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Seda Başay-Yıldız „Mein Vertrauen in den Rechtsstaat ist nicht mehr besonders groß “

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Seda Başay-Yıldız (Quelle: © Janine Schmitz/photothek.net)

 

Frau Başay-Yıldız, die Urteilsverkündung im NSU-Prozess ist inzwischen über ein Jahr her. Wie denken Sie heute daran zurück?

Eigentlich versuche ich, gar nicht daran zurückzudenken, weil der Tag der Urteilsverkündung für mich und meine Mandanten ein schwerer Schlag war. Wir hatten mit dem Urteil und der anschließenden mündlichen Urteilsbegründung so nicht gerechnet. Das Gericht hat den NSU als abgeschottetes Trio dargestellt und die Angeklagten André E. und Ralf W. zu niedrigen Strafen verurteilt. Dass heute bis auf Beate Zschäpe keiner der Hauptakteure noch in Haft ist – das war für uns so nicht zu erwarten.

Die Aufklärung ging im letzten Jahr nicht wirklich weiter…

Die Aufklärung hat auch im Prozess schon nicht stattgefunden, weil unsere Aufklärungsbemühungen seitens des Generalbundesanwalts und anderer Behörden verhindert wurden, insbesondere wenn es um die Akteneinsicht ging. Man hat so viel versprochen im Vorfeld, und keines dieser Versprechen wurde eingehalten. Und man sieht an den Anschlägen in den letzten Monaten, dass die Gefahr von rechts nach wie vor unterschätzt wird.

Ist der rechte Terror von heute Resultat mangelnder Aufklärung im NSU-Komplex?

Sagen wir so: Die Netzwerke um den NSU in einzelnen Bundesländern wurden in Abrede gestellt und nicht durchleuchtet. Jetzt tritt ans Tageslicht, dass Akteure, die schon in den NSU-Verbrechen eine Rolle spielten, wieder auftauchen – im Zusammenhang mit dem Mord an Walter Lübcke. Das sollte zu denken geben.

Ein weiterer Untersuchungsausschuss, Akteneinsicht – was wäre der nächste Schritt, um endlich die Fragen der Angehörigen zu beantworten?

Wissen Sie, wenn man tatsächlich einen Aufklärungswillen hat, dann müssen alle Akten ohne Wenn und Aber offengelegt werden. Immer noch Sperrfristen zu verhängen und zu sagen, das Geheimhaltungsinteresse des Staates überwiege – das können Sie eigentlich keinem mehr erklären, schon gar nicht den Opfern und auch nicht der Öffentlichkeit. Der erste Schritt wäre, alle Akten freizugeben, und alle Fragen, die sich in diesem Zusammenhang stellen, zu beantworten. Auch wenn es wehtut.

Welche Auswirkungen hatten die Morde des NSU auf die Familien der Opfer?

Die Verunsicherung der Opferfamilien war enorm. Sie wussten nicht, von wem die Gefahr ausging und ob sie für andere Familienangehörige weiterbestand, und wurden damit vollkommen allein gelassen. Die Familie Şimşek, die ich vertrete, lebte elf Jahre lang mit dieser Angst – von September 2000 bis November 2011, als der NSU sich selbst enttarnte. Nachdem die Familien erfahren hatten, dass mit derselben Tatwaffe noch weitere Menschen mit Migrationshintergrund getötet wurden, nahmen sie selbst Kontakt zueinander auf, und versuchten, sich gegenseitig zu unterstützen und zu helfen. Aber in den Behörden hatte niemand Verständnis für ihre Situation.

Können Sie nach all dem, was Sie erlebt haben, noch Vertrauen in den Rechtsstaat haben?

Nicht nur wegen des NSU-Verfahrens, auch wegen anderer Verfahren muss ich sagen, dass mein Vertrauen in den Rechtsstaat mittlerweile nicht mehr besonders groß ist. Erschreckend ist beispielsweise die Entwicklung, dass Behörden rechtsstaatliche Prinzipien und Gerichtsentscheidungen missachten und Zwangsgelder beantragt werden müssen, um diese umzusetzen. Um nur ein aktuelles Problem zu benennen: Trotz der klaren Rechtslage, dass mutmaßliche IS-Kämpfer und ihre Familien mit deutscher Staatsbürgerschaft nach Deutschland zurückgebracht werden müssen, geschieht das nicht. Da frage ich mich: Sind wir eigentlich noch ein Rechtsstaat oder lassen wir es zu, dass Rechtspopulisten dazu beitragen, dass wir unsere Grundwerte außer Kraft setzen? Für mich als Juristin ist diese Entwicklung jedenfalls schwer zu akzeptieren. Ich bin sehr oft frustriert. Vielleicht auch, weil ich aufgrund meiner beruflichen Tätigkeit häufiger als andere damit konfrontiert werde. Es bringt aber nichts, aufzugeben oder verbittert zu sein. Man muss einfach weitermachen.

Sie sind zunehmend ins Visier von Rechtsextremen geraten. Verändert das Ihren Alltag?

Ich bin aufmerksamer und vorsichtiger geworden, aber sonst ändert sich mein Alltag nicht. Ich habe vor niemandem Angst, schon gar nicht vor Personen, die sich hinter irgendwelchen anonymen Emails oder Faxen verstecken.

Die Drohungen gegen Sie gehen ja vermutlich von Rechtsextremen im öffentlichen Dienst aus. Was bedeutet das für einen demokratischen Staat?

Wir müssen uns auf die Behörden und insbesondere auf unsere Polizeibeamten, die einen Eid auf unsere Verfassung geschworen haben, verlassen können. Wenn Teile der Bevölkerung sich nicht mehr von unseren Sicherheitsbehörden geschützt wissen, ist unsere Demokratie gefährdet. Das dürfen wir auf keinen Fall zulassen.

Was muss getan werden, um die rechtsextreme Unterwanderung einzudämmen?

Meines Erachtens muss hart durchgegriffen werden. Personen mit verfassungsfeindlicher Gesinnung dürfen nicht als Beamte im Staatsdienst tätig sein. Sie müssen aus dem Dienst entfernt werden – also nicht nur suspendiert bleiben oder versetzt, sondern tatsächlich gekündigt werden. Solche Menschen haben nichts im Staatsdienst zu suchen.

Das Interview führte Franziska Schindler.

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