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Die Unsichtbaren – Ein weitgehend unbekanntes Stück Widerstandsgeschichte

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Die Befreiung Berlins 1945: Zwei “Unsichtbare” umarmen einen jüdischen russischen Soldaten. (Quelle: © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig))

 

 

Cioma Schönhaus, Hanni Weissenberg, Eugen Friede, Ruth Arndt – vier junge Berliner_innen, die eigentlich nicht viel gemein haben. Außer, dass sie jüdisch sind. Und unsichtbar.

Regisseur Claus Räfle erzählt in “Die Unsichtbaren – Wir wollen leben” die Geschichten dieser vier Menschen, denen es gelang, unterzutauchen und so der Gestapo und den Konzentrationslagern zu entgehen. Das Drehbuch basiert auf Erzählungen der Zeitzeug_innen, die im Film auch selbst zu Wort kommen. Dies und die Einspielungen historischer Aufnahmen machen den Film zu einem Hybriden aus Spielfilm, Dokumentation und Archivaufnahmen und verleihen ihm somit eine besondere Authentizität. Die häufigen Interview-Sequenzen der Zeitzeug_innen nehmen dem Film zwar die im Trailer stark inszenierte Dramatik, nicht jedoch seine Spannung und Emotionalität, die dadurch ungleich realer werden.

 

Ruth Arndt bei Frau Gehre (Steffi Kühnert), die der Familie Arndt half, unterzutauchen. © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Die Idee für “Die Unsichtbaren” entstand bereits vor zehn Jahren, als Räfle an einer Fernsehdokumentation über ein im Nationalsozialismus für Spionage genutztes Bordell arbeitete. Dass dort auch eine Berliner Jüdin mit falscher Identität versteckt wurde, machte den Regisseur neugierig. Gemeinsam mit der Co-Autorin Alejandra López fand er heraus, dass es noch eine Vielzahl anderer jüdischer Berliner_innen gegeben hatte, die 1943 untertauchten. Mithilfe der Forschungsgruppe “Gedenkstätte Stille Helden” in Berlin konnten sie einige der Überlebenden ausfindig machen. Die ersten Gespräche mit Zeitzeug_innen führten Räfle und López bereits im Jahr 2009. Schließlich suchten sie vier Schicksale aus, auf die sie sich konzentrieren wollten: Cioma Schönhaus, Hanni Weissenberg, Eugen Friede und Ruth Arndt.

 

Die vier Schicksale

 

Cioma Schönhaus, 1922 geboren, muss gleich zu Anfang des Films die Deportation seiner Eltern miterleben. Er selbst bleibt als Zwangsarbeiter zunächst verschont. Nachdem er seinen eigenen Pass gefälscht hat, beginnt er, dies auch für andere zu tun. Somit verschafft er Hunderten Berliner Juden und Jüdinnen eine neue Identität. Durch seine eigene Unbedachtheit bringt er sich jedoch in Gefahr und muss seine Tätigkeit als Passfälscher aufgeben. Mit einem eigens angefertigten falschen Wehrpass und einem klapprigen Fahrrad schafft er es tatsächlich, aus Berlin und bis über die Schweizer Grenze zu fliehen. 

 

© TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Hanni Lévy, 1924 als Hanni Weissenberg geboren, tritt als Waisenkind im Film auf. Nachdem sie knapp ihrer Verhaftung entgeht, taucht sie zunächst bei Bekannten unter, die dann jedoch selbst deportiert werden. Sie färbt sich die Haare blond, um “unsichtbar” zu werden. Schließlich wird sie von einer Kinokartenverkäuferin aufgenommen, die sie wie eine Tochter behandelt, nachdem ihr Mann stirbt und ihr Sohn als Soldat eingezogen wird.

 

 

© TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Eugen Friede, 1926 geboren, ist als Einziger in seiner Familie von der Verfolgung betroffen. Seine jüdische Mutter wird durch die sogenannte Mischehe mit einem christlichen Mann, Eugens Stiefvater, geschützt. Dieser hilft Eugen, unterzutauchen. Er muss jedoch mehrfach sein Versteck wechseln, da er immer wieder aufzufliegen droht. Schließlich kommt er in Luckenwalde unter, wo er sich der Widerstandsgruppe um den aus Theresienstadt geflohenen jüdischen Widerständler Werner Scharff anschließt. Kurz vor Ende des Krieges wird Eugen verhaftet und kommt in das letzte jüdische Sammellager in Berlin. Er entgeht nur  knapp der Deportation.

 

© TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Ruth Gumpel, 1922 als Ruth Arndt geboren, und ihre Familie kommen getrennt bei verschiedenen Bekannten unter. Als Ruth ihr Versteck verlassen muss, verschafft ihr eine nicht-jüdische Freundin der Familie eine Anstellung im Hause eines Wehrmachtsoffiziers. Als Kriegswitwe getarnt ist sie dort zunächst Haus- und Kindermädchen, bis die Frau des Offiziers mit ihren Kindern evakuiert wird. Danach arbeitet sie weiter für den Wehrmachtsoffizier und bedient ihn und andere NS-Offiziere, wenn diese für den Verzehr geschmuggelter Delikatessen und Alkohols zusammenkommen. So kann Ruth etwas Geld verdienen und bekommt Lebensmittel, die sie an ihre Familie weitergibt.

 

© TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Versteck und Widerstand

 

Neben den Geschichten der jüdischen Verfolgten, wollte Regisseur auch zeigen, dass es trotz allem Menschen – sowohl Juden und Jüdinnen als auch “Arier_innen” – gab, die sich dem System widersetzten. Christliche Deutsche, die ihre untergetauchten Angehörigen oder Bekannten versteckten oder ihnen Arbeit verschafften; jüdische und nicht-jüdische Menschen, die Pässe fälschten, um Verfolgten eine neue Identität zu geben, oder Flugblätter druckten und verteilten, um die restliche Bevölkerung über die Verbrechen der Nationalsozialist_innen aufzuklären. “Insofern erzählt der Film ein Stück Widerstandsgeschichte. Das war für uns von Anfang an ganz wichtig, unabhängig davon, dass es ganz spannende, bewegende, emotionsreiche Geschichten sind”, so Claus Räfle.

 

Hanni Lévy (Alice Dwyer) blondiert sich die Haare, um als “Arierin” unerkannt zu bleiben. © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Eugen Friede (Aaron Altaras) wird von Hans Winkler nach Luckenwalde gebracht, wo dieser ihn versteckt. © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Ruth Arndt (Ruby O. Fee) und ihre Freundin, Ellen Lewinsky, tarnen sich als Kriegswitwen. © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Cioma Schönhaus (Max Mauff) wurde von Helene Jacobs gerettet und floh in die Schweiz. © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

Auch Cioma Schönhaus verdankt sein Leben einer Deutschen, Helene Jacobs, die ihn entgegen der Anordnungen der Nationalsozialist_innen bei sich versteckt, nachdem er seine Tätigkeit als Passfälscher aufgeben muss. Dies geht jedoch nicht lange gut und schließlich wird sie zu einem Treffen beordert, hinter dem beide eine Falle vermuten. Dennoch geht sie, um zu verhindern, dass die Gestapo zu ihnen nach Hause kommt und Cioma entdeckt. Helene Jacobs wird verhaftet, Cioma flieht aus ihrer Wohnung und kann sich in die Schweiz retten.

Nach dieser letzten Spielszene wird noch einmal der Zeitzeuge eingeblendet. Er sagt, jeder Mensch, der einen anderen Menschen rette, rette damit die ganze Welt. Helene Jacobs sei für ihn so ein Mensch. Schönhaus erzählt, dass seine Retterin später einmal gefragt wurde, warum sie das getan hat. Darauf soll sie geantwortet haben: “Um mein Vaterland zu retten.” “Und ich glaube, das ist ihr gelungen.”, sagt Cioma Schönhaus. Und damit endet der Film.

Dass der Film mit dieser Aussage abgeschlossen wird, verleiht ihr eine besondere Bedeutung. Doch so wichtig es durchaus ist, die Geschichte des deutschen Widerstands zu erzählen: Es lässt sich nicht verleugnen, dass die Mehrheit der Deutschen hinter dem nationalsozialistischen System standen oder sich zumindest nicht dagegen gestellt haben. Und schließlich waren es die alliierten Kräfte, die Deutschland vom Nationalsozialismus befreiten. Menschen, die sich den Machthabern widersetzten, Verfolgten halfen und Widerstand leisteten, sollten unbedingt für ihre Leistungen gewürdigt werden. Man darf jedoch nicht vergessen, dass sich nur ein kleiner Teil der deutschen Bevölkerung gegen das menschenverachtende System der Nationalsozialist_innen stellte. Dennoch ist “Die Unsichtbaren” ein gelungener und wichtiger Film, der vollkommen zurecht von der Deutschen Film- und Medienbewertung mit dem Prädikat besonders wertvoll ausgezeichnet wurde.

In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen in Deutschland, Europa und der ganzen Welt ist der Widerstand der Zivilgesellschaft gegen rechtsextremes, rassistisches und antisemitisches Gedankengut von ungemein großer Bedeutung. Die Erzählungen von Zeitzeug_innen sind unentbehrlich, damit die Vergangenheit nicht in Vergessenheit gerät. Das Ende des Zweiten Weltkriegs ist mittlerweile 72 Jahre her. Der jüngste der vier Zeitzeug_innen in “Die Unsichtbaren” ist heute 88. Bald wird es niemanden mehr geben, der den nachfolgenden Generationen davon erzählen kann. Daher sind Filme, die das Schicksal eben dieser Menschen dokumentieren, unabdingbar. Vor allem jetzt, da eine Partei im deutschen Bundestag sitzt, die die Zeit des Nationalsozialismus aus dem Lehrplan der Schulen streichen will.

 

 

Informationen zum Film:

 

Titel: Die Unsichtbaren – Wir wollen leben

Regie: Claus Räfle

Kinostart: 26. Oktober 2017

Mit Max Mauff, Alice Dwyer, Ruby O. Fee, Aaron Altaras

 

Bildquelle: © TOBIS FILM (Fotograf: Peter Hartwig)

 

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