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Mecklenburg-Vorpommern 2018 „Die wilde Jagd und die deutsche Jagd ― auf … Blut und Tyrannen.“

"Herz statt Hetze“-Demos gegen rechten Hass und Hetze in Schwerin (Sep./Okt. 2018)

 

Einleitende Annäherung

„Die wilde Jagd und die deutsche Jagd ― auf … [Henkers] Blut und Tyrannen“ ist ein Zitat aus einem patriotischen Gedicht von Theodor Körner. Die Junge Alternative (JA Brandenburg) instrumentalisierte die Verse des Wahlmecklenburgers Körner (gest. 1813 in Lützow) als Anspielung auf das Epos „Lützows wilde Jagd“. Dadurch sollte vor allem in den neuen Ländern ein gleichsam deplatziertes wie taktloses T-Shirt (Aufdruck: „Merkel Jagd Club“) lanciert werden. Vor diesem Hintergrund kann man ebenfalls für den Nordosten feststellen, dass respektloses, denunzierendes und menschenverachtendes Denken in der Öffentlichkeit kursiert, das ein problematisches Niveau erreicht. Der Aufdruck der „T-Hemden“ ― inkl. stilisiertem Gaulandschen Dackelkrawattenkonterfei im Vordergrund und Schusswaffen im Hintergrund ― nimmt in sarkastischer Art und Weise die aufgeheizte und gewalttätige Stimmung vorweg, die den Chemnitzer Herbst der „fallenden Masken“ auszeichnet, wo die AfD mit gewaltbereiten Neonazis, Hooligans, völkischen Rechtsextremen und hetzenden Rassist*innen öffentlichkeitswirksam den Schulterschluss probte.

Ebenfalls auf dem T-Shirt: Die blaue Kornblume, die als deutschnationales Symbol u.a. in den 1930ern in der bald von den Nazis okkupierenden „Ostmark“ von Nazisympathisant*innen als Erkennungszeichen getragen wurde. ― Ein Zufall?! Alles lediglich ein beißender Scherz?! Dennis Hohloch, Vorsitzender der JA in Brandenburg, wählte die Symbolik meiner starken Vermutung nach mit Bedacht. Er verwies aber ausschließlich auf die freiheitlich-bürgerliche Bedeutung der Kornblume im 19. Jahrhundert. Provokation als Prinzip.

Ähnlich unausgewogen schaute die AfD im Rahmen ihrer Veranstaltungen in M.-V. auf den 9. November als Freiheits- und Gedenktag der Deutschen. Sie hat dabei lediglich den Mauerfall von 1989 im Blick. Indes, Geschichte ist nicht teilbar. Genauso wenig wie die Menschenrechte. Historische Entwicklungen stehen stets in einer mehrdimensionalen Kausalkette, in einem komplexen sozialwissenschaftlichen Kontext. Wer sich nur jene Kettenglieder herausschneidet, die die eigene politische Ideologie argumentativ stützen, der hat, wie die Protagonist*innen der extremen Rechten und einige Vertreter*innen der AfD hierzulande, nichts aus der Geschichte gelernt. Wer den 9. November zitiert, die/der muss auch auf die Novemberereignisse von 1848 (Hinrichtung Robert Blums in Wien von Militärs der aristokratischen Gegenrevolution) hinweisen. Der/die muss auch die Sachverhalte vom 9. November 1918 (das Hohenzollern-Regime stürzt und Philipp Scheidemann ruft die Republik aus) oder den Marsch der hasserfüllten Demokratiefeinde um Erich Ludendorff sowie Adolf Hitler auf die Feldherrnhalle in München (9.11.1923) im Blick haben. Wer den 9. November im Gedenken ― in Anbetracht der Begebenheiten von 1989 feiert ―, der/die muss auch still werden und mahnen, wenn er/sie an die deutschen Erfahrungen aus dem Späthebst des Jahres 1938 denkt, wo Antisemitismus, Hass und Hetze den umfassenden Zivilisationsbruch der Nazis ankündigten, der in seiner kaum zu überbietenden Grausamkeit und Menschenverachtung noch kommen sollte. Wer jene Bruchzonen unserer Kultur und Gesellschaft ausblendet, der/die geht auf dünnem politischen Eis, unter dem der reißende Strom von Geschichtsvergessenheit und bitterkalter Ignoranz dahingrollt. Letztere Einlassung gilt freilich ohne Ansehen von Personen sowie ungeachtet des politischen Spektrums ihrer Überzeugungen.

Aufgrund der mangelnden Distanz der AfD-Fraktion Mecklenburg-Vorpommern zu Rechtsextremismus und Gewalt zogen 2018 vier Landtagsmitglieder (Ralf Borschke, Matthias Manthei, Bernhard Wildt sowie Christel Weißig) Konsequenzen, traten aus der AfD aus und gründeten ihre eigene Partei: Bürger für Mecklenburg-Vorpommern (BMV). Diese löste sich Ende 2018 bereits wieder auf. Die Separatist*innen traten daraufhin mehrheitlich den FREIEN WÄHLERN bei, mit denen sie auch im kommenden Jahr in den Kommunal- und Europawahlkampf ziehen wollen.

Auch an der Ostsee von Relevanz ― M.-V. richtet als bisher letztes Bundesland NSU-Untersuchungsausschuss ein

Im Mai des Jahres 2018 wurde nun auch im M.-V. die Einrichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses zum NSU beschlossen ― erste (von den überhaupt noch vorhandenen) Akten zur rechten Terrorserie, die vor sieben Jahren ans Licht der Öffentlichkeit kam, werden seit November gesichtet. Uwe Böhnhardt, die verurteilte Beate Zschäpe und Uwe Mundlos haben dito in Mecklenburg-Vorpommern gemordet, geraubt, neonazistischen Hass und Hetze verbreitet. Aktuell erfolgt auch hierzulande die Aufarbeitung der Taten. Freilich stellt sich die Frage, wie eng die Verbindungen des NSU zu den Kamerad*innen im M.-V. gewesen sein mögen. Gab die hiesige völkische Szene den Terroristen Unterschlupf? Wurden diese über Monate logistisch oder finanziell unterstützt, wenn sie Sparkassen, Geldtransporte (Stralsund) und Mordopfer (Mehmet Turgut, Rostock) ausgespäht sowie ihre Bluttaten vorbereitet haben?

Der rechtsextreme „Levensboom“- Versandhändler und NPD-Führungsaktivist David Petereit (Neustrelitz) war lange Jahre unter dem Pseudonym „Eihwaz“ eine zentrale Figur der Nazi-Postille „Weißer Wolf“. ― „Vielen Dank an den NSU, es hat Früchte getragen 😉 Der Kampf geht weiter…“. Dieser Satz steht deutlich hervorgehoben mitten im Vorwort der Ausgabe 1/2002 (Nr. 18) des neonazistischen Fanzines für Mecklenburg-Vorpommern. An dieser Stelle sei der prägende Satz des Herausgebers nochmal in Erinnerung gerufen: „Wenn die Zeiten härter werden ― muß [sic!] der Kampf es auch werden. Unterstützt die Kameraden in Haft, im Rechtskampf, auf der Straße, bildet Netzwerke ― nur vom Musikhören und Feiern kommt die Wende nicht!“ Der Aufruf wurde weiland von den verbliebenen rechten Bands und Autoren aus dem verbotenen Blood and Honour-Spektrum (Verbot 2000) von „Combat 18“, der Heimattreuen Deutschen Jugend (Verbot 2009) sowie der Wiking-Jugend (Verbot 1994) vernommen und weitergetragen.

An dieser Stelle drängt sich die Frage auf, ob ein neuer NSU denkbar ist? ― Angesichts der radikalisierten Stimmung, die sich bundesweit von rechts im Jahr 2018 Raum bahnt, muss meiner Einschätzung nach die Frage nicht mit der Konjunktion „ob“, sondern mit dem Adverb „Wann?“ gestellt werden.

Im Zeitraum 2018 entziehen sich aktuell 470 Neonazis der Verhaftung, 108 der Verdächtigen wurden aufgrund  eines politischen Delikts (Hass und Feindseligkeit, insbes. Strafgesetzbuch (StGB) § 130 „Volksverhetzung“ oder  StGB § 86a, „Propagandadelikte“) gesucht, 99 wegen eines Gewaltdelikts. In der Tat hat sich diese Zahl der flüchtigen Rechtsextremen seit dem Jahr 2014 (März 2014: 253 Personen) annähernd verdoppelt. ― Und die Weite, dünnbesiedelte Fläche M.-V.s mit seinen völkischen Siedlungsenklaven und professionell organisierten Neonazistrukturen bietet mutmaßlich viel Raum zum Untertauchen.

 

Die NPD erwacht 2018 in M.-V. mit alten Parolen aus dornigem Schlaf

― Verbindungen zum völkischen Flügel der AfD dito im Nordosten unübersehbar

Die Protagonist*innen der NPD zeigen sich 2018 auch in der Öffentlichkeit defibrilliert. Beim alljährlichen „Trauermarsch“ in Demmin zum 8. Mai demonstrierten etwa 180 Neonazis, Akteure von autonomen Nationalist*innen und Mitglieder aus dem Spektrum der Freien Kameradschaftsszene. Darunter zeigten assoziierte Gesinnungsgenossen des „Kameradschaftsbundes Anklam“, der „Kameradschaft Dreiländer Jungs“ sowie des „Kameradschaftsbundes Usedomoder Personen aus dem Hammerskin-Umfeld Flagge. Weiterhin waren ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete wie David Petereit, Stefan Köster oder Michael Andrejewski zu sehen. Aber auch völkische Holocaustleugner wie die ehemalige Zentralfigur der „Europäischen Aktion“, Bernhard Schaub, nahmen teil. Die bunten Gegenaktionen des Bündnisses Demmin Nazifrei wurden von der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ lautstark intoniert.

Überhaupt zeigten sich im Jahresverlauf 2018 in M.-V. bei öffentlichen Auftritten wiederholt die unübersehbaren Überschneidungen zwischen Vertreter*innen der AfD, Identitären (IB), völkischen Ultrakonservativen (z.B. der NPD-dominierten MVgida-Gruppierung), Burschenschaftlern und freier Neonaziszene. Bei den Mahnwachen (so etwa in Rostock oder in der Landeshauptstadt Schwerin), die als Reaktion auf die dramatischen Ereignisse von Chemnitz entlang der Ostsee im Herbst initiiert wurden, standen Mitglieder der AfD Seit-an-Seit mit Personen, die eindeutig dem rechtsextremen Spektrum zuzuordnen sind. Namentlich Andreas Theißen sowie Michael Grewe oder einem bekannten ehemaligen Kameraden der „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ), Ragnar Dam.

Dies nimmt kaum Wunder, da die Hardliner der AfD-Landtagsfraktion, hier beispielsweise Bert Obereiner oder Jens-Holger Schneider, sich bereits in der Vergangenheit auf Anti-Asyl-Demonstrationen der NPD als „interessierte Bürger“ umgeschaut hatten. Unter den islamfeindlichen Mitdemonstrant*innen befanden sich weiland dito die Chefin der NPD-Frauenorganisation, Antje Mentzel, der bekannte nationale Jameler Rechtsextremist Sven Krüger oder auch Roland R. und Frank E., die als Kumpanen der regionalen rechten Szene das Megalith Open Air in Grevesmühlen organisieren. Die AfD-Abgeordneten Jens-Holger Schneider und Bert Obereiner trugen vor diesem Hintergrund bereits 2016 das Banner des islamfeindlichen Blogs „PI News“ durch die mecklenburgisch-vorpommersche Landeshauptstadt, während hassschürende rechte Hetzer ihre menschenverachtenden Rhetorik gegen Geflüchtete und Ausländer aller Couleur über den Schweriner See brüllten. Zudem liegt ein Schulterschluss von einflussreichen Teilen der AfD in Mecklenburg-Vorpommern und Pegida nahe: Oder wie soll man den Bürgerdialog als gemeinsame Veranstaltung beim gemeinsamen „Kampf gegen die Islamisierung Deutschlands“ Anfang 2018 in Schwerin anders bewerten? Pegida-Gründer Lutz Bachmann und AfD M.-V.-Vize Christoph Grimm scheinen diese gegenseitigen Avancen zu goutieren ― wächst hier (im krassen Gegensatz zum geltenden Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD von 2016) zusammen, was zusammen gehört?

 

Geschäfte und Wirtschaftskreisläufe in Mecklenburg-Vorpommern mit politischen Implikationen

Geschäftstüchtig sucht die rechtsextremistische NPD in M.-V. gegenwärtig  bedingt durch ihr Ausscheiden aus dem Landtag (2016) ― verstärkt selbstbewirtschaftete Strukturen im Bau- und Handwerksgewerbe sowie neue Wertschöpfungs- und Finanzierungsquellen aufzutun. Im gleichen Atemzuge sollen völkische Ansiedlungsprojekte unterstützt werden. Als „nationale Graswurzelarbeit“ bezeichnet dies der JN-Vorsitzende Sebastian Richter im Neonazi-Magazin „Der Aktivist“. Dementsprechend machte die rechte „Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG (MVSE)“ im laufenden Jahr 2018 Schlagzeilen. Nach meiner persönlichen Überzeugung ist in diesem Kontext das Unternehmertum selbstverständlich nicht vom rechtsextremen Aktivistentum zu trennen. Die wirkungsmächtige Stiftung ununterbrochener rechtsextremer Lebenswelten, die die menschlichen Daseinsbereiche Arbeit, Leben, völkische Ideologie, nordisches Neuheidentum („ultraorthodoxer Neopaganismus“), Trainings- und Wehrcamps, neue germanische Heilkunde und Freizeitgestaltung bis hin zur perspektivischen Gründung von rechten Kitas und Freischulen umfassen, ist das strategische Mittlerziel dieser Bemühungen.

Dies würden hinter verschlossenen Türen wohl auch der ehem. Aufsichtsratsvorsitzende der MVSE, der szenebekannte Rechtsextremist Torgai Klingebiel oder das völkische Vorstandsmitglied, Andreas Kolb, bestätigen. Die Anschrift der geplanten Neonazi-Genossenschaft im nordwestmecklenburgischen Grevesmühlen ist dabei hinlänglich bekannt: sie ist identisch mit der des Neonazitreffs „Thinghaus“. Zur Erinnerung: Vormals wurden hier im Umfeld der Wahlkampfbüros der ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster äußerst geschmacklos Würstchen auf den Rost gelegt, die einem nur im Halse stecken bleiben konnten: Denn auf besagtem Großgrill stand in Frakturschrift „Happy Holocaust“ zu lesen.

Diese Entwicklung ist fraglos besorgniserregend. Denn lassen wir die Immobilien rechter Burschenschaften oder den mutmaßlich bevorstehenden Gebäudeeigentumserwerb der Identitären Bewegung (IB) in Rostock und anderswo außen vor, so verzeichnen wir von offiziell 136 REX-Immobilien, die in der Bundesrepublik für antidemokratische Aktionen genutzt werden, etwa 15 allein in Mecklenburg-Vorpommern (Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/518, 2018).

Die Aktivitäten der „Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG (MVSE)“ liegen derweil auf Eis. Grund hierfür ist auch ein Zeichen von Zivilcourage: Norbert Rückriemen, Justitiar und Prüfer eines Berliner Genossenschaftsprüfverbandes, dem sich die MVSE zwischenzeitlich angeschlossen hatte, legte nach einem persönlichen Gespräch mit den braunen Genossenschaftlern den Austritt nahe, so sie nicht hinausgeworfen werden wollen. (Vgl. u. a. die Recherchen von  Christian Fuchs und Astrid Geisler in der ZEIT)

 

Rechtsextreme Splittergruppen (Prepper/Doomer, Reichsbürger, Identitäre, Völkische Siedler) auch 2018 in M.-V. aktiv,

oder: weshalb sich „Hannibal“ hierzulande so sicher fühlen kann

Zeugen und Verdächtige, die mit der ultrarechten Prepper-Truppe „Nordkreuz“ in Verbindung stehen, können, wenn es um ihre perspektivische Zukunft geht, in M.-V. auf das Wohlwollen der AfD bauen. So fand etwa Haik J., einer der Hauptbeschuldigten des seit vergangenem August laufenden Antiterror-Verfahrens der Bundesanwaltschaft mit mutmaßlich gutem Kontakt zum Unteroffizier Franco A. (alias „David Benjamin“; verschiedene taz-Investigativjournalist*innen sowie das RAA-RZ Westmecklenburg berichteten), eine neue Beschäftigung als stellvertretender Vorsitzender des Landesfachausschusses „Innere Sicherheit, Justiz und Datenschutz“. Ebendies teilte der Chef der AfD-Landtagsfraktion, Nikolaus Kramer, mit. Kramer, selbst Mitglied im Landesvorstand seiner Partei, pflegt nachweislich ein eher unreflektiertes Verhältnis zur jüngeren deutschen Geschichte und sieht auch wenig Anstoß darin, ein Bild marschierender SS-Truppen in sozialen Netzwerken zu posten. (Vgl. NDR 1 Radio MV, Beitrag u.a. vom 1.2.2018) ― Ob es sich bei der Reaktivierung des so genannten NS-Blutordens unter maßgeblicher Beteiligung des AfD-Fraktionschefs um eine Zeitungsente respektive die Möglichkeit einer perfiden Intrige handelt, auf dass der Fraktionschef Nikolaus Kramer Schaden nehmen soll, oder ob an den Vorwürfen tatsächlich etwas dran ist, wird die Zukunft zeigen. (Vgl. NORDKURIER, 28.11.2018 sowie 29.11.2018)

Apropos: Wenn landesweit agierende Ermittler vom „Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat“ von Teilen der militarisierten Prepperszene in M.-V. sprechen, so herrscht auch in der Bundesrepublik des Jahres 2018 ― bis auf wenige Ausnahmen ― ein gefährliches Schweigen. Die potenzielle Existenz eines rechten Netzwerkes, das in nicht unwesentlichem Maße aus KSK-Elitesoldaten, Sicherheitsleuten, (Ex)Soldaten und Polizisten besteht, und das im Untergrund den „Tag X“ (also den Zusammenbruch der demokratisch-rechtsstaatlichen Freiheitsordnung) betriebsam vorbereitet, findet kaum öffentliche Erwähnung. Weder findet die Nachricht in weiteren etablierten deutschen Medien statt, noch wird diese von den regierenden Parteien hierzulande kommentiert. Diese Einschätzung vieler Akteur*innen in offiziellen Zirkeln ist fatal. Der Reflex des öffentlichen Verdrängens, der Verleugnung und der Relativierung ist, man muss es so sagen, unfassbarer Teil des sich abzeichnenden Skandals.

Recherchen rund um die Prepper-Chats im Umfeld des militanten Netzwerkes um den KSK-Elitekämpfer André S., Deckname „Hannibal“, ergaben, dass gerade neben dem Deponieren von Vorräten an Nahrungsmitteln und Treibstoff auch ein Munitionslager in den Wäldern entlang der Ostseeküste angelegt werden soll. Wir erinnern: Bereits im Vorjahr fand man in der Garage des Rostocker Anwalts und Mitglieds der Preppertruppe „Nordkreuz“, Jan Hendrik H., ein wahrhaftes Waffenarsenal vor.

Ob sich in der Tat in M.-V. und bundesweit vernetzt ein „konspiratives Geflecht“ aus rechten Multiplikatoren innerhalb der Sicherheitsbehörden ausgebildet hat, das „auch vor der gezielten Tötung politischer Gegner nicht zurückschreckt“, muss viel energischer und vor allem transparenter beleuchtet werden als bisher!

Nach meinem Dafürhalten ist es wichtig, die bereits bekannten Entwicklungen ernst zu nehmen und nicht zu unterschätzen. Aus meiner Sicht ist eine aufmerksame Beobachtung sowie konsequente Ermittlung der Vorgänge durch staatliche Organe unerlässlich aufgrund der Gefahr, die von Gruppierungen wie diesen  ausgeht. Hinzu käme die transparente Information der Personen oder Organisationen, die möglicherweise zur Zielscheibe dieser besonderen Form rechter Militanz werden könnten oder die bereits im Fadenkreuz der Verfassungsfeinde gestanden haben.

Die Zahl so genannter „Reichsbürger“ und „Selbstverwalter“, die die Bundesrepublik ablehnen, stieg entlang der Ostseeküste seit 2016 offiziell von 300 auf 400 Personen an (Vgl. Verfassungsschutzbericht 2017). Der Organisations- und Vernetzungsgrad dieser rechten Extremisten professionalisiere sich seit geraumer Zeit. Dies unterstrich 2018 auch Innenminister Lorenz Caffier (CDU), Innenminister in Mecklenburg-Vorpommern, im Rahmen der Vorstellung des aktuellen Verfassungsschutzberichtes. In einem speziellen Fall mussten Behörden von einem „Reichsbürger“ hierzulande vier scharfe Waffen und einige Tausende Schuss Munition konfiszieren. Rüdiger H., der multimedial aktivste Reichsbürger in Westmecklenburg, welcher den Blog „staatenlos“ betreibt und eine wöchentliche Mahnwache in Wittenburg organisiert, verbüßte 2018 eine Haftstrafe wegen Missachtung der Justiz.

Die Identitären (IB) haben 2018 an der Küste anscheinend mit stärkerem Gegenwind zu rechnen als in den zurückliegenden Jahren. So liegt die ursprünglich geplante Sitzverlegung der IB-Bundeszentrale in der Hansestadt Rostock ― auch aufgrund energischer zivilgesellschaftlicher Gegenproteste ― „erst einmal auf Eis“. Der diesbezügliche Mietvertrag wurde aufgelöst. Nichtsdestoweniger trollen und spoilen die Aktivist*innen der IB die sozialen Netzwerke 2018 mit Hass, Hetze und menschenfeindlichen Parolen in bisher nicht gekanntem Maße. Auch das Bildungsministerium in Schwerin sah sich 2018 gezwungen, den Schulen im Land die Nutzung einer Fahrradfibel zu untersagen, in der auch eine Firma aus dem Umfeld der Identitären Bewegung (IB) beworben wird. Das identitäre Projekt „Wellenbrecher MV“ versucht, neue Sympathisanten für die kruden rassischen Thesen der Rechtsextremist*innen zu generieren. IB-Protagonisten wie Torsten Görke oder Daniel Sebbin, die bereits die desolat verlaufene Kampagne „Defend Europe“ um den österreichischen Blogger Martin Sellner unterstützt hatten, stiften mit der Setzung diverser „schicker Sublabels“ im Umfeld der IB in M.-V. gewissermaßen neue Formate mit Scharnierfunktion, die die Schwelle zum Mitmachen insbesondere bei Jugendlichen senken sollen. Wie die Kolleg*innen der stets bestens informierten Recherchegruppe AST feststellen, finden sich „unter den ‚Likes‘ der Wellenbrecher-Facebookseite sich nicht nur Identitäre sondern Kader der NPD, wie Tino Streif oder Stefan Suhr, und auch Mitglieder von Kameradschaften, wie der „Freien Kameradschaft Wismar“. Mit dem Post: „Der Widerstand wächst! Teilt und unterstützt bitte unsere Freunde von Wellenbrecher MV!“ hatten die „Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund“ bereits vor […] Werbung auf ihrer Facebook-Seite gemacht. Für die kommenden Monate ist mit weiteren Aktivitäten der „Wellenbrecher MV“ zu rechnen.“

Identitäre Bewegung und Völkische Sieder*innen (VS) pflegen im Norden der Republik nach wie vor einen intensiven Austausch. Wir gehen hier gewissermaßen von einer rechtsextremen Arbeitsteilung aus: wo die Hippster-Nazis der IB den verkrusteten bewegungsförmigen Rechtsextremismus in die Postmoderne führen, da treiben Völkische Aktivist*innen die ultranationale und rassische Vorfeldpolitik auf dem platten Land im Stillen weiter voran ― kurzum, die Sozialraumstrategie rechtsextremer Familien fällt auf den Hinterhöfen der Dörfer M.-V.s auf „fruchtbaren Boden“.

In Mecklenburg-Vorpommern sind die Hotspots der VS weiterhin in erster Linie in den Landkreisen Rostock sowie in Nordwestmecklenburg verortet, wohingegen sich in Niedersachsen völkische Familien vor allem in den Landkreisen Uelzen, Lüneburg und Lüchow-Dannenberg niedergelassen haben. Auch 2018 bleiben die NS-ideologisch und streng antidemokratisch geschulten Kader der Völkischen Siedler („Als Speerspitze der nationalen Erneuerung!“ Udo Pastörs, NPD) im Hintergrund.

Sie kämpfen nicht um Klicks und Aufmerksamkeit in den sozialen Netzwerken. Sie leben zurückgezogen, unauffällig und abgeschottet, und sie betreiben nichtsdestoweniger die aggressive Unterwanderung demokratischer Strukturen in ruralen Räumen.

Damit sind Identitäre Bewegung und Völkische Siedler zwei Seiten derselben Medaille des organisierten wie in bisher nicht gekanntem Maße restaurierten Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Und beide grundverschiedenen Aktivist*innengruppen bedienen sich spezieller politischer Methoden. Beide Gruppen beherrschen die Klaviatur der Unterminierung pluraler Kultur und des demokratischen Konsens. Jede der Extremistengruppen auf ihrem ureigenen Betätigungsfeld: Die einen mit lauthals agitierendem Krakeel und Megafon, die anderen mit der leisen Demagogie, mittels rassischer Indoktrination und Manipulation über’n nachbarschaftlichen Gartenzaun. Die eine Gruppe in urbanen Zentren, deren Mitglieder versuchen, digitale Meme (aka „Bewusstseinsinhalte“) zu setzen und öffentliche Diskurse destruktiv zu beeinflussen ― die anderen in abgelegenen, stillen Dörfern, in denen z. T. Wut und Frustration der alteingesessenen Bevölkerung die rissige Patina der Identifikation mit unserem rechtsstaatlichen Gemeinwesen seit langem gewissermaßen aufzureißen drohen. Auch zwischen 2016―2018 fanden wiederholt rituelle Feste sowie „völkische Tanz- und Familienveranstaltungen“ der Rechtsextremen in Dörfern wie Jamel, Koppelow (M.-V.), Wibbese oder Edendorf im Landkreis Uelzen (Niedersachsen) statt. Im Koordinatensystem rechter Gruppen gelten diese verwaisten Landstriche als Rückzugsräume ― und als Erinnerungsmarker, weil hier in der Vergangenheit oft Wehrerziehungslager (z. B. der 1994 verbotenen „Wiking-Jugend“ oder der 2009 verbotenen HDJ) oder rituelle Gatherings aus dem Dunstkreis der neuen germanischen Heilkunde (Vertreter: Helmut P., Andreas B.) stattgefunden haben.

Es ging 2018 durch die Medien: nach dem „NS-Untergrund“ sowie der „Gruppe Freital“ bilden sich in der Bundesrepublik einmal mehr rechte Aktionsgruppen, so auch der Zusammenschluss um die Akteure von „Revolution Chemnitz“ (Sep. 2018). Die Bundesanwaltschaft ordnet letztere als rechtsterroristisch ein, die mutmaßlichen Mitglieder sitzen in Untersuchungshaft. Nicht selten geht der tatsächlichen Formierung solcher Gruppen eine Radikalisierung im den sozialen Netzwerken des Internets voraus. Ein anschauliches Beispiel für diese These ist die auch die in M.-V. erfolgreiche Neonazi-Plattform „Reconquista Germanica“. Über Fake-Accounts wurden hier seit Jahren durch die rechte Internetplattform, die auch als Trollfabrik fungiert und welche von einem rechtsextremen YouTuber mit dem Pseudonym Nikolai Alexander initiiert wurde, Homepages von Menschenrechtsaktivist*innen, linken Politiker*innen und Demokratieverstärker*innen mit möglichst rabiaten Hasskommentaren geflutet. Aus gewalttätigen Gedanken und Worten können mittelfristig auch Gewalttaten erwachsen. Die Opferberatung LOBBI warnt in diesem Kontext bereits im zweiten Quartal 2018 davor, dass die Zahl rechter Gewaltübergriffe nach einem relativen Rückgang 2017 (109 Übergriffe) im laufenden Jahr wieder ansteigen könnten. Zum Vergleich: In den Jahren 2015 (130) und 2016 (149) wurden im Nordosten die absoluten Angriffshöchstzahlen registriert.

Vor dem Hintergrund des Entstehens neuer rechter Aktionsgruppen in M.-V. lenkte sich unser Fokus u. a. auf die Neofaschistische Gruppierung „Whiterevolution“ Schwerin. Letztere war unter der in IB-Kreisen beliebten Devise „Defend Schwerin“ in einem sozialen Brennpunktbezirk im Süden der Landeshauptstadt unterwegs.  Aufgefallen war die Gruppe z. B. durch flächendeckende Sticker-Attacken (Motto/Slogans: „Deutschland ist größer als die BRD“ oder „Sozialdemokratie zerschlagen“) oder Solidaritäts-Flashmops für die berüchtigte Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck.

Randglosse: Ausstieg als Inszenierung? Lichtblick oder Scharade? Wir wissen es noch nicht. Tatsächlich gibt sich der Ex-Rockerchef des rechtsextremen Motorradclubs „Schwarze Schar“, Philip Schlaffer (Nordwestmecklenburg) geläutert. Nach dem Absitzen seiner Haftstrafe wegen dessen Involviertsein in Netzwerken der organisierten Kriminalität, schließt er aktuell eine Ausbildung zum „Anti-Gewalt und Kompetenz-Trainer“ ab. Künftig schickt er sich an, im Rahmen der Extremismusprävention als auch bei der Deradikalisierung von Jugendlichen und Erwachsenen aktiv zu werden.

 

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