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Konsequenzen aus NSU-Komplex und rechtem Terror

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(Quelle: Pixabay)

Die Erkenntnisse aus dem NSU-Prozess machen das erschreckende Ausmaß von Gewalt und Menschenverachtung rechtsextremer und rechtsterroristischer Gruppierungen und ihrer Mitglieder deutlich. Sie zeigen aber auch, dass die Wahrnehmung und öffentliche Verhandlung von rechter Gewalt – neben vielen weiteren Fehlwahrnehmungen – vergeschlechtlicht und rassifiziert sind: Auf der einen Seite stehen weiße deutsche Frauen, wie die Hauptangeklagte im NSU-Prozess und ihre Unterstützerinnen, die als bürgerlich-friedfertige »Tarnkappen« agieren konnten, weil Frauen politisch motivierte Gewalt nicht zugetraut wird und sie als unverdächtig gelten. Auf der anderen Seite stehen migrantische Männer, die zwar Opfer von Rechtsterrorismus sind, aber stattdessen als Täter einem kriminellen Milieu zugerechnet wurden, weil männliche »Ausländer« als generell verdächtig gelten. Diese vergeschlechtlichten und rassifizierten Wahrnehmungen sind wirkmächtige gesellschaftliche Narrative mit einer langen Historie und durchziehen sämtliche gesellschaftliche Institutionen wie Sicherheitsbehörden, Politik, Medien, Bildungseinrichtungen oder Zivilgesellschaft. Eine wirksame Prävention, Bekämpfung und erfolgreiche Ermittlung rechtsterroristischer Handlungen sowie eine solidarische Unterstützung für die Opfer rechter Gewalt muss diese Fehlwahrnehmung zukünftig in die Analyse und bei Vorkehrungen auf sämtlichen Ebenen berücksichtigen. Die Gesellschaft muss diese Fehlwahrnehmungen »verlernen«.

1. Geschlecht in der Analyse und für Gegenstrategien von rechtspopulistischen, rechtsextremen und rechtsterroristischen Strukturen berücksichtigen

Frauen können an menschenverachtenden, gewaltvollen und demokratiegefährdenden Handlungen ebenso aktiv beteiligt sein wie Männer – auch wenn ihnen innerhalb rechter Gruppierungen u.U. eine spezielle weiblich konnotierte Rolle zukommt; eine Position, in der Geschlecht bewusst oder unbewusst zur Durchsetzung der ideologischen Ziele eingesetzt und instrumentalisiert wird. Diese Tatsache ist im NSU-Prozess an prominenter Stelle im Abschlussplädoyer der Generalbundesanwaltschaft festgestellt worden. Beate Zschäpe wird für die Deckung und Kommunikation nach außen eine entscheidende Rolle als weibliches Mitglied und damit als friedfertig-bürgerliche »Tarnkappe« in der rechtsterroristischen Gruppierung bescheinigt. Sie ist jedoch kein Einzelfall. Beispielsweise entfernten die polizeilichenErmittler*innen 2007 bei einer Rasterfahndung im Raum Nürnberg alle Frauen von einer Liste des Verfassungsschutzes mit Namen von Neonazis. Damit wurde auch Mandy S. von der Liste gestrichen, eine frühe und aktive Unterstützerin des NSU. Ein Blick auf weitere rechtsterroristische Fälle, die derzeit vor Gerichten in Deutschland verhandelt werden zeigt: Frauen sind in den unterschiedlichen rechten Gruppierungen aktiver Part. Sie teilen das rechtsextreme, rassistische und antisemitische Weltbild der männlichen Gleichgesinnten und können es auch gewaltvoll durchsetzen. Die Rolle von Frauen im rechtsextremen Alltagsterror, der in einigen Kommunen und Städten grassiert und für viele Menschen bittere Realität ist, muss gesamtgesellschaftlich stärker zur Kenntnis genommen werden. Hilfreich wäre hierfür ein geschlechtersensibles polizeiliches Monitoring zu rechter Gewalt. Eine differenzierte Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden und Medien zu unterschiedlichen Rollen und Funktionen von Frauen im Rechtspopulismus, Rechtsextremismus oder rassistischen »gida«-Bewegungen und Initiativen wie »Nein-zum-Heim« sind für die Analyse wichtige Voraussetzung. Die Forschung muss systematischer das empirische Wissen über die Rolle von Frauen in rechten Netzwerken aufarbeiten und ausbauen. Es fehlt auch an Wissen und Sensibilität, wie rechte Akteure Geschlechterthemen oder feministische Interessen instrumentalisieren oder mit – bzw. gegen – Genderthemen mobilisieren. Notwendig sind auch tiefergehende Forschungen zur Attraktion und Einstiegsmotiven von Mädchen und Frauen in rechtsextreme Strukturen und rechtsterroristische Gruppierungen sowie eine wissenschaftlich fundierte Aufarbeitung der gesellschaftlichen Fehlwahrnehmung dieses Phänomens.

2. Institutionellen und strukturellen Rassismus benennen und aufarbeiten

Die Rolle von institutionellen und strukturellen Rassismen, die eine Aufklärung des NSU verhindert haben, in Polizei- und Sicherheitsbehörden, in den Medien und Teilen der Gesellschaft, sind von diversen zivilgesellschaftlichen Gruppen – v.a. migrantischen (Selbst-)Organisationen und Initiativen – und von den Untersuchungsausschüssen immer wieder vorgebracht worden. Dazu gehören v.a. Ermittlungsvorgänge und -ansätze, die sich an rassistischen Stereotypen orientiert haben. So fanden Ermittlungen ausschließlich im Umfeld der Betroffenen statt und diese wurden kriminalisiert. Es gab keine Ermittlung in Richtung Neonazis, obwohl die Betroffenen und Hinterbliebenen unabhängig voneinander mehrfach darauf hingewiesen haben.85 Bisher sind diese Feststellungen jedoch ohne nennenswerte Konsequenzen geblieben. Wichtig wäre hier zudem, dass Journalist*innen und Berichterstattende die Vorgehensweisen von Ermittlungsbehörden kritisch begleiten, anstatt von Rassismus geprägte Ermittlungsansätze kommentarlos zu übernehmen. Den Analysen der Hinterbliebenden, die auf ein rassistisches Tatmotiv hinwiesen, wurde medial keine Beachtung geschenkt. Noch völlig offen ist und aufgearbeitet werden muss darüber hinaus, wie die Verknüpfung von Geschlecht und Herkunft die Ermittlungen und Aufklärung verhinderte. Denn es gibt ein Pendant zur gesellschaftlichen Fehlwahrnehmung der oben beschriebenen weißen weiblichen Täterinnen: männliche Migranten als Opfer. Die Konstruktion »weiße deutsche Frau« als »harmlose, unpolitische Freundin von« vs. »männliche Personen of Color« als »kriminelle Ausländer« haben im Falle des NSU zu krassen Fehleinschätzungen geführt. Wissenschaftlich und gesellschaftlich aufgearbeitet werden muss dazu die bisher völlig vernachlässigte Rolle eines institutionalisierten, vornehmlich männlich-weiß geprägten Blicks (male gaze) der Polizei, von V-Männern (!) und Verfassungsschutzämtern. Ermittlungsarbeiten sind nicht ausschließlich objektiv und unabhängig, sondern geprägt und abhängig von den Personen, die sie erstellen, und eingebettet in institutionelle Logiken und gesellschaftliche Kontexte. Diese sind verknüpft mit stereotypen Geschlechterbildern und rassistischem Wissen.

Für die Sicherheitsbehörden gilt es, sich diese Mechanismen bewusst zu machen, sie zu hinterfragen und abzustellen. Dazu gehören Schulungen und Sensibilisierung zu rassistischen, vergeschlechtlichten Stereotypen, die Implementierung dieser Temen in die Ausbildung sowie die Sensibilisierung für einen gender bias und die Abschaffung von racial profiling bei der Ermittlungsarbeit. Polizeiinterne rassistische oder sexistische Vorfälle müssen konsequent geahndet und aufgearbeitet werden. Bei der Stellenbesetzung sind Diversität und damit unterschiedliche Perspektiven zu berücksichtigen. Zur Einschätzung der Gefahren von rechts gehört die Perspektive migrantischer Organisationen und Personen. Schon früh haben sie vehement darauf hingewiesen, dass die Mordserie auf das Konto einer rechten Gruppierung gehen muss. Wären diese Menschen früher angehört und ernst genommen worden, hätten weitere Morde möglicherweise verhindert werden können.

3. Solidarität mit den Opferangehörigen des NSU und Betroffenen von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt

Die Forderungen der Betroffenen nach vollständiger Aufklärung des NSU-Komplexes bleiben von der breiten Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Die in Untersuchungsausschüssenfestgestellten behördlichen Fehlleistungen und Vertuschungen und die Feststellung von institutionellem und strukturellem Rassismus haben bisher aus Sicht der Betroffenen zu keinen nennenswerten Konsequenzen geführt. Falsche Verdächtigungen haben für die Betroffenen jahrelang v.a. zu sozialer Isolation der Familien und öffentlicher Stigmatisierung geführt, in einigen Fällen bis zu finanziellem Ruin und gesundheitlichen, psychischen Beeinträchtigungen. Die Kinder der Ermordeten hatten Schulprobleme, wurden teilweise von Gleichaltrigen gemieden, weil deren Familien von staatlichen Autoritäten als kriminell stigmatisiert wurden.

Es fehlt die Anerkennung für das Leid der Hinterbliebenen. Auch die Würdigung der Aufarbeitung und großer Teile der Trauer- und Aufklärungsarbeit bleibt bislang aus. Angemessen wäre daher eine Gedenkpolitik und Erinnerungskultur, die sich an den Bedürfnissen und Forderungen der Hinterbliebenen und Betroffenen orientiert.

Darüber hinaus bedarf es breiterer Unterstützung migrantischer Selbstorganisationen und Verbände, die sich mit der weiteren Aufarbeitung auseinandersetzen und in der politischen Bildungsarbeit tätig sind. Migrantische Netzwerke – v.a. die, die im Kontext der Aufarbeitung rechter Gewalt entstanden sind – müssen sehr viel stärker in die Arbeit von Behörden und zivilgesellschaftlichen Organisationen einbezogen werden. Die Menschen, die sich darin organisieren, haben ein sensibles und fundiertes Verständnis von rechter Gewalt, deren alltäglichen Erscheinungsformen und Auswirkungen. Migrantisch situiertes Wissen in die Regelstrukturen zu überführen, wird seit einiger Zeit von Selbstorganisationen als Konsequenz aus dem NSU gefordert. Es geht also darum, neue und alte Netzwerke aufzubauen, zu stärken und das Wissen migrantischer Communitys zur Kenntnis zu nehmen sowie mehr und wertschätzend einzubeziehen. Betroffenenverbände und Opferberatungen sind als Kooperationspartner*innen ,ernst zu nehmen und anzuhören.

Wichtig ist darüber hinaus, die Arbeit und den unermüdlichen Einsatz der NSU-Nebenklagevertreter*innen anzuerkennen, weil sie zur Erhellung der Umstände maßgeblich beigetragen haben. Unabhängige Prozessbeobachtungen und -dokumentationen, etwa die von NSU-Watch, gilt es ebenfalls zu ermöglichen und zu unterstützen. Mit Blick auf anhaltende rassistische Übergriffe auf Geflüchtete und Asylsuchende ist ein Bleiberecht für Opfer rechter Gewalt nach dem Vorbild aus Brandenburg bundesweit auszuweiten. Damit würde Betroffenen rechter Gewalt ein angemessener Schutz gewährt und das Motiv rechtsterroristischer Akteure ins Gegenteil verkehrt.

4. Leerstellen im NSU-Komplex benennen und aufklären

Das Urteil im NSU-Prozess bedeutet nicht die vollständige Aufklärung des NSU-Komplexes. Beispielsweise spielt bei der Aufarbeitung das antisemitische Weltbild im NSU-Komplex keineRolle. Es gibt jedoch deutliche Hinweise darauf, dass bei der Radikalisierung im Umfeld des NSU Antisemitismus bedeutend war. So hat der NSU u.a. ein NS-Ideologie verherrlichendes Brettspiel mit dem Namen »Pogromly« entworfen und in der rechten Szene verkauft, eine Synagoge in Berlin ausgespäht und eine Liste mit 233 jüdischen Einrichtungen geführt. Auch der Anschlag auf das Grab von Heinz Galinski, dem ehemaligen Präsidenten des Zentralrats der Juden, ist in die Nähe des NSU gerückt worden, konnte aber bisher nicht aufgeklärt werden.

Darüber hinaus müssen das große Netzwerk an Unterstützer*innen sowie begünstigende Strukturen beleuchtet werden. Dazu gehört die Analyse der Unterstützung des NSU durch Freundinnen, Ehefrauen und Familiensysteme. Im Prozess und in den Untersuchungsausschüssen gab es immer wieder deutliche Hinweise darauf, dass Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Mithilfe von weiteren Personen an den Tatorten erhalten haben müssen. Der Prozess wäre der Ort gewesen, diese Unterstützungsstrukturen zu ermitteln. Verwicklungen von Ermittlungsbehörden wie dem Verfassungsschutz sind ebenso unberücksichtigt geblieben – und dies, obwohl es unzählige Hinweise auf deren Mitwissen gibt und über 40 V-Personen im Umfeld des NSU zu finden waren. Ungeklärt bleibt, welche Bedeutung die Anwesenheit des Verfassungsschutzmitarbeiters Andreas Temme hatte, der sich zu dem Zeitpunkt des Mordes an Halit Yozgat im Internet-Café in Kassel aufhielt.

Es gibt noch keine abschließende Antwort, wie diese Hintergründe beleuchtet und in Zukunft mvermieden werden können. Diese und weitere Leerstellen müssen durch eine überfraktionelle Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages aufgearbeitet werden, die gleichzeitig die Umsetzungen der Forderungen aus den NSU-Untersuchungsausschüssen einfordert und begleitet.

5. Förderung und Unterstützung einer (lokalen) demokratischen Zivilgesellschaft

Rechtsextreme und rechtsterroristische Gewalt ist als gesamtgesellschaftliches Problem  wahrzunehmen: Nicht nur organisierte rechtsextreme Frauen (und Männer) tragen entsprechende Einstellungen und werden zu Täter*innen. Auch zuvor unorganisierte Personen werden aus rassistischen und rechtsextremen Motiven straffällig. Täter*innengruppen, ihre Unterstützer*innen und Stichwortgeber*innen gilt es daher differenziert wahrzunehmen. Dazu gehört es, rechtspopulistische bzw. rechtsextreme außerparlamentarische Gruppierungen im Blick zu behalten – etwa Pegida und andere rassistische Initiativen, die Identitäre Bewegung, Völkische Siedler*innen und Reichsbürger*innen sowie deren lokale Vernetzungen und ihre Radikalisierungen. Mit Untergangsszenarien oder vergeschlechtlichten Feindbildern werden hier Stimmungen erzeugt und Gewalthandeln als »Widerstand« legitimiert. Menschenfeindliche Einstellungen in der sogenannten Mitte der Gesellschaft und der gegenwärtige Rechtsruck verlangen die Förderung einer demokratischen Zivilgesellschaft. Die Arbeit gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) braucht eine eigene gesetzliche Grundlage. Wichtig wäre die Einführung eines Demokratiefördergesetzes, um zivilgesellschaftliches Engagement gegen menschenfeindliche Ideologien zu stärken, um es von mpolitischen Aufmerksamkeitskonjunkturen unabhängig gestalten zu können und um bewährte Konzepte und Instrumente in Regelstrukturen implementieren zu können. Die Konzeption eines Demokratiefördergesetzes und die daraus entstehenden Förderinstrumente müssen Gender in Intersektion zu Rassismus und Antisemitismus und anderen Ungleichwertigkeitsideologien grundlegend berücksichtigen.

In der Sozialen Arbeit gilt es, die eigenen Verstrickungen aufzuarbeiten, bspw. die Rolle der »Akzeptierenden Jugendarbeit«. Nicht zuletzt ist die Frage relevant, wie dort Mädchen und junge Frauen und deren politische Aktivität, z.B. die der jungen Beate Zschäpe, zur Kenntnis genommen wurde – oder eben nicht. Hinsichtlich sogenannter Deradikalisierungsansätze für Angehörige rechtsextremer Szenen lassen sich geschlechterreflektierende Handlungs- und Fortbildungsbedarfe formulieren: Entwicklung von bedarfsgerechten Angeboten für Aussteigerinnen und deren Kinder, Fortbildungen für Fachkräfte der Sozialen Arbeit, des Justizvollzugs, für Angestellte in Verwaltungen sowie für Jurist*innen. In der Bildungsarbeit ist viel stärker als bisher zu berücksichtigen, dass der NSU-Komplex und der Umgang staatlicher Behörden damit Menschen – v.a. Jugendliche of Color – (be-)trifft. Enttäuschung, Verunsicherung oder Rückzug und Vertrauensverlust in Politik und staatliche Behörden sind nur eine der vielen Konsequenzen. Um gegenzusteuern, braucht es eine Aufarbeitung des NSUKomplexes aus rassismuskritischer und empowernder Perspektive. Bildungsarbeit nach dem NSU muss darauf setzen, Jugendliche professionell zu unterstützen, um selbstbestimmt und verantwortungsvoll rassistisches Handeln als solches erkennen und benennen zu können.

Rassismus, Antisemitismus und andere Formen von Menschenfeindlichkeit sowie die NSU-Morde oder andere rechtsterroristische Taten sind Angriffe auf universelle Menschenrechte und ein demokratisches Miteinander und damit immer ein Angriff auf die gesamte Gesellschaft.

 

Ein Auszug aus der BROSCHÜRE:

Fachstelle Gender, GMF und Rechtsextremismus der

„Le_rstellen im NSU-Komplex: Geschlecht, Rassismus, Antisemitismus“.

Hrsg.: Amadeu Antonio Stiftung

Berlin 2018

 

Als PDF zum Download hier:

http://www.gender-und-rechtsextremismus.de/w/files/pdfs/fachstelle/leerstellen_internet.pdf

 

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