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Online-Radikalisierung Teenager als zukünftige Nazi-Terrorist*innen?

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Terrorverherrlichende Inhalte auf Instagram; "Kyle" ist der 17-jährige, der zwei "Black Lives Matter"-Demonstranten in Kenosha erschossen hat. Unten rechts wird das Regime von Robert Mugabe in Rhodesien / Simbabwe verherrlicht. Unkenntlichmachung der Hakenkreuze durch die Redaktion. (Quelle: Screenshot)

Sehr junge Neonazis erscheinen oft zwischen lächerlich und gefährlich. In Durham, Großbritannien, wurde im vergangenen Jahr ein 16-Jähriger verhaftet, weil er Anschläge auf Synagogen und Moscheen plante. Und „plante“ meint in diesem Fall: Er hatte eine Liste von Anschlagszielen in seinem Heimatort verfasst. Er hatte begonnen, ein eigenes Manifest zu seinem „Guerillakrieg“ zu verfassen. Er hatte versucht, sich Chemikalien für den Bombenbau zu besorgen – Anleitungen hatte er online gefunden. Also alles sehr überlegte und erschreckend konkrete Handlungen, die von seinem Willen zum Attentat zeugen.

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Und auf der anderen Seite ist da das Tagebuch des 16-Jährigen. Ungelenkt ist da mit Kugelschreiber „Storm 88“ (88 = HH = Heil Hitler) auf das Titelbild gekrakelt, dazu wirklich mies gezeichnete Hitler-Köpfe und Hakenkreuze. In kindlich-unordentlicher Schrift ist auch die Aufzeichnung der Ziele festgehalten. Die Aufmachung ist lachhaft, der Inhalt nicht. Der 16-Jährige schreibt in seinen Tagebuch-Aufzeichnungen, die im Prozess verlesen wurden, dass er schon mit 14 ein Faschist gewesen sei, wenn auch sein „Red Pilling Prozess“ zuvor langsam verlaufen sei. „Red Pilling“ ist ein Code der rechtsalternativen Online-Szene, ein Code für „Aufwachen, Erkennen“ – gemeint ist hier sein Hineinwachsen in rechtsextreme Ideologie (vgl. Belltower.News).

Ab 14, so gibt der Junge aus Durham an, habe er versucht, sich zu „dehumanisieren“, also sich menschliche Gefühle und vor allem Mitgefühl „abzutrainieren“. Er wollte so ein „lebender Toter“ werden, um Attacken ausführen zu können. Seine Ideologie: Aus einer Mischung aus Neonazismus, Satanismus und Menschenfeindlichkeit wollte er die Zivilisation zum Zusammensturz bringen durch Gewalttaten – in der Szene heißt das Akzelerationismus (vgl. Belltower.News). Der Junge drückt das genau so aus: „Jetzt bin ich ein Akzelerationist!“

Die Polizei wurde übrigens auf ihn aufmerksam, weil seiner Schule sein nihilistischer Twitter-Account aufgefallen war, auf dem er unter anderem die Neonazi-Gruppe „National Action“ unterstützt hatte. Nach Gesprächen mit der Schule wurde er in eine staatliche Deradikalisierungsmaßnahme geschickt – ohne Erfolg. Er radikalisierte sich weiter. Bücher und Inspirationen, Gesprächspartner und Unterstützer dazu fand er – unter Pseudonym – online. Im Geheimen und Digitalen perfektionierte seine Ideologie und seine Techniken – agitieren in der Offline-Welt, so stellte er fest, bringe nur Ärger. Online dagegen fand er den passenden Resonanzraum: Wenn er versicherte, er wolle ein „amorales Individuum“ werden, gab es virtuellen Beifall (vgl. BBC).

„Nur“ ein rechtsextremes „Alter ego“ im Netz?

Interessant ist dann auch seine Entwicklung im Prozess: Dort gab er an, er sei gar kein Neonazi, er habe nur ein rechtsextremes „Alter Ego“ im Netz erschaffen, um andere zu schockieren und zu einer Gruppe dazu zu gehören, weil er sich so isoliert gefühlt habe. Er sei zwar „normal rechts“, möge Nigel Farage, sei aber kein Extremist – das sei nur seine Persona online. Während die Polizei ihm im Gericht vorwarf, das sei nur eine Schutzbehauptung und Lüge, führt diese Frage doch in das Herz der Überlegung, was passiert, wenn Jugendliche, fast noch Kinder, online als Neonazis auftreten. Vielleicht log der 16-Jährige vor Gericht. Vielleicht sagt er aber auch insofern die Wahrheit, dass ihm nicht klar war, was seine sich besonders enthemmt, radikalisiert und entmenschlicht gebenden Online-Postings für Konsequenzen in der Offline-Welt haben können– nicht zuletzt für diejenigen, die so bedroht werden und für die es unerheblich ist, ob sie wegen eines unüberlegten Jugendlichen oder wegen eines ideologisierten Neonazis um ihr Leben fürchten. Wohlmöglich ja sogar wegen beidem.

Jugendliche Online-Terror-Propagandisten

Der Jugendliche aus Durham ist kein Einzelfall. Es gibt weitere Fälle 2019 in UK – hier wurden etwa zwei 18- und 19-Jährige wegen „Terrorpropaganda“ für eine Gruppe namens „Sonnenkrieg Division“ verurteilt. In diesem Fall gibt es keine ungelenken Zeichnungen aus dem Kinderzimmer, hier geht es um professionell produzierte, aber inhaltlich verrohte Memes in schwarz-weiß-rot, rassistsch und antisemitisch, Pistole an den Kopf, Blutstropfen als Bildhintergründe.

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Die „Sonnenkrieg Division“, die Telegram-Gruppe, zu der die beiden sich zugehörig fühlen, sieht sich ihrerseits als Abspaltung der internationalen rechtsterror-affinen Struktur „Atomwaffen Division“ (vgl. Belltower.News), die in den USA mit sieben Morden in Verbindung gebracht werden. „Atomwaffen Division“ wurden wiederum inspiriert von „National Action“ in Großbritannien und vom „Iron March“-Forum in den USA. Der Rechtsextremismus – auch der Online-Rechtsextremismus – schafft wenig Neues, ist aber kreativ darin, seinen Form zu wandeln, um neue Menschen anzusprechen –gerade Jugendliche.

Treffpunkt Terrorgram

Im „Iron March“-Forum, das 2019 geleakt wurde (vgl. ZDF), wurden die Grundlagen gelegt für das, was heute „Terrorgram“ genannt wird: Den Teil des Messenger-Dienstes „Telegram“, in dem Rechtsextreme aus der ganzen Welt zusammentreffen, die sich für Terroranschläge, Gewalt, Akzelerationismus interessieren. „Interessieren“ ist dabei ein Euphemismus: Hier werden Attentäter als „Saints“, also „Heilige“ gefeiert, Techniken für die Attentatsausführung und Anleitungen zum Waffen werden ausgetauscht. Die Botschaft lautet Sabotage und Guerillakrieg für den Zusammenbruch des „Systems“, die Akteure geben sich blutdurstig und schreiben Postings wie: „Piss auf alle Moral, die Du noch hast“.

Zu den „Heiligen“ zählen auch islamistische Attentäter, deren Maniskripte und Anleitungen ebenso beliebt sind und herumgereich werden, ebenso die Erzählung vom „weißen Jihad“, den man nun brauche. Ähnliche Entwicklungen gibt es auf anonymen Imageboards, anderen Messenger-Apps und bisweilen bei „Instagram“. Diese „Pro-Terrorismus-Onlinewelt“ (vgl. David Lawrence, Hope not Hate: The rise of teenage far-right terrorists) ist ein schwer zu beobachtendes Labyrinth von Verweisen, Medien, Kanälen und Akteuren. In dieser verstörenden Welt sind Attentate und Morde nicht nur ein Mittel, um die „Revolution“ einzuleiten, sondern es ist auch eine Form von menschenverachtender Unterhaltung, darüber zu sprechen und zu planen.

Das verbindende Glied zwischen den Aktivist*innen und Gruppen ist keine Organisationsform. Die Kontinuität entsteht durch genutzte Sprache und Ästhetik, gemeinsame Lektüre und ideologische Bezugspunkte, gemeinsame Foren und Netzwerke – bis zu den Live-Streamings und Manifesten mit Meme- oder Gaming-Bezügen der Attentäter. Viele Kanäle sind auf Englisch, es gibt aber auch deutsche, ukrainische und spanische Kanäle. Seit rund zwei Jahren entstehen und vergehen so kleine, internationale, terror-interessierte Gruppen, die dezentralisiert sind und vor allem online existieren, wenn auch manche ihre Propaganda in die Offline-Welt bringen (vgl. Belltower.News).

„Siege“ und die eigene Bildsprache des „Terrorwave“

Das „Iron March“-Forum legte die Grundlage für diese Welt. Hier wurde „Siege“ von James Mason wieder bekannt gemacht, die in den 1970ern verfasste Anleitung zum führerlosen Widerstand (vgl. Belltower.News). Hier wurde auch die „Terrorwave“-Ästhetik geboren, die Form von visueller Propaganda, die die Anhänger nutzen, um terroristische Gewalt zu feiern. Hierzu gehören die Farben Schwarz-Weiß-Rot, Bilder historischer Faschisten, paramilitärische Elemente wie Waffen, Totenkopf-Masken, esoterische Nazi-Symbole wie die „Schwarze Sonne“ und extreme Slogans etwa über Hinrichtungen („Traitors will hang“) und Vergewaltigungen („Rape the Police“) kombiniert in Collage- und Pop-Art-Optik.

Nihilismus und Öko-Faschismus

Eine große Bandbreite von Mördern wird auf „Terrorgram“ diskutiert, um von ihren Fällen zu lernen und besser zu werden. Je mehr Tote, desto besser lautet der blanke Nihilismus, der „Terrorgram“ bestimmt. Die Zahl der Toten ist wichtiger als die politische oder religiöse Ideologie. Zur Szene gehört auch eine Form von „Öko-Faschismus“, der eine mystische Verbindung des „Volkes“ zu „seinem“ Land propagiert, sich für Tierrechte einsetzt und Überbevölkerung durch Genozide beseitigen will. Der Attentäter von Christchurch sah sich als Teil dieser Szene, und auch der Attentäter von El Paso nutzte in seinem „Manifest“ öko-faschistische Argumente. Auch Okkultismus und esoterische Hitler-Verehrung haben hier einen Platz.

Im „Terrorgram“-Netzwerk bilden sich derweil Gruppen mit vielen kleinen Zellen in allen Teilen der Welt, deren Mitglieder immer jünger werden. Ihre Ziele sind nicht nur, Bedrohten und Staaten Angst einzujagen, sondern auch Hassverbrechen zu begehen.

Atomwaffen Division (AWD),

gegründet 2015, war die erste und ist die bekannteste von ihnen, mit einem Schwerpunkt in den USA, wo auch fünf Morde mit der Gruppierung in Verbindung gebracht werden, aber auch Ablegern weltweit. In Deutschland soll eine Zelle mit schätzungsweise 20-30 Mitgliedern existieren (vgl. Belltower.News). Die Gründer des AWD waren selbst Teenager: Brandon R. („Odin“) war 19, Devon A. („The Weissewolfe“) war 16, Andrew O. („Borovikov“) war 17 Jahre alt, ebenso die ersten Mitglieder. Von Anfang an gehörten militärisches Training, Terror und „Endsieg“ zu den Zielen. Später hatte die Gruppe um die 100 Mitglieder, darunter dann auch viele ältere Rechtsextreme, vor allem Studierende, weiter aber auch Teenager wie Ryan H., der mit 16 zur Gruppe kam, oder die 16-jährige freiwillige Soldatin Bella O. („EdelweiSS“), die aber abgelehnt wurde, weil sie eine Frau ist. Zwei Mörder des AWD waren zur Tatzeit 18 Jahre alt, einer war 20 Jahre alt. Ein im Zusammenhang mit der AWD 2019 Festgenommener, der ein Bombenattentat durchführen wollte, war 20 Jahre alt, andere waren älter (23, 34, 24, 21, 23). Alle hatten bereits Waffen besessen. 2020 wurden noch fünf weitere Mitglieder zwischen 20 und 24 Jahren verhaftet (vgl. ZEIT).

Die Mitglieder des deutschen Ablegers der AWD, soweit bekannt, sind älter und schon zuvor einschlägig als Neonazis aufgefallen, die meisten Propaganda-Aktionen fanden in universitären Kontext statt (vgl. Belltower.News).

Nach AWD-Inspiration entstand 2018 „The Base“, gegründet vom 46-jährigen Neonazi Rinaldo N., die 2019 in den USA sogar paramilitärische Trainingscamps veranstalteten. 2019 wurde in den USA ein Mitglied wegen Vandalismus (Hakenkreuze, Wolfsangeln) an mehreren Synagogen verhaftet: Der 18-jährige Neonazi Richard T., zusätzlich AWD-Mitglied. Anfang 2020 wurden sechs weitere Mitglieder zwischen 19 und 25 Jahren in den USA verhaftet (vgl. n-tv), wovon drei den Mord eines antifaschistischen Paares planten.

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Die Gruppe „Antipodean Resistance“, gegründet in Australien, warb im „Iron March“-Forum ausdrücklich um „jüngere Nationalsozialisten, 14-25“. Sie widmet sich vor allem Propaganda-Bedrohungs-Taten, war aber auch in Kontakt mit dem Christchurch-Attentäter.

Sonnenkrieg Division“, Schwerpunkt in Großbritannien, hatte ebenfalls etliche junge Mitglieder. Der erste verhaftete Propaganda-Täter war 19 Jahre alt, Anführer war der 22-jähriger Student Andrew D. Im Juni 2018 wurden Oskar K. (damals 17) und Michal S. (damals 18) wegen „horrender und krimineller Propaganda“ (u.a. Aufrufe zur Ermordung Prinz Harrys und zur Enthauptung von Säuglingen) und der Vorbereitung von Gewaltstraftaten verurteilt (vgl. BBC I, BBC II).

Die jüngsten Mitglieder bisher hatte allerdings eine weitere Gruppe, „Feuerkrieg Division“. 2019 hatte sie rund 50 Mitglieder in Europa (u.a. im UK, in der Niederlande, Estland, Belgien, Deutschland, Irland, Norwegen, Russland), Kanada und den USA. Aus der Grupper heraus wurde ein Sprengstoffanschlag in Vilnius versucht, doch die Bombe zündete nicht. Ein Anführer der Gruppe kam aus Estland und nannte sich „Commander FKD“. Er war Mitbegründer der FKD und unter anderem zuständig für die Rekrutierung und Aufnahme neuer Mitglieder. Wie sich bei Polizeiermittlungen 2020 in Estland herausstellte, ist „Commander“ gerade einmal 13 Jahre alt. „Commander“ teilte Anleitungen zum Bombenbau und wünschte sich u.a. einen Anschlag in London und ein militärisches Trainingscamp an Hitlers Geburtstag. Ein ideologisiertes Kind, das andere auf die Spur des Terrors schickt – und selbst noch nicht strafmündig ist (vgl. Spiegel und Estonianworld.com – hier auch ein interessantes Posting der Jugendorganisation der konservativen estnischen Partei EKRE – Jugendliche posieren mit Waffen, ein Teilnehmer trägt die Totenkopf-Maske der FKD). „Commander FKD“ veröffentlichte auch die Gefängnisadressen inhaftierter Rechtsterroristen, damit man ihnen „Weihnachtskarten“ senden könne, und träumte davon, ein Attentat auf eine jüdische Schule zu begehen: „Sollte ich überleben, haber ich hoffentlich zumindest jüdische Kinder getötet… ahahhaaa.“

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In Großbritannien wurde ein 16-jähriges FKD-Mitglied festgenommen, der Anleitungen für den Bau von Bomben und Waffen auf seinem Computer hatte. Zu einer deutschen FKD-Zelle gehörte mehrere Mitglieder, die erkennbar in Deutschland aufgenommene Fotos und Nazi-Material mit deutschen Bezügen posteten. Es waren mindestens 6 Mitglieder, davon eines, „Wolfskampf“, nach eigenen Angaben noch minderjährig (vgl. Belltower.News). Der Anführer „Heydrich“ war ein 22 Jahre alter Soldat. Er wurde in Bayern verhaftet, als er ein Attentat ankündigte. Im August 2020 wurde ein 23-jähriges Mitglied in Las Vegas verhaftet – in seinem Haus fanden sich Bombenmaterialien, gedacht für antisemitische und homofeindliche Attacken.

Und fliegt eine Gruppe auf, ist die nächste schon gegründet. In dem Report „Hitler Youth: The rise of teenage far-right terrorists“ aus dem September 2020 berichtet die britische NGO „Hope not Hate“ von der auf „Instagram“ akquirierenden Gruppe „The Britsh Hand“. Anführer: Ein 15-Jähriger, der sich als 17-Jähriger ausgibt – auch das ist online ja kein Problem. Die Mitglieder sind 12 bis 17 Jahre alt. Die Gruppe nennt sich „ultranationalistisch“, diskutiert Angriffe auf Migrant*innen in Dover, verehrt die Attentäter von Utøya und Bærum (Oslo), will aber „größer als diese“ werden. Mitglieder posieren mit Airsoft-Waffen, diskutieren aber auch, wie sie sie scharf machen können. Was davon ist real, was ist Online-Posing und Shitposting, also der Wettbewerb um „Wer postet die krassesten Inhalte?“ – ohne polizeiliche Untersuchungen (oder Attentate) ist das online oft unmöglich zu sagen. Schließlich braucht es nur eine Person in der Gruppe, die die verbale Gewalt ernst nimmt und umsetzen will.

Jugendliche Neonazis werden gefördert von Erwachsenen und radikalisieren diese andererseits

Eines ist offenkundig: Erwachsene Rechtsextreme freuen sich über Jugendliche, die sich für ihre Ideologie interessieren. Sie versorgen sie gern mit Propagandamaterialien und helfen bei Argumentationen online und offline (vgl. Hope not Hate). Andersherum befeuern die jungen Neonazis die Szene: Die meisten scheinen sich zu radikalisieren, ohne dass es ihrem Umfeld auffällt. Wenn sie sich nur online mit Rechtsextremismus und Terror auseinandersetzen und dabei einigermaßen geschickt sind, erleben sie eine Radikalisierung ohne jeglichen Widerspruch, ohne moralische Grenzen, ohne dass jemand jemals Empathie für potenzielle Opfer fordern kann. Dies ermöglicht es ihnen, zu immer monströseren Aufrufen, Bildsprache, Verachtung zu greifen. Oft wird die Menschenverachtung „garniert“ mit Reimen und vermeintlichem „Humor“, vor allem junge Männer schätzen das – auch in der nicht-rechtsextremen Welt. „Schwarzer Humor“ dient als Zeichen, rebellisch und unangepasst zu sein, furchtlos und jenseits des gesellschaftlichen Konsens.

Oft genug wird rassistischer, antisemitischer, misogyner „Humor“ verteidigt mit „man meine das ja nicht so“. Bei manchen mag das stimmen, bei anderen nicht. Und was, wenn es ideologisch gefestigte rechtsextreme Strukturen zum Anlass nehmen, wirklich Gewalt auszuüben? Die 18- und 19-jährigen „Sonnenkrieger“ erschossen auf ihren Memes Prinz Harry wegen seiner Hochzeit mit Meghan Markle. Neben der grafischen Darstellung eines Kopfschusses steht auf dem Meme der Spruch: „See you later, race traitor“. Klingt, wegen des Reims und der musikalischen Anspeilung, zunächst fast humorvoll. Viele Rechtsextreme meinen das aber sehr ernst. Nicht zuletzt wegen der Drohungen und rassistischen Anfeindungen hat das royale Paar Großbritannien verlassen (vgl. taz).

In Deutschland sind die jungen terroraffinen Rechtsextremen bisher vor allem mit Propaganda aufgefallen – so ist hierzulande die Beschaffung von Waffen auch um einiges schwieriger als etwa in den USA, und die brutale Gewalt eines Messers oder eines Baseballschlägers ist diesen Online-Propagandisten offenkundig zu profan. Die Attentäter der letzten Jahre – der Lübcke-Mörder, die Attentäter von Halle und Hanau – waren bereits Erwachsene, als sie ihre Morde begingen, doch zumindest der Attentäter von Halle trieb sich online deutlich in diesen Welten herum. Einer allerdings passt bereits zu diesem Schema online-bestärkter rechtsterroristischer jugendlicher Attentäter: Im Jahr 2016 schoss der 18-jährige David S. im Olympia-Einkaufszentrum neun Menschen zwischen 14 und 45 Jahren, die er als Migrant*innen wahrnahm. Es dauerte – auch wegen des jugendlichen Alters des Attentäters – Jahre, bis die rechtsextreme Motivation der Tat anerkannt wurde (vgl. Belltower.News).

Was tun?

Erschreckenderweise lässt sich den terroraffinen Teenagern ja auch präventiv nichts anderes entgegensetzen als der Versuch, die Werte von Demokratie und Gleichwertigkeit zu vermitteln, gegen Rassismus und Antisemitismus einzustehen, den Wert menschlichen Lebens zu vermitteln – und eben auch, dass der Weg von als „edgy“ wahrgenommenem, aber zuteifst abwertendem „Humor“ zu Terrortaten von Menschen, die das ernst nehmen, manchmal kürzer ist, als so mancher Teenager ahnt.

Ansonsten hilft vor allem die Aufmerksamkeit der Umfeldes, von Freund*innen, Eltern, Lehrer*innen, Erzieher*innen. Im Fall von David S. hatte das Online-Umfeld mitbekommen, dass er sich mit anderen, Amok-interessierten Jugendlichen ausgetauscht hatte. Die Polizei nahm Hinweise darauf allerdings zunächst nicht ernst, Ermittlungen dazu wurden erst zwei Jahre nach der Tat aufgenommen (vgl. Schriftliche Anfrage Katharina Schulze). Das darf sich nicht wiederholen.

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