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Eine Familiengeschichte über Fremdheit

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AfD-Anhänger am Rande einer Demonstration vor dem Brandenburger Tor (Quelle: KA)

 

Von Philippa Ebéné

 

Noch bis vor kurzem erntete ich oft fragende Blicke wenn ich meinen Geburtsort nannte. Inzwischen hat Ellwangen Schlagzeilen gemacht. Wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt. Während meiner ganzen Kindheit, die ich im Übrigen nicht in meiner Geburtsstadt verlebte, stand Ellwangen für aufregende Familiengeschichten über zivilen Ungehorsam. Heute ist es die Stadt, die posthum eine Straße nach meinem Onkel Rudolf, „Kaplan-Rudolf-Renz-Strasse“ benannte. Zusammen mit meinen Großeltern und anderen Gleichgesinnten, hatte er „in der schlimmen Zeit“ wie es bei uns immer hieß, in einem Kinderheim Kinder vor den Nationalsozialisten versteckt. Als Kind war ich sehr stolz auf meine Familie, die immer schon wusste, dass man als anständiger Mensch nicht den Arm in die Luft reißt und dabei dummes Zeug schreit. In vielen Familien meiner Freundinnen und Freunden war das anders. Das wusste ich. Manchmal taten sie mir deswegen ein bisschen leid, weil sie sich doch bestimmt immer fremdschämen müssten für ihre Großeltern, dachte ich, die ja wiederum bestimmt oft auch fremdelten mit der Jetztzeit – so ohne Hitler.

 

Meine Großmutter hingegen, die im gesegneten Alter von 102 in Freiburg starb, drehte in Wahljahren bei ihrem Abendspaziergang besonders ausgedehnte Runden. Immer schirmbewehrt. Einmal erklärte ich ihr neunmalklug, dass sie den nicht brauchen würde, es sähe nicht nach Regen aus. Sie reagierte ungewöhnlich unwirsch. Ich war ein bisschen beleidigt. Es dauerte eine Weile bis ich meine kleine, leicht gebeugte Oma, ihren großen Schirm und die zerfetzten Wahlplakate im Ort in einen Kausalzusammenhang brachte. Ich erinnere mich noch an meine Fassungslosigkeit als bei mir endlich der Groschen fiel. Meine Oma, so Gangsta! Ob sie bei ihren nächtlichen Aktionen keine Angst gehabt hätte vor rachsüchtigen Nazis? „Noi“ meinte sie ganz kühl „die kennet mer. Die ham mer g’habt. Die brauchet mer net.“ 

 

Rechte Sprüche in den Medien, der Politik, der Sportlandschaft dürften in deutschen Landen niemandem fremd sein. In Zeiten besonderer umwelt-, sozial-, und migrationspoltischer Herausforderungen imaginieren sich ewig Gestrige als neue Mitte, bieten peinlich simple Antworten auf komplexe Fragestellungen und erhalten dafür bedauerlich viel Platz in der etablierten Medienlandschaft. Fremdschämen reicht da nicht. 

 

Wenn auflagenstarke Wochenzeitungen in Schlagzeilen darüber nachdenken ob man Menschen die doch gar nicht von hier sind, nicht vielleicht besser doch im Mittelmeer ertrinken lassen solle, wenn ihnen diese Frage von frenetisch „Absaufen! Absaufen!“ grölenden Anti-Humanisten beantwortet wird,  wenn ein Bundesminister sich darüber freut, dass zu seinem 69. Geburtstag passgenau 69 Menschen in ein von Krieg zerstörtes Nicht-Land in eine Nicht-Zukunft abgeschoben werden, dann ist es Zeit für Deutschland zu sagen: das ist wieder mal nichts Neues, nichts Fremdes. Im Gegenteil, das kennen wir, das haben wir schon `mal gehabt, das brauchen wir nicht.  

 

Philippa Ebéné ist seit 2008 die Geschäftsführerin und künstlerische Leiterin der Berliner Werkstatt der Kulturen. Sie studierte Ethnologie und Volkskunde, arbeitete als Schauspielerin.

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