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Flüchtlingsfeindlichkeit Wie eine Ausschusssitzung in Böhlen eskalierte 

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Plakat der „Freien Sachsen“ : ‚Wir wollen kein Asylheim!‘ (Quelle: Paul Podbielski)

In Böhlen kamen am 7. Februar rund 300 Menschen zu einer Infoveranstaltung vor dem Kulturhaus, um sich gegen eine geplante Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen auszusprechen. Diese ist, möglicherweise noch ab diesem Monat, im Gebäude einer ehemaligen Poliklinik in der Werkstraße geplant.

Freidrehende Sachsen und ihr Rassismus 

Wie bereits in Strelln, riefen die  „Freien Sachsen“, eine rechtsextreme Kleinstpartei, auch in Böhlen zu einer rassistischen Demonstration auf. Mobilisiert wurde auch in der verschwörungsideologischen Szene der Region. 

Auf einem Banner vor dem Gebäude der Bürgerversammlung stand „Wir wollen kein Asylantenheim“, und einige Teilnehmer*innen trugen Schilder um den Hals, auf denen rassistische Botschaften geschrieben standen. Gestört wurde die rechte Harmonie jedoch von einigen Antifaschist*innen. Währenddessen ging es im Saal des Böhlener Kulturhauses bei einer öffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses hoch her. Die Gemüter waren erhitzt. Offenbar glauben viele Böhlener, dass ihre Sicherheit durch den Zuzug muslimischer Migrant*innen massiv gefährdet sein. 

Ausgangslage in Böhlen 

der Besitzer einer inaktiven Poliklinik, am Rand der Stadt, bot das Gelände zum Beginn des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine als Unterkunft für Flüchtlinge aus der Ukraine an. Da zu diesem Zeitpunkt allerdings schon genügen Plätze zur Verfügung standen, lehnte das Landratsamt dieses Angebot ab. Zwischenzeitlich wurde eine Diskussion über die Nutzung des Geländes als Pflegeeinrichtung für Senior*innen gestartet, die sich aber mit dem erneuten Anstieg der Flüchtlingszahlen Ende 2022 wieder verlief. Zu diesem Zeitpunkt kam das Landratsamt erneut auf das Angebot des Eigentümers zurück und unterschrieb kurz darauf, im Dezember 2022, den Mietvertrag für das Gebäude, um dort zukünftig etwa 300 Geflüchtete unterzubringen. Damit soll der knapp 7.000 Einwohner-Ort Böhlen die größte Flüchtlingsunterkunft im Landkreis bekommen. Doch viele Bürger*innen scheinen damit gar nicht einverstanden zu sein. 

Die Stadt Böhlen und der Bürgermeister Dietmar Berndt (Parteilos) lehnten die Unterkunft von Beginn an ab. Die Infrastruktur der Stadt Böhlen habe keine Kapazitäten für die Aufnahme von 300 Personen. Sowohl der kaum vorhandene öffentliche Nahverkehr als auch die knappen Plätze in Kitas, Schulen und Deutschkursen stellen für die Stadt eine große Hürde dar.

Anstatt die Neuankömmlinge als Chance für einen Ausbau der Böhlener Infrastruktur anzusehen, sind aus der Bevölkerung lediglich besonders laute, ablehnende Stimmen zu hören. Die Fragen, die die Böhlener Bevölkerung im Rahmen der Informationsveranstaltung an den Bürgermeister und den Landrat stellten, waren durchgehend von Rassismus gezeichnet. Immer wieder implizierten die Bürger*innen in der Fragerunde, dass Flüchtlinge gefährlich und gewalttätig seien. Ihr Leben in Böhlen würde nach dem Zuzug der Flüchtlinge nicht mehr so sicher sein wie jetzt. Und auch das beliebte rassistische Argument, das Leben von Frauen und Kindern würde mit dem Zuzug von Geflohenen deutlich unsicherer werden, wurde hier bedient. 

Die Teilnehmer*innen unterschieden offenbar zu großen Teilen zwischen guten und schlechten Herkunftsländern. Bei der Erwähnung, dass wieder mehr Menschen aus Afghanistan in Deutschland ankommen, ging ein deutliches Raunen durch die Menge. 

Ein Bürger sagte, man wolle die „gescheiterte Einwanderungspolitik der Bundesrepublik nicht länger ausbaden“. Er fordert, Sozialleistungen für Asylbewerber*innen abzuschaffen. Über die Situation und die Bedürfnisse der Menschen, die aus Kriegsgebieten fliehen, wurde an diesem Abend nicht gesprochen.

Überforderte Kommunalpolitik und Wut-Bürger*innen 

Landrat Henry Graichen (CDU), welcher zur letzten Wahl auch von SPD, Grünen und FDP unterstützt wurde, reiste extra an, um die Fragen der Bürger*innen zu beantworten. Doch vom Geschehen wirkte er genauso überfordert wie der moderierende Bürgermeister. Selbst nach Aussagen wie: „Das ist ein Menschenschlag [….], uns muss klar sein, dass die nicht Händelbar sind“, gab es sowohl vom Landrat als auch vom Bürgermeister keinen Widerspruch. Nein, sie wiederholten immer nur dieselben Aussagen: Natürlich verstehe man die Ängste und Sorgen der Anwesenden. Gleichzeitig wurde darauf verwiesen, dass die Unterbringung von Geflüchteten eine Pflichtaufgabe der Kommunen ist, und man deswegen keinen Einfluss darauf nehmen könne. Und auch der Ortsverband der CDU schürte die rassistische Stimmung. Sie verkündeten gegen die Entscheidung des Landrates (auch CDU), Geflüchtete in Böhlen unterzubringen, klagen zu werden. 

Angestimmt von bekannten Rechtsextremisten rief ein Teil der Menschenmenge wiederholt  „Antifa abschieben!“, als Reaktion auf einen kritischen Zwischenruf und niemand, weder andere Besucher*innen noch Landrat oder Bürgermeister widersprachen der Menschenmenge. Solch ein Nicht-Einschreiten werten Rechtsextreme und Rassist*innen als Zustimmung für ihre Sache. Wenn Menschen Ängste haben, wenn Flüchtlinge zu ihnen in die Region ziehen, kann man ernst nehmen. Jedoch müssen vor allem Verantwortliche aus der Politik klare Grenzen aufzeigen. Spätestens, wenn bestimmte Menschengruppen pathologisiert und ganze Gruppen kriminalisiert werden, müssen Verantwortungsträger einschreiten und eine Grenze setzen. Solche Dinge dürfen nicht unwidersprochen stehen bleiben. Denn sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste Flüchtlingsunterkunft brennt.

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