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„juan-Praxisstelle“ Jugendarbeit muss antisemitismuskritisch rassismuskritisch und empowernd sein

(Quelle: AAS)

Mitte November fand die Abschlussveranstaltung der Praxisstelle Berlin statt. Mit der Arbeit des ju:an-Büros in Hannover ist 2020 leider Schluss. Denn auch ju:an ist von den Kürzungen der „Demokratie leben!“-Mittel betroffen. Wie geht es nun weiter?

Wie kann Jugendarbeit in Zukunft antisemitismuskritisch, rassismuskritisch und empowernd gestaltet werden?  Die Praxisstelle ju:an war in den letzten acht Jahren bundesweit tätig, mit Büros in Berlin und Hannover. Nun endet die Projektförderung des Bundesprogramms “Demokratie leben”. Ju:an gehört zu den 300 Projekten, die im neuen Bundesprogramm ab 2020 keine Förderung mehr erhalten. Während das Berliner Büro mit großer Wahrscheinlichkeit im nächsten Jahr durch das Land Berlin finanzieren wird, muss die Arbeit in Hannover voraussichtlich beendet werden. Wie wichtig die Arbeit der ju:an-Praxisstelle in dieser Zeit war, zeigen Stimmen aus einem offenen Solidaritätsbrief von Teilnehmer*innen eines Workshops, als sie erfuhren, dass die Praxisstelle zumindest in Niedersachsen die Arbeit wohl nicht fortführen kann:

„Die Praxisstelle ju:an hat mir ganz praktisch gezeigt, wie Kämpfe gegen Rassismus und Antisemitismus gemeinsam geführt werden können. Die Arbeit des Projekts ist ein Beispiel der Solidarität, die es zwischen betroffenen Gruppen braucht. Der Workshop war informativ, ressourcenorientiert, kraftvoll und ermutigend. Die drohenden Kürzungen für „Demokratie leben!“ im Allgemeinen und ju:an im Besonderen sind schockierend. Sie zeigen eine Unfähigkeit, die Zustände richtig zu verstehen, die den Nährboden für Diskriminierung und rechten Terror bilden. Etwas gegen diese Zustände zu tun ist das, was die Mitarbeiter*innen von ju:an mit ihrer Arbeit leisten. Danke an ju:an für eure Solidarität.‘‘

Miriam Burzlaff, Dozentin für Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin, moderierte die Abschlussveranstaltung des Projektes. Hier stellten die Mitarbeiter*innen der Praxisstelle ein neues Poster vor.

Das Poster kann als ,,Single-Auskopplung’’ verstanden werden, so die ju:an-Leiterin Rosa Fava, als Vorgeschmack auf die Ende des Jahres erscheinende ausführliche Handreichung mit Projektergebnissen. Mit dem Poster möchte die Praxisstelle aufzeigen, dass auch schon kleine Denkanstöße im Bereich der Antisemitismus- und Rassismuskritik etwas verändern können und zur Organisationsentwicklung von Jugendeinrichtungen beitragen. Wichtig ist, dass sich neben der eigentlichen ,,Jugendarbeit‘‘ auch in den Bereichen ,,Personal‘‘ und ,,Verwaltung bzw. Trägerschaft‘‘ der Einrichtungen etwas bewegt. Im Poster sind die drei Bereiche als Zahnräder dargestellt, als getrennte, aber ineinandergreifende Aufgabenfelder. Rassismus und Antisemitismus dürfen hier nicht nur als randständige Themen betrachtet werden, sondern als zentrale Aspekte in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen.

Bildungsprozesse und Haltung bei Entscheidungsträger*innen und Fachkräften 

Gerade bei Personen mit Entscheidungsmacht, etwa den Leitungen von Einrichtungen oder Jugendämtern, ist es wichtig, dass sie dafür sorgen, dass rassismuskritische und antisemitismuskritische Themen in den Einrichtungen verhandelt werden. Die Erfahrung der Mitarbeiter*innen der ju:an-Praxisstelle zeigt nämlich, dass man hier häufig auf Abwehr stößt. Aussagen wie ,,Antisemitismus und Rassismus gibt es bei uns nicht’“ sind zwar ein guter Wunsch, aber keine Realität. Sie machen deutlich, dass es immer noch einen Mangel an Bewusstsein für die gesamtgesellschaftliche Wirkmächtigkeit von Rassismus und Antisemitismus gibt.

Die Beschäftigung mit dem Poster kann nur ein Anstoß für einen langen Bildungsprozess sein. Hierbei ist in der Jugendarbeit vor allem die Entwicklung einer rassismus- und antisemitismuskritischen Haltung der Fachkräfte in der Jugendarbeit entscheidend. Dazu gehört auch, gegenüber der Politik mit der Forderung für mehr Ressourcen für eine diskriminierungskritische Jugendarbeit aufzutreten. Besonders wichtig ist, eigene potentiell rassistische und antisemitische Denkmuster zu reflektieren sowie Betroffene zu empowern und ihren Positionen Raum geben. Auch Begriffe wie Demokratie und Vielfalt dürfen diesbezüglich nicht nur Worthülsen in der Selbstdarstellung einer Einrichtung sein. Vielmehr ist Vielfalt in den Jugendeinrichtungen bereits vorhanden, sie muss nicht erst hergestellt, sondern vielmehr sichtbar gemacht werden. Allen Jugendlichen muss Teilhabe ermöglicht werden.

In der langjährigen Arbeit der Praxisstelle hat sich immer wieder gezeigt, dass es bereits in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen entscheidend sein kann, Betroffene zu empowern. Dabei sind Maßnahmen zur Prävention von Rassismus und Antisemitismus auch immer als Intervention zu verstehen. Denn auch Jugendarbeit findet in einer bereits ,,verletzten Welt‘‘ statt, in der Diskriminierung für viele Menschen alltäglich ist.

Ein forschender Blick von außen und Stimmen aus dem Publikum

Zum Abschlusspodium waren die  Mitarbeiter*innen der Praxisstelle, Kiana Ghaffarizad und Berivan Köroğlu geladen. Zum ju:an-Team gehört außerdem Golschan Ahmad Haschemi. Dazu referierte Dorothea Pahl, die im Rahmen ihrer Masterarbeit zu antisemitismus- und rassismuskritischer Bildungsarbeit forschte. Auch sie betonte, wie wichtig es sei, dass pädagogische Fachkräfte für Rassismus und Antisemitismus zu sensibilisieren. Da niemand etwas mit Rassismus und/ oder Antisemitismus zu tun haben möchte, werden die Themen häufig externalisiert, also auf andere Gruppen übertragen oder als Problem der Vergangenheit angesehen. Sie müssen aber in der eigenen Einrichtung und bei sich selbst verhandelt werden. Stimmen aus dem Publikum machten besonders den Mangel an Ressourcen deutlich, unter dem engagierte Fachkräfte leiden. Hier müssen klare Forderungen nach langfristigen Förderungen und einer Verankerung von Antisemitismus- und Rassismuskritik als Querschnittsthemen in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen an die Politik gerichtet werden. Der Ressourcenmangel darf jedoch auch nicht als Ausrede gelten, da es in der Arbeit mit Jugendlichen vor allen Dingen darum geht, selbst eine diskriminierungskritische Haltung zu entwickeln.

Die Resonanzen aus dem Publikum der Abschlussveranstaltung sowie der Solidaritätsbrief zeigen, dass eine rassismus- und antisemitismuskritische Haltung zentraler Teil der Jugendarbeit sein muss – aber Begleitung dabei benötigt wird. In Zukunft begleitet wenigstens das Team der ju:an-Praxisstelle in Berlin die Prozesse von Fachkräften, eine solche Haltung zu entwickeln, gerne noch weiter. Der Anstoß des Posters kann also auch 2020 noch vertieft werden.

 

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