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Mein Kommilitone, der Nazi

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An der Ruhr-Universität Bochum wird aktuell diskutiert: Wie umgehen mit rechtsextremen Kommilitonen? (Quelle: Tuxyso / Wikipedia / cc)

Sie kamen als Weihnachtsmänner. Zwanzig Aktivisten stürmten im Dezember 2013 eine Juravorlesung an der Ruhr-Universität Bochum, zeigten mit einem roten Pfeil auf einen jungen Mann und entschleierten seine Identität. Als der Professor die Weihnachtsmänner aus dem Hörsaal werfen wollte, kam es zum Handgemenge – und in den folgenden Tagen, Wochen und Monaten zu einer Diskussion über den Umgang mit braunen Kommilitonen.

Der denunzierte Erstsemester im Hörsaal ist Michael Brück, NRW-Vizechef der Neonazi-Partei Die Rechte. Die Aktivisten forderten seine Exmatrikulation, die Hochschulleitung verurteilte das „gezielte Anprangern“ und verwies auf das Hochschulgesetz: Man könne Studierende nicht wegen ihrer Ideologie vom Studium ausschließen – auch wenn sie aus politischen Gründen auf dem Campus unerwünscht seien. 

Das Outing an der Ruhr-Uni zeigt, wie schwer der Umgang mit rechtsextremen Studenten für Hochschulen ist. Juristisch haben sie keine Möglichkeiten, solange sich Rechtsextreme auf dem Campus nichts zuschulden kommen lassen. Auch für sie gilt das freie Recht auf Bildung. „Für die Unis ist das ein Dilemma“, sagt Lenard Suermann von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, der die Ruhr-Uni seit dem Vorfall berät. „Sie wollen international und weltoffen sein. Gleichzeitig wissen sie, dass Nazikader an ihrer Uni sind.“ 

Die Gefahr: Rechtsradikale, die nicht als Schläger, sondern als Intellektuelle auftreten, die gut argumentieren und mit Hochschulabschluss blenden, machen ausländerfeindliche Gedanken salonfähiger. 

Erst als Medien berichten, exmatrikuliert die Uni

Die Universitäten können nur einschreiten, wenn Studenten den Hochschulbetrieb stören. So werden manche Unis selbst gewaltbereite Neonazis nur schwer los. Vor ein paar Jahren verprügelte ein bekannter Mainzer Neonazi einen Mitkommilitonen. Obwohl der NPD-Funktionär deshalb vor Gericht stand, kam für die Universität eine Exmatrikulation nicht infrage. Es handelte sich um einen privaten Streit, nicht um eine politisch motivierte Tat, befand die Rechtsabteilung der Universität. Erst als er vom Gericht verurteilt wurde und die Medien darüber berichteten, änderte die Hochschule ihre Haltung und exmatrikulierte den Studenten.

Die meisten Neonazis verhalten sich auf dem Campus jedoch unauffällig. So wie Erstsemester Brück von der Uni Bochum. Sozialpädagoge Suermann lobt deshalb den offenen Umgang der Hochschule mit Rechtsextremismus in den eigenen Reihen: „Dass die Uni nach dem Vorfall einen externen Berater zu Rate zieht, ist nicht selbstverständlich.“ Mittlerweile gibt es an der Ruhr-Uni geschultes Personal, das Studenten oder Uni-Mitarbeiter im Fall eines rechtsextremistischen Übergriffs ansprechen können, eine regelmäßige Opfer- und Ausstiegsberatung soll folgen. Und seit Beginn des Sommersemesters bietet die Uni Workshops zu Rechtsextremismus an. Farbe bekennen gegen Nazis. So lautet die Reaktion der Hochschulleitung auf die Diskussion, die das Outing an der Uni ausgelöst hat. „Das Interesse der Studenten an dem Angebot ist jedoch verhalten: Gerade mal 15 bis 20 Teilnehmer erschienen bislang zu den Veranstaltungen der Workshopreihe Braune Kommiliton_innen an der Ruhr-Universität Bochum. 

Die Unis wollen Farbe bekennen und Haltung zeigen – und doch wirkt es, als scheuten sie die direkte Konfrontation. Die Universität Bielefeld etwa weiß dank eines Outings schon seit vier Jahren von eingeschriebenen Nazis. Sie verteilt deshalb Postkarten und Anstecker mit der Aufschrift „Ich will eine Uni ohne Nazis“. Mittlerweile sind fünf Rechtsextreme namentlich bekannt, die sich schon mal geschlossen in die erste Reihe der Extremismus-Vorlesung setzen, um den Dozenten einzuschüchtern. Dennoch hält die Hochschulleitung nicht viel von einer öffentlichen Maßregelung der Betroffenen, wenn diese in einer „einmaligen, öffentlichkeitswirksamen Verfolgung einzelner rechtsextremer Personen“ besteht. „Wir versuchen stattdessen, rechtsextreme Studierende früh zu erkennen, die Zivilcourage der Mitglieder zu stärken und mögliche Opfer zu schützen“, sagt Rektor Gerhard Sagerer im Gespräch mit ZEIT ONLINE. „Das machen wir aber nicht alles öffentlich und hängen nicht alles an die große Glocke.“

Bei Outings kam es zu Gewalt

Auch wenn Universitäten nicht gerne darüber reden: Auch sie sind nicht vor Rechtsextremismus gefeit. Nach einer Studie der Universität Leipzig ist jeder fünfte Deutsche ausländerfeindlich. Die Studie zeigt aber auch: Bildung ist der beste Schutz vor rechtsextremen Einstellungen. Menschen ohne Abitur sind demnach dreimal so häufig rechtsextrem eingestellt wie Menschen mit Hochschulreife. Deshalb kommt Bildungseinrichtungen eine besondere Verantwortung zu, diesen Gesinnungen entgegenzutreten. Doch reichen dafür Ringvorlesungen und Anti-Nazi-Anstecker?

Ein viel debattierter Vorschlag: Die Hochschulen sollen die Namen bekannter Nazi-Kader selber öffentlich machen. Gerade weil die Outings durch linke Gruppierungen mitunter problematisch sind. Denn oft werden die Aktionen gefilmt und online gestellt, ohne dass die Betroffenen damit einverstanden wären. Und dann kommt es wie an der Ruhr-Uni gelegentlich auch auf der Seite der Aktivisten zu Gewalt. Die Universitäten müssen dies aus guten Gründen verurteilen, selbst wenn sie das Engagement ihrer Studenten gutheißen. Ein triftiger Grund für die Hochschulen, das Outing selbst in die Hand zu nehmen und einer möglichen Eskalation im Hörsaal zuvorzukommen, zumindest, wenn es sich um Funktionäre handelt oder Studenten, die öffentlich ihre rechtsextreme Anschauung vertreten, zum Beispiel in Wahlkämpfen.

Und das wäre nicht der einzige Vorzug: Die Studenten wüssten aus verlässlicher Quelle, mit wem sie es zu tun haben. Denn dass viele keine Ahnung haben, wer im Seminar neben ihnen hockt, zeigen die Reaktionen auf die Outings in Bochum und Bielefeld. Wie Studenten ihren braunen Kommilitonen auf dem Campus am besten begegnen, und ob die Hochschule sie wegen ihrer Überzeugungen einfach exmatrikulieren darf – die Outings haben diese Fragen erst aufgeworfen.

Outings stoßen nicht nur öffentliche Debatten an. Sie sind auch ein starkes Signal an die Gesellschaft: Wir tolerieren keine Menschenfeindlichkeit. Dieses Bloßstellen mag diffamierend wirken – es ist juristisch vertretbar. Bernd Wagner von der Neonazi-Aussteigerinitiative EXIT-Deutschland äußerte sich im Studentenmagazin Fudder zu einem vergleichbaren Fall an der Universität Freiburg: „Die Studentin verkündet öffentlich ihre sehr radikale rechtsextreme Weltanschauung. Dadurch wird sie zu einer Person der Zeitgeschichte und muss damit rechnen, auf ihre Gesinnung angesprochen zu werden.“

An der Uni Greifswald ist Thor-Steinar-Kleidung verboten

Öffentlich bloßstellen oder exmatrikulieren? Die Ruhr-Uni Bochum lehnt beide Formen strikt ab. „Wir müssen dafür Sorge tragen, dass jeder Studierende sein Studium ohne Beeinträchtigung und unter Wahrung seiner Persönlichkeitsrechte absolvieren kann“, äußert sich die Hochschulleitung schriftlich gegenüber ZEIT ONLINE. Eine Sichtweise, der sich viele Hochschulen anschließen. Nur in Ausnahmefällen greift eine Uni auf die Hausordnung zurück, um ein Zeichen gegen Rechts zu setzen. So verbietet etwa die Universität Greifswald Rechtsextremen, die Neonazi-Kleidung Thor Steinar zu tragen.   

Es gibt also Möglichkeiten, auf das Nazi-Problem zu reagieren. Wenn Unis das nicht oder spät tun, werden sie von den Studenten damit konfrontiert, zuletzt an der Leibnitz-Universität Hannover. Dort wurde im November die NPD-Landesvorsitzende von Niedersachsen, Christina Krieger, während einer Vorlesung von der Antifa geoutet. Das Institut für Politische Wissenschaften, an dem Krieger eingeschrieben ist, distanzierte sich in einer Stellungnahme von der Aktion. „Der Vorfall ist eine Form der zu verurteilenden Selbstjustiz und weckt fürchterliche Assoziationen der Menschenjagd“, heißt es darin. Seitdem diskutieren die Studenten, wie unpolitisch eine Hochschule sein darf. Die Hochschulgruppe der Satirepartei Die Partei gab eine zynische Antwort darauf. Auf ihrer Website fordert sie, Parteien an Hochschulen zu verbieten und kritische Lehre einzustellen.

NPD-Vorsitzende Krieger hat sich über die Reaktion der Universität gefreut. Gegenüber ZEIT ONLINE sagt sie: „Die Universität ist kein Ort für Ideologien. Ich mache dort keine Politik. Ich studiere hier nur.“ Zu Neonazis, die anders denkende Studenten verprügeln, wie vor Kurzem in Siegen, will sie sich nicht äußern. Sie erzählt lieber von hasserfüllten Migranten, die grundlos Deutsche beleidigen. 

Universitäten beanspruchen für sich, Orte der Toleranz und weltanschaulicher Debatten zu sein. Deshalb muss man braunen Kommilitonen wie Brück oder Krieger widersprechen – ohne sie zu diskriminieren. Diese Gratwanderung steht vielen Universitäten im Land noch bevor.  

Dieser Text erschien zuerst am 16.07.2014 auf ZEIT online. Mit freundlicher Genehmigung des Autors.

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