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Gemeinnützige Nazis

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Noch nicht einmal Adolf Hitler hielt es in Hildburghausen aus: Im Sommer 1930 wollte die thüringische Landesregierung den Österreicher zum Kommissar einer zehnköpfigen Dienststelle in Hildburghausen und somit zum ?Deutschen? machen. Hitler nahm das entsprechende Papier entgegen, überlegte eine Weile und zerriss es. In so einem Provinzörtchen Polizist spielen – das war nichts für den späteren Diktator.

78 Jahre später, am 1. Mai, in eben diesem Ort, knattert am Ufer eines Sees ein Traktor vorüber. Der Anhänger wankt, weil die 20 Jugendlichen auf der Ladefläche vor Freude taumeln. Einer unter ihnen, der NPD-Kreisvorsitzende Tommy Frenck, hat sich um Lippen und Kinn einen Bart wachsen lassen. Bevor der Trecker stoppt, brüllen seine Freunde den zehn bis zwölf jungen Leuten am Seeufer entgegen: ?Sieg Heil?.

Danach springen die Angetrunkenen vom Hänger, laufen los, zertrümmern mit ihren Fäusten, zerbrechen mit ihren Schuhen. Es dauert nicht lange. Nur die Punker-Mädchen werden verschont. Dann knattert der Nazi-Traktor weiter, noch eine Stadtrunde drehen.

Hildburghausen ist ein idyllischer Ort. Hinter mehr als sieben Bergen, inmitten eines ungeheuerlichen Naturparks fügt sich die Stadt mit ihren 12.000 Einwohner wie eine Perle in die Kette der märchenhaften Dörfer des Thüringer Waldes. Residenzhäuser, Burgen, Kirchen, Hotels, Campingplätze, Gasthöfe, Cafes, Fußballplätze, Wanderwege, uralte Fachwerkbauten, moderne Turnhallen ein Nationalpark. Auch das älteste durchgängig bespielte Theater Deutschlands steht hier. In Thüringens Arbeitslosenstatistik nimmt Hildburghausen nahe der Bayrischen Grenze regelmäßig einen der besten Plätze ein. Im gesamten Bundesland gibt es eine einzige Stadt, die heute mehr als 10.000 Einwohner zählt und der bis zum Jahr 2020 eine Erhöhung der Einwohnerzahl vorausgesagt wird. Es ist Hildburghausen.

Steffen Harzer zieht seine Augenbrauen wie ein zufriedener Bär nach oben. Bevor der Politiker der Linken vor zwölf Jahren von den Hildburghausenern zum Bürgermeister gewählt wurde, studierte er Ingenieurwesen, war Mitglied der SED und verdiente sich als Rettungsschwimmer. Den schlimmsten Moment seiner politischen Laufbahn erlebte er vor zwei Jahren: An einem kühlen Herbsttag stand Harzer auf der Bahnhofstraße. In dem Saal neben dem Gebäude des Deutschen Jugendbundes Hildburghausen (DJB) hatte der Kreisverband der NPD einen Parteitag angemeldet. Harzer wusste, dass dies – wie so oft ? ein Vorwand für eine Feier mit Nazi-Musik war. Diesmal konnte er auch die Polizei von der Rechtswidrigkeit überzeugen. Als die Polizisten den Saal stürmten, war die Party zu Ende. Der NPD-Kreisvorsitzende, Tommy Frenck, trat vor die Tür. Er winkelte seine Arme an, ging auf Harzer zu und schaute ihm direkt ins Gesicht: ?Bürgermeister?, sagte der heute 21-Jährige, ?wir wissen, wo du wohnst und wir kennen deine Familie?. Harzer trägt einen kleinen Bierbauch vor sich her. Er wirkt doppelt so groß wie der kleine, breite Frenck. Aber in diesem Moment durchfuhr ihn die Angst.

Eigentlich ist Tommy Frenck ein armer Junge. Seine Mutter musste ihn mit staatlicher Unterstützung großziehen, seinen Vater kennt er nicht. In Schleusingen, seinem Geburtsort, schlug er vor einigen Jahren einem Schwarzen eine Flasche über den Kopf und erklärte die Kleinstadt nahe Hildburghausen zur Frontstadt. Viele Bürger Schleusingens schüttelten den Kopf. Wäre er wie geplant in die Freiwillige Feuerwehr eingetreten, hätten alle anderen Mitglieder den Verein verlassen und einen neuen gegründet. Als ihn auch der Fußballklub nicht aufnehmen wollte, zog er aufs Dorf und schließlich nach Hildburghausen. Dort gründete seinen eigenen Fußballklub.

Seit vergangenem Sommer existiert die Sportgemeinschaft Germania Hildburghausen als eingetragener Verein. ?Zweck des Vereins ist die allgemeine Förderung des Breitensports?, er ?verfolgt ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke?, heißt in der Satzung. Auf dem Bolzplatz in der Nähe des Schwimmbades treffen sich NPD-Mitglieder, Kameradschaftsaktivisten und solche, die es werden sollen, regelmäßig zum Kicken. Frenck behauptet, es gebe genügend Vereine in der Region, die die SG Germania schon zum gemeinsamen Training oder Turnieren eingeladen hätten. Ende Mai will Germania selbst ein Turnier ausrichten und im kommenden Jahr in der Kreisklasse antreten.

Steffen Harzer bezweifelt, das. Gemeinsam mit dem Landessportbund sucht er nach rechtlichen Mitteln, damit die Rechten nicht in den offiziellen Ligen starten dürfen. Neben seinem Bürgermeisteramt bekleidet er auch den Vorsitz des größten Fußballklubs im Ort, dem FSV Hildburghausen. Tommy Frenck habe seit seiner Ankunft zwar Jugendliche um sich gescharrt, sagt Harzer, mit viel Intelligenz sei der Junge jedoch nicht gesegnet.

Frencks nächstes Ziel ist es, dass seine SG Germania auch die Gemeinnützigkeit vom Finanzamt anerkannt bekommt. Damit hätte er Aussichten auf Fördergelder. Wenn der Jugendliche über den Bürgermeister spricht, redet er von einem SED-Genossen, den man nichts glauben könne. Man traut ihm in diesem Moment ohne weiteres zu, dass er Harzer unerkannt verprügeln würde.

?Wer demokratisch leben will, muss mit der NPD umgehen können?, sagt Harzer ein Jahr vor den Kommunalwahlen gelassen. Dieses ?umgehen können? erinnert an ein Spiel von Katz und Maus: In der ersten Vereinssatzung der SG Germania steht, unter Paragraf 12 ?Gemeinnützigkeit?, dass das Vereinsvermögen nach einer Aufhebung an zwei rechtextreme Organisationen (Hilfgemeinschaft für nationale Gefangene e.V. und Deutsch-Russische Friedensbewegung europäischen Geistes e.V.) übergehen soll. Dank dieses Eintrages konnte der SG Germania die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bisher verwehrt werden. Harzer freut das. Frenck sagt, dann schreiben wir den Paragraphen halt um. Ende April haben sich die Vereinsgründer zur Mitgliederversammlung getroffen, statt der bekannten Kameradschafts-, und NPD-Mitglieder sollen nun unbekannte Jugendliche in der Satzung auftauchen. Frenck holt tief Luft: ?Wenn sie uns dann immer noch nicht als gemeinnützig anerkennen, klagen wir halt?.

Knapp 40 Kilometer weiter, in einem anderen Dorf, auf einem anderen Berg des Thüringer Waldes sitzt ein Mann, der Tommy Frenck gut kennt. Er trägt eine beschmierte Latzhose, hinter ihm füllt ein Bücherregal den Raum aus, vor ihm liegt neben Günter Grass ?Beim Häuten der Zwiebel? der ?Kritische Leitfaden der Psychotherapie?. Kai-Uwe Trinkaus bezeichnet sich selbst als ?Fachmann für Vereinsfragen?. Frenck hält er für einen ?netten jungen Mann mit Illusionen?. Trinkaus, selbst NPD-Kreisvorsitzender in Erfurt und Bauunternehmer, habe Frenck die Satzung für seinen Fußballklub geschickt. Kein großes Ding sei das gewesen, sagt der Betriebswirt. Er gibt an, in den vergangenen 48 Monaten mehr als 25 Vereine in und um Erfurt gegründet zu haben oder dabei behilflich gewesen zu sein.

?Die kommunale Verankerung schaffen wir nur über Vereine: entweder selbst gründen oder bestehende übernehmen?, sagt Trinkaus. Da sei dieser Turmverein, zählt er ein paar Beispiele auf, der habe schon ewig bestanden, hatte aber gerade keinen Vereinsvorsitzenden. Freunde von ihm seien dem Verein beigetreten, dann stellte sich Trinkaus als Vorsitzender zur Wahl und gewann.

Dann sei da der SV Vorwärts Erfurt, der offiziell Badmintonspieler vereint. Als die Erfurter Antifa herausbekamen, dass die angeblichen Badmintonspieler Nazis waren, die wöchentlich in einer städtischen Turnhalle Nahkampf trainierten, beschwerten sich die Erfurter Bürger. Jetzt hat Trinkaus den Verein aufgelöst. Er wolle dafür einen neuen gründen, vielleicht eine Vereinigung von Ausdruckstänzern. Er grinst süffisant. Nur den neuen Name könne er noch nicht bekannt geben.

Der ehemalige PDS-Politiker (?Die Mauer hat auch verhindert, dass Leute einreisen konnten?) versucht sich so intellektuell wie möglich zu geben. Das Spiel mit den Vereinen betreibe er einerseits, weil es ihm Freude bereitet, den Rechtsstaat und seinen Dienern vorzuführen. Dieses Interview sei für ihn Teil des Spiels. Andererseits sei es eine effiziente Methode, um Ideologien zu verbreiten. Alles was man brauche sind sieben Personen, die ihre Vereinsideen mit jeweils verschiedenen Vorsitzenden beim Amtsgericht anmelden, erklärt Trinkaus. Wenn die Notarkosten von etwa 20 Euro bezahlt seien, könnten die ?Fördergelder abgegrast werden?. Eine Gruppe, die beispielsweise als Kinderverein im Vereinsregister eingetragen ist, könne für jedes Projekt und jede Veranstaltung beim Jugendamt Geld bekommen. ?Während der Busfahrt werden mit den Kindern dann ausschließlich deutsche Lieder gesungen?. Trinkaus versichert, dass jeder Verein eine politische Dimension habe und seine Mitglieder automatisch mit nationalem Gedankengut konfrontiert werden. Für einen seiner Vereine habe der NPD-Politiker sogar einen Ein-Euro-Jobber vermittelt bekommen.

?Alleinerziehende in Not?, ?Pro Kid? oder ?Schöner Leben in Erfurt? heißen diese Vereine. Wie viele weitere tatsächlich existieren oder nur Trinkhaus Prahlerei entstammen, lässt sich schwer sagen.

Den Deutschen Jugendbund (DJB) erwähnt Trinkaus nicht. Vielleicht ist er ein weiteres Paradebeispiel für die Vereinsinstrumentalisierung der Rechten. Wenige Meter von Tommy Frencks Wohnung in Hildburghausens Innenstadt entfernt wirbt der DJB um Mitglieder. Etwa 30 bis 40 Kinder sind schon dabei. Vieles, was vor der Wende das Pionierhaus der FDJ angeboten hat, bekommen sie nun vom DJB: Hausaufgabenhilfe, Basteln, Spielen, Computerarbeit, Radtouren und Wanderungen.

Steffen Harzer sagt, dort würden die Erziehungsmethoden der HJ angewendet. Bei den Waldwanderungen würden die Sieben- bis Vierzehnjährigen paramilitärisch ausgebildet. Tommy Frenck sagt, das sei ein guter Pfadfinderverein, der hier etabliert ist. Beide haben etwas Recht: Bereits seit 1992 arbeitet der Verein erfolgreich in Hildburghausen. Der Vereinsvorsitzende, Sigurd Martens, der Frenck manchmal Räumlichkeiten für die Nazi-Musik-Feiern zur Verfügung stellt und im Nachbarort NPD-Wahlplakate klebt, musste die Satzung des DJB allerdings bereits einmal umschreiben: Offiziell dürfen seitdem auch Ausländer der DJB-Jugend beitreten. Wer weiß, vielleicht würden sie sogar einem Österreicher die Vereinsuniform anbieten.

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