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Nadja Drygalla Die Mär vom Opfer

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Facebook-Gruppe, die Nadja Drygalla unterstützt. (Quelle: Screenshot)

Die deutsche Ruderin Nadja Drygalla ist Opfer oder vielmehr: Sie wird zum Opfer stilisiert. Zum Opfer von vermeintlich erbarmungsloser Öffentlichkeitsschelte und rigoroser Verfolgungshysterie. Und natürlich – wie so oft – sind die bösen Medien schuld. Verteidigungsminister De Maiziere (wieso eigentlich der?) meint voll sorgetriefender Solidaritätsbekundung, eine Grenze sei überschritten worden. Eine derartige Überprüfung von Freunden von Sportlern sei nicht geboten.

Es ist eine skandalöse Einschätzung, die De Maiziere da zum besten gibt. Ein Mitglied der Regierung Merkel macht damit klar, dass er den Kern der Debatte nicht erfasst hat: Den Umgang mit rechtsextremem Gedankengut in unserer Gesellschaft.

Schließlich geht es im Fall Drygalla nicht um irgendwelche Petitessen im ausschließlich privaten Umfeld der Vorzeigeathletin, es geht auch nicht um die Frage, mit wem eine deutsche Spitzensportlerin es sich kuschelig macht wie uns einige Kommentatoren weis machen wollen, es geht vielmehr um die rechtsextreme Gesinnung ihres Freundes, der sie sogar mit nach Olympia begleitete.

Es geht um einen Mann, der bis zuletzt mit grob rassistischen Parolen auf sich aufmerksam machte und einer Partei als Funktionär angehört(e), die so mancher angesichts ihrer menschenverachtenden und verfassungsfeindlichen Ideologie am liebsten verbieten würde. Es geht um einen Mann, der als Anführer einer militanten sprich gewaltbereiten Kameradschaft reüssiert(e) und gegen den derzeit die Staatsanwaltschaft wegen Landfriedensbruchs ermittelt. Und schließlich geht es um eine Ideologie, die nicht mit den Grundsätzen des deutschen Rechtsstaates zu vereinbaren ist. Und so geht es in letzter Konsequenz nicht zuletzt auch um die Frage der Wehrhaftigkeit unserer Demokratie.

Heile heile Segen

Und dennoch soll das alles nicht interessieren? Sollen sich die Medien tatsächlich aus all dem heraushalten? Dem Sport zuliebe? Oder gar – de Maiziere vertritt ja die Interessen Deutschlands nach außen – Deutschland zuliebe? Der Einwand jedenfalls ist an Naivität nicht zu überbieten. Indes, er passt ins Bild. Der Rechtsextremismus in diesem Land wird nur allzu oft von Behörden und Politikern auf fahrlässige Art und Weise verharmlost (die Amadeu Antonio Stiftung hat hierzu jüngst eine beklemmende Analyse veröffentlicht), Opfer rechter Gewalt nur allzu oft alleine gelassen.

Nun soll ein Fall von politischer Tragweite schlicht zur Privatsache erklärt werden. Der Nazi im Bett einer Sportlerin, die Deutschland in der Welt repräsentiert, ist demnach eine ganz normale Sache. Heile heile Segen. Wie schwer sich die Politik abmüht, den Fall differenziert zu beurteilen, beweist auch das Statement des SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, der erklärte, der Fall samt seiner rufschädigenden Medenbetrachtung erinnere ihn an die „Verlorene Ehre der Katharina Blum“. Es könne nicht sein, dass wir kollektiv in Deutschland über das Privatleben einer Sportlerin diskutierten, wenn man dieser Sportlerin selber nichts vorwerfen könne.

In einem Land, in dem zehn Jahre lang junge Nazis mordend umherzogen, um ihre Menschenverachtung kaltblütig in die Tat umzusetzen, soll es nicht erlaubt sein, zu hinterfragen, in welchem geistigen Umfeld sich eine für Deutschland startende und mit staatlicher Förderung unterstützte Spitzensportlerin tummelt, selbst wenn es sich um eben jene Ideologie handelt, die diese Taten überhaupt erst ermöglichte? Edathys Aussage erstaunt umso mehr, als er als Vorsitzender des Untersuchungsausschusses zum Rechtsterrorismus an der Aufarbeitung der Neonazi-Morde an vorderster Front mitwirkt.

Von wegen Sippenhaft

Und so geht die Reinwaschung der jungen Athletin auf allen Ebenen fröhlich weiter: Der Rostocker Ruderclub, bei dem die Blondine aktiv ist, spricht empört von „Sippenhaft“, in der man die Arme nehme. Ein starkes Argument, zugegeben. Und einem ersten Reflex folgend, ist man geneigt, zustimmen: Sippenhaft, das hatten wir schon mal, das erinnert an unselige Zeiten, das wollen wir nicht wieder. Das Problem ist jedoch, dass das Argument im Falle Drygalla gar nicht greift. Schließlich geht es hier nicht um eine Kollektivhaftung für irgendwelche (familiäre) Verbindungen, für die die Betroffene (oder ihre Angehörigen) in der Tat nichts könnten. Hier geht es vielmehr um die freiwillige und gezielte Auswahl eines Lebens-Partners, der bis zuletzt eine demokratiefeindliche Gesinnung an den Tag legte.

Ganz nebenbei: Wer soll die Mär von der urplötzlichen Läuterung des stramm rechten Recken glauben, wo bis zuletzt seine hetzerischen Äußerungen im Internet kursierten – auch nach dem so medienwirksam verkündeten Parteiaustritt? Ende Februar soll er nach Erkenntnis von Ermittlern mit anderen bewaffneten Neonazis noch bei einer Gedenkfeier für ein Mordopfer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) grölend Teilnehmer und Polizisten angegriffen haben. Und nun alles vorbei? Als ob sich geistiger Rechtsextremismus so einfach abstreifen ließe wie ein verschwitztes Landser-Hemd. Im Verfassungsschutzbericht 2010 aus Mecklenburg-Vorpommern heißt es über die „Nationalen Sozialisten Rostock“: Die verbreiteten Texte ließen auf eine verfestigte neonazistische Ausrichtung der Mitglieder schließen. Aussteiger sind herzlich willkommen, dafür aber, dass Drygallas Freund tatsächlich mit dem Rechtsextremismus gebrochen hat, fehlt bis zur Stunde der schlüssige Beweis.

Weggeschaut, verharmlost, geduldet?

Doch zurück zu Drygalla selbst: Wer sich als öffentliche Person (noch dazu als Sportlerin mit angenommener Vorbildfunktion für die Jugend) derartige Freunde aussucht, muss damit rechnen, dass man eben diese Auswahl kritisch hinterfragt. Natürlich hat sich Drygalla dieser Tage klar von rechtsextremer Ideologie distanziert. Das verdient Anerkennung. Einerseits. Andererseits ist eine solche Distanzierung wenig glaubwürdig, kommt sie doch reichlich spät – immerhin soll sich die Rostockerin schon seit rund fünf Jahren an der Seite des Nazis tummeln. Hätte die Sportlerin da nicht lange vorher eindeutig Haltung beweisen und sich vom Umfeld ihres Freundes abgrenzen müssen? Statt dessen hat sie sich, als es darauf ankam, anders entschieden. Als das Schweriner Innenministerium im Herbst vergangenen Jahres über die Beziehung zu dem NPD-Funktionär informiert wurde, führte man mit Drygalla intensive Personalgespräche. Die Konsequenz: Drygalla beendete den Polizeidienst, sie entschied sich gegen die eigene berufliche Perspektive (im Staatsdienst) und für ihre Beziehung (zu einem Staatsfeind). Dieses zweifelhafte Vorgehen ist wohl kaum dazu angetan, ihr die vermeintliche weiße Weste abzunehmen.

Auch wenn Drygalla angeblich selber nie als rechtsextreme Agitatorin aufgefallen ist – die Annahme, sie habe, wie sie selber Glauben machen will, mit dem rechten Umfeld ihres Freundes keinerlei Kontakt gehabt, ist unrealistisch und weltfremd. Wer sich mit der rechten Szene auseinander setzt, weiß, dass die Mitglieder untereinander stark vernetzt sind, wie sollte die Sportlerin da in all den Jahren mit niemandem in Kontakt geraten sein? Doch das langjährige Techtelmechtel mit braunen Jungs scheinen einige hierzulande billigend in Kauf nehmen zu wollen. Ein kleines Bierchen mit Neonazi-Freunden am Feierabend – was macht das schon?

In Wahrheit stellt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage: Wie hat sich Nadja Drygalla in diesem zweifelhaften Umfeld verhalten? Wie sehr hat sie sich distanziert von den Kampfgefährten ihres Freundes, von jenen, die gerne mit Anspielungen auf Adolf Hitler auf der Brust durch Mecklenburg-Vorpommern ziehen, um Ausländer und „Zecken“ zu klatschen oder deren Unterstützer-Mädchen mit ihren „White Power“-T-Shirts am Leib? Oder anders herum gefragt: Wie sehr hat sie weggeschaut, verharmlost, geduldet?Opfer sind andere

Um dem grassierenden Rechtsextremismus etwas entgegen setzen zu können, müssen vor allem Jugendliche lernen, den Mut aufzubringen, sich solchen Typen entgegen zu stellen. Mit ihrem Verhalten kann Drygalla für sie gewiss kein Vorbild sein. Allzu viele Fragen bleiben offen, um die Ruderin von allen Zweifeln frei zu sprechen. Fest steht aber: Opfer sind andere, jene nämlich, die tagtäglich in Deutschland ins Visier rechter Hetzer und Schläger geraten. Jene, die wegen ihrer ethnischen Wurzeln oder ihrer politischen Gesinnung verhöhnt, bedroht, gejagt, zusammengeschlagen – und eben auch getötet werden. Davon gibt es viele, zu viele.

Freunde von Neonazis eignen sich hingegen wenig als Opfer. Sie zum Opfer zu machen, sie künstlich zu heroisieren, nur weil ihre Kontakte von den Medien kritisch beleuchtet werden, verhöhnt die wahren Opfer jener Gewaltdelikte, die der deutsche Rechtsextremismus tagtäglich produziert.

Wie wenig sensibilisiert die deutsche Öffentlichkeit ist, wenn es um rechtsextreme Ideologien und ihre Protagonisten geht, belegt zudem die Tatsache, dass Drygallas Kontakte in die Neonazi-Szene zwar bekannt waren, dem eigenen Club, dem Landesverband. Nicht aber dem Dachverband. Rechtsextremismus scheint – zumindest in einigen Bundesländern – schon so normal, dass man es nicht einmal mehr für notwendig erachtet, derartige Verquickungen nach ganz oben zu melden. Dieses Versäumnis beweist: Wir alle müssen uns noch intensiver mit den Verfasssungsfeinden vom rechten Rand auseinandersetzen. Und nicht, wie de Maiziere und Co uns suggerieren wollen, bei einigen auserwählten Promis Halt machen. Verfassungsfeindlichkeit kennt keine Privatsphäre.Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf. Sie ist außerdem Gründerin des Polit-Blogs www.debattiersalon.de. Die Amadeu Antonio Stiftung veröffentlichte gerade ihre Analyse „Das Kartell der Verharmloser„: Nach der NSU: „Auf Bundesebene ist nichts passiert und das ist ein Skandal“

 

Mehr zu Nadja Drygalla auf netz-gegen-nazis.de

| Erst zu viel akzeptieren, dann zu hektisch handeln: Die Affäre um Ruderin Drygalla

Mehr im Internet:

Noch ein guter Kommentar in der taz vom 16.08.2012:

„Also hier zum Mitschreiben: Wer in seinem Umfeld einen Nazi hat, setzt ihm eine Frist zur Läuterung. Wenn er Diskussionsbedarf anmeldet – etwa über technische Details der Gaskammern in Auschwitz –, schickt man ihn in eine öffentliche Bibliothek. Wenn er die Frist verstreichen lässt, ist er, was den persönlichen Kontakt angeht, auf Deutsch gesagt weg vom Fenster. Das ist nicht nur eine Frage der Hygiene; das ist ein erprobtes Mittel, um dem Nazi zu signalisieren, dass Nazismus nicht dorf- und schon gar nicht salonfähig ist. Erwachsen ist, wer Entscheidungen trifft. Wenn also demnächst Ihr Freund seine Eisenstange im Flur abstellt, fragen Sie ihn nicht, wie der Protest gegen die Gedenkveranstaltung für die NSU-Opfer gelaufen ist; Sie antworten auch nicht auf die Frage, wie es beim Rudern so war; sondern Sie weisen ihm die Tür beziehungsweise gehen selbst hinaus. Frau Drygalla sieht das nicht so.  (…) Das wird man ein ideologisch verfestigtes Weltbild nennen müssen. Mit ihrem Kampf für arische Privacy hat Frau Drygalla beste Chancen, zur NPD-Ikone zu werden.“ Ambros Waibel in der taz

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