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Obwohl sie zu uns gehören Das Gedenken an die Opfer rechtsextremer Anschläge wirkt kraftlos und kalt

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Wie ein Menetekel ragt die Ruine aus der Häuserzeile der Zwickauer Frühlingsstraße. Hier haben die drei Terroristen des Nationalistischen Untergrunds (NSU) zuletzt gewohnt, bevor sich zwei von ihnen erschossen und die Dritte beschloss, ihre gemeinsame Wohnung in die Luft zu jagen. Die »Zwickauer Zelle« soll mindestens zehn Menschen erschossen, vierzehn Banken überfallen und verschiedene Sprengstoffanschläge verübt haben. Erst als das Haus in Flammen aufging, wurde den Behörden langsam klar, mit wem und womit sie es hier zu tun hatten.

Einiges ist anders als sonst, wenn grausige Fälle von rechtsextremer Gewalt bekannt werden: die kalte Wut, mit der der NSU seine Morde durchführte, die Selbstsicherheit, mit der die Terroristen im Untergrund lebten, die Häme über die Unfähigkeit des Staates, ihnen auf die Schliche zu kommen. Und der Stolz des Neonaziumfelds, es den Demokraten so richtig gezeigt zu haben. Dieser Stolz nährt die Szene weiterhin. In von Rechtsextremisten dominierten Regionen wird das Trio von der Neonaziszene gefeiert. Die Ermittlungen im Fall des »Zwickauer Trios« laufen zwar auf Hochtouren, aber im Alltag der Polizei vor Ort hat sich nichts geändert, ebenso wenig für diejenigen, die bereits von Neonazis angegriffen wurden oder gefährdet sind, weil sie in deren Beuteschema passen oder sich gegen Neonazis engagieren. Im Gegenteil, die Rechtsextremisten, die sich in manchen Regionen ohnehin wie Fische im Wasser bewegen, fühlen sich mit einem Mal auch von höherer Stelle wichtig und ernst genommen. Wenn irgendwo die Ermittler auftauchen, und sei es nur am Rand des eigenen Milieus, wirkt das wie ein Ritterschlag. Gemischte Gefühle haben allenfalls die Funktionäre der NPD, denen einiges an ihrer Legalität gelegen ist. Die Gesichter der Mörder so nah am Logo der NPD, das sorgt für Schwierigkeiten mit den Behörden.

Dass der gezielte Terror bisher nicht häufiger von Rechtsextremisten eingesetzt wird, liegt an ihren strategischen Überlegungen. Denn bisher reichte der Alltagsterror, um Gegner in Schach und den Gewaltkick wachzuhalten, der so wie die kulturellen Symbole des Rechtsextremismus Jugendliche anzieht. Doch dieses Mal ist aus der Sicht der militanten Neonazis der Coup gelungen; die Neonaziszene feiert mit Schenkelklopfen das Totalversagen des Staates.

Und die Öffentlichkeit? Die Morde liegen lange zurück und weit auseinander, es gibt keine aktuellen Fotos von Toten und weinenden Angehörigen. Und keine Lichterketten, keine Kundgebungen, keinen »Aufstand der Anständigen«. Alles wirkt kraftlos und seltsam abgeschnitten von den individuellen oder kollektiven Emotionen, die solche Verbrechen sonst meist nach sich ziehen. Die bisher beschlossenen Maßnahmen der Bundesregierung erscheinen flach, verwirrt, unscharf und alles in allem eher unentschlossen. Es entsteht der Eindruck, dass sich die Wucht der Provokation durch den Terror der Neonazis nicht annähernd in der Reaktion von Politik und Gesellschaft spiegelt. Stattdessen werden Rassismus und Antisemitismus externalisiert: Das Zwickauer Trio war?s, so die allgemeine Meinung, vielleicht auch noch die NPD, die mit einem Verbot dann auch verschwinden würde.

Entsprechend fallen die Schritte dagegen aus ? Rechtsextremismus als rein sicherheitspolitisches Problem. Es wird eine Verbunddatei über rechtextremistische Gewalttäter geben. Und ein Terrorabwehrzentrum. Beides in Verkennung der Tatsache, wie eingebettet die Neonaziszene längst im kommunalen Alltag ist und wie normal der allgemeine Rassismus, der ihn möglich macht. Das Bundesjugendministerium, zuständig für Demokratieprogramme gegen Rechtsextremismus, weiß das eigentlich. Doch fällt die dringend benötigte Unterstützung derjenigen, die sich täglich trotz der rechtsextremen Bedrohung in den Städten und Gemeinden engagieren, der ideologisch motivierten Rechts-links-Gleichsetzerei zum Opfer. Diese Anti-Neonazi-Projekte werden von vornherein des Linksradikalismus verdächtigt ? und vielleicht werden sie deshalb als einzige Zuwendungsempfänger in Deutschland genötigt, sich selbst und ihre Partner auf ihre Treue zum Grundgesetz zu überprüfen und die Verfassungsschutzberichte zu studieren, was angesichts des grandiosen Versagens des Amtes gegenüber Rechtextremen als besonderer Hohn empfunden wird. Statt also in die professionellen Projekte und das bürgergesellschaftliche Engagement ernsthaft zu investieren, wird kleinlich und misstrauisch reagiert. Anstatt eine Debatte über Rassismus zu führen, fürchten sich die Parteien davor, die Sarrazin-Fans in den eigenen Reihen, die den Islam und am liebsten gleich alle Einwanderer verbannen möchten, zu verschrecken. Und anstatt für eine neue und erfolgreiche deutsche Identität zu sorgen, die Einwanderer und hier Geborene selbstverständlich einschließt, wird das Problem mit den deutschen Neonazis als das einer winzigen Randgruppe weggeschummelt.

Doch was wäre angemessen? Nicht nur distanzierte Trauer, wie man sie entfernten Fremden übermittelt, sondern echte, aufrichtige Trauer, als hätten wir etwas Eigenes verloren. Die Opfer des Terrors waren Einwanderer, also sollte man sich ihnen zuwenden; sie sind Teil der deutschen Gesellschaft und sollten als solche behandelt werden. Das bedeutet auch, anzuerkennen, dass es Barrieren dagegen gibt, sie als Gleiche zu sehen. Seit der Debatte um Thilo Sarrazins Thesen, in denen er Teilen der Bevölkerung genetische Ungleichheit zuschreibt, ist es schwer geworden, über ganz banalen Rassismus in Deutschland zu sprechen. Dabei ist er Alltag. Diskriminierungen sind nicht nur ein strukturelles Problem, sondern auch ein mentales, eines, das den Alltag derjenigen begleitet, die nicht »deutsch« aussehen.

Rassismus lässt sich nicht durch bloßes »Zeichensetzen« überwinden. Das starke Deutschland wäre auch im europäischen Kontext glaubhafter, wenn es ernsthaft gegen den Rassismus im eigenen Lande vorginge. Dazu gibt es in der globalisierten Welt und im modernen Europa keine Alternative. Eine Mordserie von Neonazis, ausgerechnet in Deutschland, dem Land des Holocaust, und die Behörden merken es nicht ? das ist ein gesellschaftspolitischer GAU. Darauf gibt es Antworten, die von historischem Anstand, einem pragmatischen Blick in die Zukunft und geistesgegenwärtiger Empathie zeugen würden.

Gerade angesichts der Morde muss allen klar werden, wie groß die gemeinsame Verantwortung für das gesellschaftliche Klima in Deutschland ist. Es ist falsch, von Fremdenfeindlichkeit zu reden, das war und ist ein Euphemismus. Für die Hinterbliebenen der Neonaziopfer ist dieses Wort ein Schlag ins Gesicht. Sie in der dritten Generation als Fremde zu bezeichnen sagt etwas über Deutschlands Unwilligkeit aus, sich gesellschaftlichen Veränderungen zu stellen. Rassismus wurde lange genug totgeschwiegen; diese alte und verheerende Krankheit muss endlich von allen ernst genommen werden. Überall. Auch in der Politik ? und das mit aller gebotenen Klarheit der Worte und der politischen Maßnahmen. Nur das würde die Zwickauer Zelle und ihr Umfeld zu einer isolierten Gruppe machen. Alles andere bliebe lasch, unentschlossen und vor allem: unpolitisch.

Im April nun soll nun das Gebäude in der Frühlingsstraße in Zwickau abgerissen werden; das Geld dafür hat der Freistaat Sachsen bereits zugesagt. Für 65000 Euro soll gleich das ganze Haus verschwinden und nicht nur sein zerstörter Flügel. Man will keinen Wallfahrtsort für Neonazis schaffen. Zwickau darf sich dieses Symbols des Hasses entledigen. Die Forensiker haben alle Spuren und Asservate gesichert, die Polizei hat das Haus wieder freigegeben, den Rest erledigen dann die Abrisstechniker. Als hätte es je geholfen, ein Menetekel verschwinden zu lassen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der ZEIT vom 23.02.2012. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

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