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Medienschau zum 30. Januar 1933 Der Beginn der Katastrophe

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Fackelzug am 30. Januar 1933 in Berlin (Quelle: Deutsches Bundesarchiv via Wikipedia)

Unter der Überschrift „Ein Rätsel, bis heute“ diskutiert der „Tagesspiegel“, ob es sich vor 80 Jahren um eine Machtergreifung oder eine Machtübergabe seitens der konservativen Eliten gehandelt habe. Die Frage laute: „Kam Hitler wie ein Mephisto übers deutsche Volk, oder haben sich die Menschen wissentlich dem selbst ernannten Heilsbringer ausgeliefert? Haben sie ihn gewählt, oder hat er die Wahl usurpiert?“ Der „Tagesspiegel“ gibt auch gleich selbst die Antwort: Hitler sei kein Mephisto, vielmehr habe sein Aufstieg vor den Augen aller stattgefunden. Und auch an warnenden Stimmen habe es nicht gefehlt. (Tagesspiegel)

Diesen Aufstieg vor allen Augen bezeichnet Johannes Volker Wagner, ehemaliger Leiter des Bochumer Stadtarchivs, in der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ als einen Prozess, der schon Monate zuvor, wenn auch schleichend, die in demokratischen Gepflogenheit so unerfahrene Gesellschaft von innen gleichsam zersetzte – um dann die Situation am 30. Januar 1933 in Bochum zu beschreiben. In Bochum sei es an dem Tag relativ ruhig geblieben, es sei zu kleineren Schlägereien „zwischen Nationalsozialisten und Andersdenkenden“ gekommen. (Der Westen)

„Ich kann gar nicht so viel fressen, wie ich kotzen möchte!“, sagte der Maler Max Liebermann, als er am Abend des 30. Januar 1933 die SA-Kolonnen durch das Brandenburger Tor marschieren sah. Mit diesem Zitat leitet der „Mitteldeutsche Rundfunk“ seine Analyse zum Nationalsozialismus in Mitteldeutschland ein – so war die NSDAP schon vor 1933 auch hier zu stärksten Partei geworden, andererseits galten Städte wie Leipzig, Chemnitz oder Halle als Zentren der Arbeiterbewegung. Der MDR fragt: „Wie braun waren damals Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen?“ (MDR Online)

Propaganda und Wirklichkeit

Über die Verknüpfung von Propaganda und Praxis bei den Nationalsozialisten schreibt der „Tagesspiegel“ in einem weiteren Artikel. Beides sei unter Adolf Hitler eins gewesen, er habe durch mediale Manipulation historische Themen für sich besetzt. So gab es etwa verwackelte Aufnahmen der Kolonnen uniformierter Nationalsozialisten der SA, der SS und des Stahlhelms, die in der Nacht vom 30. Januar 1933 durch das Brandenburger Tor marschierten. Die Bilder waren wenig beeindruckend, so dass Propagandaminister Joseph Goebbels für das Propagandaepos „SA-Mann Brand der Bavaria Film AG im Sommer 1933 die Szenen nachstellen und nachdrehen ließ: “ Jetzt marschierten die Kolonnen zum Spiel von Hell und Dunkel durch das ausgeleuchtete Tor, vorbei an Spalieren mit ‚Hitlergruß‘ salutierender Zuschauer. Bei genauem Hinsehen erkennt man, dass sich da keine Massen am Straßenrand drängten, doch Goebbels war es auf den Gesamteindruck angekommen. Der mächtigen Ästhetik visueller Repräsentationen sollte und wollte sich das im Januar 1933 anbrechende ‚Dritte Reich‘ von Beginn an bedienen.“ (Tagesspiegel)

Doch welches Bild machten die Nationalsozialisten im Ausland? Zumindest für ausländische Diplomaten war der 30. Januar 1933 ein ganz normaler Arbeitstag, wie Spiegel online feststellt. Als Hitler Reichskanzler wurde, blieben sie gelassen. Sie hielten den Schritt für eine kurze Episode und die NSDAP für nicht regierungsfähig. Schon bald mussten sie ihr Urteil revidieren – und prophezeiten eine düstere Zukunft. (Spiegel Online)

Wie konnte es so weit kommen?

Immer wieder geht es bei der Betrachtung des 30. Januar 1933 auch um die Frage, wie es eigentlich so weit kommen konnte. Zwei Legenden halten sich auch hartnäckig: Die erste lautet, kapitalistisch-industrielle Interessen hätten den rüstungswilligen Hitler an die Macht gebracht; und die zweite besagt, dem Diktator sei es gelungen, das infolge der Weltwirtschaftskrise darniederliegende Reich aus der Depression herauszuführen und die hohe Arbeitslosigkeit zu beseitigen. Doch betrachtet man die Daten genauer, ergibt sich ein anderes Bild, wie die „Stuttgarter Zeitung“ feststellt. (Stuttgarter Zeitung)

Nicht über diese Legenden wird gestritten, sondern auch um den Begriff „Machtergreifung“. Dazu schreibt Christian Walther in einem bereits etwas älteren, aber immer noch sehr lesenswerten Artikel: „Nein, sie haben die Macht nicht ergriffen, die Nazis sind nicht durch einen Griff an die Schalthebel der Regierungsgewalt gelangt. Sie wurde ihnen übergeben. Keine Revolution, kein Putsch, kein Sturm aufs Winterpalais – es war einfach nur eine Ernennungsurkunde, unterzeichnet vom Reichspräsidenten Hindenburg, die Hitler zum Reichskanzler machte. Ganz unspektakulär war die Weimarer Republik Geschichte. Dennoch hat sich der Begriff Machtergreifung gehalten. Vielleicht, weil Hitler ja auch zugegriffen hat, als ihm die Macht angetragen wurde. Vielleicht, weil es so tatkräftig klingt, vielleicht auch, weil es die, die dabei zugesehen haben, moralisch entlastet.“ (Leibniz-Gemeinschaft)

Die Mehrheit hat weggeschaut

Doch wie sprechen Zeitzeugen über den 30. Januar 1933? Die „Süddeutsche Zeitung“ hat mit einer gesprochen: Die Pragerin Lisa Miková wurde mit ihrer jüdischen Familie ins KZ deportiert. Im Interview erklärt die 90-Jährige unter der Überschrift „Eines darf nicht passieren: Dass man lästig wird“, wie deutsche Schulkinder reagieren, wenn sie von Auschwitz erzählt – und was sie für die Zeit erwartet, wenn sie und die übrigen Zeitzeugen gestorben sind. (Sueddeutsche.de)

Unterdessen warnte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) im Gespräch mit dem Deutschlandfunk vor Gelassenheit beim Thema Rechtsextremismus. Anlässlich des 80. Jahrestags der Machtübertragung an die Nationalsozialisten müsse man immer wieder daran erinnern, dass Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich seien, sagte er. (Deutschlandfunk)

Der Bundestag erinnerte derweil in einer Gedenkstunde an die Millionen Opfer des Nationalsozialismus: Im Parlament schilderte die deutsch-israelische Schriftstellerin Inge Deutschkron den bewegten Zuhörern ihre Erinnerungen an die Machtübernahme der Nazis, die sie als Zehnjährige erlebt hatte, wie „Tagesschau.de“ berichtet: „Von da an habe sie einer Minderheit in Deutschland angehört, sagte die heute 90-Jährige. Sie habe damals nicht gewusst, ‚was eine Jüdin ist‘, sagte sie in ihrem Vortrag. Als sie den ‚gelben Stern‘ habe tragen müssen, habe die Mehrheit der Deutschen weggeschaut.“ (Tagesschau.de)

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