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„Superwahljahr“ in Ungarn Widerstand gegen Victor Orbans demokratiefeindliche Politik?

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Sängerin Dorottya Karsay schrieb mit dem Song "Nem Tetszik a Rendszer" ("Ich mag das System nicht") die Hymne der ungarischen Protestbewegung gegen das Regime Viktor Orbáns. (Quelle: Screenshot )

Linke und linksliberale Parteien tun aktuell alles, um die Wiederwahl Viktor Orbáns von der rechtskonservativen Fidez-Partei zum Ministerpräsidenten bei der Parlamentswahl im April 2014 zu verhindern. Zur Wahl stellen sie den Sozialisten Attila Mesterhazy als Spitzenkandidaten und haben sich auf eine gemeinsame Liste der sozialistischen MSZP, Együtt 2014 (Bündnis für Meinungs- und Pressefreiheit) und der DK (Demokratische Koalition) geeinigt. Ein großer Schritt für so unterschiedliche Parteien, um nun die absolute Mehrheit der Fidesz zu brechen. Von dem, was jedoch in den letzten Jahren in Ungarn passiert ist, kommen nur punktuell Schlagzeilen in Deutschland an.

Ein Abriss der letzten Legislatur: Politik der Reichen und Privilegierten

Bei der letzten Parlamentswahl im April 2010 bekam die Fidesz-Partei die absolute Mehrheit. Die Fidesz ist der national-konservative Ungarische Bürger_innenbund. Zum Ministerpräsidenten wurde Viktor Orbán gewählt, János Áder zum Staatspräsidenten.

Eine der einschneidendsten Entscheidungen der ungarischen Regierung war das Mediengesetz aus dem Dezember 2010. Dieses Gesetz unterstellt sowohl die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten TV- und Radiosender, sowie auch Print- und Onlinemedien der Kontrolle einer Medienbehörde. Diese Behörde ist – natürlich – Fidesz-nah. Dieser Beschluss beschädigte das Verhältnis zwischen Ungarn und der EU zum ersten Mal nachhaltig, sodass Orbán im März 2011 unter der Kritik der EU einzuknicken schien und einige Teile des Gesetzes wieder zurücknahm. Vom ungarischen Verfassungsgericht wurden weitere Teile des Gesetzes gestrichen. Aber: Die Medien unterstehen weiterhin einer Kontrolle der Behörde. Und die Präsidentin dieser Behörde, ebenfalls aus den Führungsreihen der Fidesz, wurde auf neun (!) Jahre gewählt. Auf den öffentlich-rechtlichen Sendern findet man seitdem vor allem Unterhaltungsshows mit nationalem Flair.

Zwar hatte es nur eine symbolische Wirkung, jedoch steht es stellvertretend für vieles in Ungarn: Seit dem 1. Januar 2012 heißt Ungarn nicht mehr Ungarische Republik (Magyar Köztársaság), sondern nur noch Ungarn (Magyarország) – eine kleine Änderung, die ohne Aufsehen von der Fidesz durchgesetzt wurde, die aber doch zu denken geben sollte.

Weiter geht es mit der Präambel, dem “Nationalen Bekenntnis”. Dieses soll in allen Amtsstuben aushängen und beruft sich auf den christlichen Ursprung Ungarns und stellt klar: Roma und Menschen jüdischen Glaubens sind in der Gesellschaft, wie Orbán sie will, nicht erwünscht.Die neue Verfassung löst die alte der sozialistischen Volksrepublik von 1949 ab (die 1989 modifiziert wurde). Aber sie löst auch genauso das junge Prinzip der Demokratie, der Republik in Ungarn, ab. Die Unabhängigkeit der Justiz wird in Frage gestellt, wodurch eines der Hauptprinzipien der Demokratie, nämlich die Gewaltenteilung, keine Verwendung mehr findet.

Es bleibt 2012 nicht nur bei der Zensur der Medien, sondern Kunst und Theater werden zunehmend kontrolliert und zensiert. Fast überall findet man Fidesz-Mitglieder in den höchsten Positionen. Beispielsweise im Budapester Theater wird Györgyi Dörner zum neuen Intendanten. Wer ist dieser Györgyi Dörner? Györgyi Dörner ist ein bekannter Aktivist der rechtsextremen Szene Ungarns. Zu seinem Amt als Intendant hat ihm der Bürgermeister verholfen, der, wie könnte es anders sein, Mitglied der Fidesz ist.

Das Erstarken der radikalen Rechten

Die Politik Orbáns spielt sich schon lange nicht mehr nur im Parlament ab. Im Sommer 2012 marschiert die seit 2009 verbotene Ungarische Garde erstmals wieder in den Straßen Budapests auf. Sie werden euroapaweit als rechtsradikal und gefährlich eingestuft. Gefeiert wurde das fünfjährige Bestehen. Die Ungarische Garde wurde 2007 von der Jobbik gegründet. Wer ist die Jobbik? Die Jobbik Magyarországért Mozgalom (“Bewegung für ein besseres Ungarn”) ist eine rechtsextreme, radikal-agierende Partei. Sie sind momentan mit 12,2 Prozent die drittstärkste Partei im ungarischen Parlament. Jede_r sechste hat in der Krise die Jobbik als rechtsextreme und nationalistische Alternative gewählt. Sie nutzen die Abkürzung ‘“Jobbik”, denn es ist ein Wortspiel. Das ungarische Wort “Jobbik” kann nicht nur “Die Besseren” sondern auch “Die Rechteren” bedeuten.

Im Februar gewann ein Kommunist seinen Prozess in Ungarn: Er hatte gegen ein Gesetz geklagt, das es verbietet, den Roten Stern zu tragen. Er hatte zuvor für das Tragen mehrmals Geldstrafen bekommen. Das Verbot wurde vom Verfassungsgericht zu Mai 2013 aufgehoben, denn der Rote Stern ist kein Symbol, das durch realsozialistische Regime eingeführt wurde, er ist vielmehr das Symbol für internationale Solidarität. Das Perfide daran? Damit wird auch das Tragen jeglicher Nazisymbolik – wie Hakenkreuz und Pfeilkreuz – legalisiert, weil diese Symbolik gemeinsam mit dem Roten Stern verboten wurde. Es hätte die Möglichkeit bestanden, ein neues Gesetz zu verabschieden, dass zwischen dem Roten Stern und Nazisymbolik differenziert. Dies aber hat die Fidesz-Regierung nicht getan. Seitdem wird Nazi-Symbolik offen getragen und zum Beispiel auch tätowiert.

Am 11.03.2012 hat das Parlament trotz der Kritik in der EU und trotz der Widerstände und Demonstrationen in Budapest die vierte Verfassungsnovelle beschlossen. Die Novelle sieht Strafen bei Wahlwerbung in privaten Medien vor, beschneidet die Befugnisse des Verfassungsgerichts und verbietet Obdachlosigkeit. Das ist – wie schon so oft, seit Orbán seine Zweidrittel-Mehrheit hat – ein Schlag für die Schwächeren der Gesellschaft. 

Bedauerliche Zufälle – Antisemitismus, Antiziganismus und Akzeptanz von rechter Gewalt

In Ungarn gibt es allerdings nicht nur im Parlament problematische Entwicklungen, Ein wichtiges gesellschaftsweites Thema ist Antiziganismus: Roma werden schikaniert und benachteiligt, verfolgt, enteignet und ermordet. In Ungarn leben etwa 700.000 Roma, die unter den momentanen Umständen unter großer Angst und in großer Armut leben. Sie werden von Mitgliedern der Jobbik öffentlich als “Tiere” und als eine “Plage” bezeichnet. Übergriffe auf Roma werden von der ungarischen Justiz nicht aufgearbeitet und bekämpft. Zsolt Bayer, ein enger Orbán-Vertrauter, sagte, man müsse für die “Roma-Frage” “eine Lösung finden, und das “umgehend und mit allen Mitteln”. Das sind keine dummen Ausrutscher und keine Einzelpersonen – vielmehr wird auch von staatlichen Institutionen Hilfe verweigert.

Dazu passen die von der Regierung so betitelten “bedauerlichen Zufälle”. Wie kann es sein, dass der Fernsehmoderator Ferenc Szaniszlo vor vier Tagen, am Nationalfeiertag, die höchste staatliche Ehrung für Journalist_innen erhalten konnte? Ferenc Szaniszlo hatte Roma vor kurzem erst noch als “Menschenaffen” bezeichnet.

Wie kann es sein, dass der Archäologe Kornel Bakay, der von Jesus Christus behauptet, er sei kein Jude, sondern ein Prinz aus dem – angeblich mit den Ungarn verwandten – alt-iranischen Volk der Parther gewesen, den höchsten Verdienstorden erhält? Kornel Bakay stellte außerdem die These auf, dass Jüd_innen im Mittelalter Sklavenhandel organisiert hätten.

Und als dritter im Bunde bekam Janos Petras, der Leadsänger der Band Karpatia das Goldene Verdienstkreuz. Karpatia stehen in enger Verbindung mit der Jobbik und mit der paramilitärischen Ungarischen Garde. “Die Band besingt in ihren Texten die ‘unbefleckte Nation’ und ruft zu gewaltsamen Veränderungen der Grenzen Ungarns auf.”, so SPON.

Und was antwortet der für die Preise zuständige Minister? Das einzige, was Zoltan Balog dazu sagt, ist: Es sei ein bedauerlicher Zufall. Es gäbe aber auch keine juristische Handhabe, um den Preisträger_innen die Preise abzuerkennen.

Noch vor kurzem forderte die Jobbik die Registrierung aller in Ungarn lebenden Menschen jüdischen Glaubens. Glücklicherweise gingen tausende Menschen auf die Straße und protestierten mit einem gelben Stern am Revers gegen diese antisemitische Forderung.

2014 – das Jahr der drei entscheidenden Wahlen

2014 wird zeigen, ob sich Widerstand gegen die absolute Fidesz-Mehrheit auch in den Wahlen niederschlägt. Neben der Parlamentswahl, in der das Ziel sein muss, die Zweidrittel-Mehrheit zu kippen, stehen die Europawahl und die Kommunalwahlen an. Gerade auf dem Land ist eine Veränderung in der Kommunalpolitik notwendig – denn wo Denkmäler im Gedenken an Miklós Horthy (den Präsidenten, der mit dem faschistischen Italien und dem Dritten Reich zusammenarbeitete), feierlich eröffnet werden,  wird es Zeit, die Fidesz-Bürgermeister_innen abzuwählen.

Die Wahlen entscheiden darüber, inwiefern LGBTIQ*-Rechte verteidigt werden, inwiefern Roma und Sinti einen Platz in der Gesellschaft bekommen, inwiefern erwerbs- und obdachlose Menschen geduldet werden und welcher Kurs in Europa eingeschlagen wird.

Einen ersten Eindruck vermittelt der ungarische Wahl-o-mat. Dieser wurde von der Andrássy Gyula Universität Budapest und dem Netzwerk Politische Kommunikation entworfen und bezieht sich genau wie der deutsche Wahl-o-mat auf thematische Fragen.

„Soll sich Ungarn auf friedlichem Wege dafür einsetzen, die von Ungarn bewohnten Grenzgebiete in den Nachbarländern wieder an das Mutterland anzugliedern?“

Ein Thema, das in Ungarn immer wieder eine Rolle spielen wird, ist der Vertrag von Trianon. Dieser nahm Ungarn nach dem Ersten Weltkrieg etwa zwei Drittel der Fläche, sodass auch heute noch in den angrenzenden Ländern Menschen leben, die (nur) Ungarisch sprechen, sich für ungarische Politik und Kultur interessieren und somit die Forderung nach der Angliederung (Wahlprogramm der Jobbik) eine sehr emotionale ist.

Ob es überhaupt möglich sein wird, einen solidarischeren Umgang mit den benachbarten Ländern und eine Entzerrung der politischen und wirtschaftlichen Situation sowohl in Ungarn als auch im europäischen Kontext zu erreichen, wird sich zeigen. Die Notwendigkeit, diese Wahl vereint gegen Orbán zu führen, haben die linken und linksliberalen Parteien verstanden. Es wird keine Wahl sein, die zwischen Konservativen, Liberalen und Sozialist_innen entschieden wird. Es wird eine Wahl sein, die zwischen Orbán und Nicht-Orbán entscheidet. 

Der Song „Nem Tetszik a Rendszer“ („Ich mag das System nicht“) der Sängerin Dorottya Karsay ist die Hymne der ungarischen Protestbewegung gegen das Regime Viktor Orbáns.

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