder sagt in die Kamera, er genieße den Anblick seiner sterbenden Schwester. All das konnten Bild Plus-Abonnenten für 99 Cent in dem Video im Artikel sehen.  

Die junge Mutter war zum Zeitpunkt der Tat erst 17 Jahre alt und hätte alleine daher schon unter besonderem Schutz stehen müssen. Die zuständigen Bild-Redakteure sahen das wohl anders.

Und die ersten Kommentare sogenannter „besorgter Deutscher“ die eine “Islamisierung” Deutschlands wähnen, ließen nicht lange auf sich warten:

„Die ganze Brut in einen Schweinestall sperren das tut denen gut“

„Das hat aber natürlich nichts mit dem Islam zu tun oder etwa doch?“

 

Die Redaktion demütigt das Opfer ein zweites Mal 

Doch offenbar moderierte die Social-Media-Redaktion der Bild die Facebook-Diskussion. Vergewaltigungswünsche, Aufrufe zur Lynchjustiz und volksverhetzende Beiträge wurden tatsächlich gelöscht, berichtete „Der Volksverpetzer“. In einem Beitrag der Bild-Redaktion hieß es in der Diskussion:

„ […] Und daher kümmern wir uns darum und moderieren parallel alles – und auch nur das – was gegen geltendes Recht, unsere Netiquette, den guten Geschmack verstößt oder das Opfer sowie Bevölkerungsgruppen in jeglicher Form demütigt.“

 

#ichbinhier mischt sich in die Debatte ein

Doch auch viele Online-Aktivist_innen von #ichbinhier mischten sich in die Diskussion ein. Die Facebook-Gruppe #ichbinhier versucht Menschen zu verbinden, die sich am gegenwärtigen Umgangston in den sozialen Medien stören und gegen „Hate Speech“ vorgehen wollen. Das Prinzip ist einfach, aber effektiv. In der Gruppe werden Artikel oder Posts von Nachrichtenseiten geteilt, unter denen Hassbeiträge oder Beleidigungen stehen. Daraufhin kommentieren Mitglieder der Gruppe unter dem Hashtag #ichbinhier, um eine sachliche Diskussion ohne Hass und Beleidigungen in Gang zu bringen. Das Ziel ist, gegen Fake News und Hate Speech vorzugehen und eine respektvolle Ebene der Diskussion zu eröffnen. Den Hetzern soll so das Gefühl genommen werden, sie seien in der Mehrheit.

Mitglieder der Facebook-Gruppe kritisierten, dass Bild das Video der schrecklichen Tat für die billige Schlagzeile „Scharia-Gericht im Kinderzimmer“ veröffentlicht hat:

„Diese Tat ist abscheulich. Und es ist genauso abscheulich, mit einem Video darüber Geld machen zu wollen. Was sagt der Presserat dazu? Ich kann es nicht fassen, dass unsere Gesellschaft schon so verroht ist, dass kein Aufschrei durch die Menge geht. #ichbinhier und schockiert.“

Und tatsächlich, nur wenige Stunden nach Veröffentlichung des Artikels war das Video verschwunden. Allerdings nicht etwa wegen ethischer Bedenken der Redaktion, sondern weil die zuständige Staatsanwaltschaft es so wollte.

 

Rüge des Deutschen Presserats

Eine Gruppe von #ichbinhier-Moderator*innen und Mitgliedern hat sich jedoch beim deutschen Presserat beschwert – mit Erfolg:

Der Presserat spricht der Bild wegen seines Verhaltens in diesem Fall eine öffentliche Rüge aus:

„Die Berichterstattung insgesamt verstößt […] gegen die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde des Opfers. In den gezeigten Bildausschnitten aus dem Video sieht der Beschwerdeausschuss eine übertrieben sensationelle Berichterstattung nach Ziffer 11 des Pressekodex und einen Verstoß gegen die Menschenwürde.“ 

Rein rechtlich hat eine Rüge zwar keinerlei Konsequenzen, da der Presserat nicht als Gesetzgeber, sondern eher als moralische Institution fungiert. Allerdings haben die großen Verlagshäuser den Pressekodex anerkannt. Und dieser definiert, wie mit einer durch den Presserat ausgesprochene Rüge zu verfahren ist, nämlich mit einer Veröffentlichung der Rüge.

 

Gerade da sich unsere Debatte nach rechts verschiebt, müssen Medien Maßstäbe einhalten

Die brutale Tat an der 17-jährigen Schwangeren ist selbstredend durch nichts zu entschuldigen. Über solche Taten muss berichtet werden. Das darf allerdings nicht dazu führen, dass solche Verbrechen begangen von Geflüchteten oder Muslimen instrumentalisiert werden, um Menschen pauschal zu verurteilen. Journalist*innen müssen die Wahrheit beschreiben. Bei Gewalttaten ist es jedoch manchmal angebracht, Teile davon nicht zu explizit zu verbreiten. Manche Informationen über ein Verbrechen sind für die Angehörigen und Betroffenen verletzend und demütigend.Daher müssen besonders Medien in der aufgeheizten öffentlichen Debatte bestimmte Maßstäbe einhalten. In unserem aktuellen Diskurs brauchen wir keine weiteren Medien, die sich an der Entmenschlichung von Betroffenen beteiligen. Rechte Propaganda-Schleudern gibt es bei weitem schon genug.

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