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Neonazi-Attacke in Sachsen Wenn der Fußball hilflos ist

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Der Stadionsprecher in Brandis wusste es vorher. ?Die Dummen kommen noch?, ließ er wissen und forderte die Fans auf, sich auf der dem Eingang gegenüberliegenden Seite zu sammeln, um auf diese Weise die Fanblöcke räumlich zu trennen. Er sollte Recht behalten, die Dummen kamen. Und wie.

Etwa 50 rechtsgerichtete Gewalttäter stürmten den ?Sportplatz Freundschaft? und machten Jagd auf Spieler und Fans von Roter Stern Leipzig. Mit Eisenstangen, Holzlatten und Steinen wurden diese attackiert, auch Molotowcocktails flogen. Es grenzt an ein Wunder, dass der Überfall lediglich drei Schwerverletzte forderte.

Deren Zustand ließ zunächst Schlimmes befürchten. Am Montag gab es bei einem der Verletzten Entwarnung, er konnte das Krankenhaus wieder verlassen und wird keine bleibenden Schäden davontragen. Keine körperlichen jedenfalls. Die anderen beiden Verletzten wurden am Montag operiert: Ein Trümmerbruch im Handgelenk musste beim zweiten Opfer gerichtet werden, dramatisch ist die Situation beim dritten Opfer. Bei ihm ist das Jochbein zertrümmert, seine Gesichtszüge müssen komplett neu modelliert werden. Die Ärzte konnten nicht ausschließen, dass der Patient seine Sehkraft dauerhaft verlieren wird. Und das alles nur, weil er Fan von Roter Stern Leipzig ist, einem Fußballverein, der 1999 von alternativen Jugendlichen gegründet wurde und dessen erste Männer seit dieser Saison in der Bezirksliga Sachsen spielen. Dort haben sie ihrer politischen Ausrichtung wegen einen schweren Stand. ?Wir sind häufig mit Anfeindungen und kleineren Übergriffen konfrontiert?, berichtet Norman Schmiedel, der Sportliche Leiter, ?aber so eine Brutalität wie in Brandis haben wir bisher noch nicht erlebt.?

Zunehmende Intensität in den unteren Ligen

Auf dramatische Weise wurde in der sächsischen Kleinstadt offenbar, wie wenig wehrsam der Fußball ist, wenn Gewalttäter seine Bühne missbrauchen. Während der Rechtsextremismus aus den Stadien der oberen Ligen weitgehend verdrängt ist, findet rechte Gewalt mit zunehmender Intensität in den unteren Ligen statt.

?Wir haben einfach nicht die Möglichkeiten, einen umfassenden Schutz zu garantieren?, sagt Lutz Mende, Sicherheitsbeauftragter des Sächsischen Fußball-Verbandes. Geschäftsführer Bernd Kraus ergänzt: ?Wir haben an jedem Wochenende 1000 Spiele in Sachsen, da können wir nicht überall zu 100 Prozent für Sicherheit sorgen.?

Überall wohl nicht, in Brandis allerdings schon. Denn es gab Hinweise und Gerüchte, der Überfall war eine geplante Aktion und kam wenig überraschend. Deswegen hat sich der TSV Brandis in Absprache mit dem Verband im Vorfeld der Partie mit der Bitte um Hilfe an die Polizei gewandt. ?Der Buschfunk war relativ eindeutig?, sagt Günter Kögler, der Präsident des FSV Brandis, ?deswegen haben wir das Gespräch mit der Polizei gesucht und auf die drohenden Gefahren hingewiesen.? Ohne Erfolg.

Polizei räumt Fehler ein

Lediglich zwölf Ordnungshüter waren für die Partie abgestellt, eine fatale Fehleinschätzung, die Schmiedel von ?einem Komplettversagen der Polizei? sprechen lässt. ?Im Nachhinein muss man einräumen, dass sich die Lage anders dargestellt hat, als wir sie erwartet haben?, räumt Michael Hille, der Pressesprecher der Polizei West-Sachsen, im Gespräch mit WELT ONLINE ein. Er betont aber, dass die Polizei die Entscheidung, auf massive Polizeipräsenz zu verzichten, gemeinsam mit dem ausrichtenden Verein getroffen hat. Sachsens Polizeipräsident Bernd Merbitz die Aufklärung der Vorfälle zur Chefsache erklärt und die eingesetzte Ermittlungsgruppe von acht auf 16 Beamte aufgestockt. ?Es sind einige Fragen zu klären, die mich auch intern interessieren?, sagte Merbitz im Mitteldeutschen Rundfunk.

Der Staatsschutz hat inzwischen Ermittlungen wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruch aufgenommen, sollte der am Kopf verletzte Fan tatsächlich seine Sehkraft verlieren, kämen schwere Körperverletzung und die Beteiligung an einer Schlägerei hinzu. Noch gab es keine Festnahmen, allerdings dürfte es zeitnah die ersten Fahndungserfolge geben, da einige der Täter den Behörden namentlich bekannt sind.

Die Spieler von Roter Stern Leipzig wollen ihrem Hobby trotz der dramatischen Vorfälle weiter nachgehen. Noch. ?Wir können den Nazis ja nicht das Feld überlassen?, sagt Schmiedel, ?allerdings fragt man sich manchmal schon, ob der Einsatz nicht zu hoch ist.?

Dieser Text erschien zuerst bei Welt Online, mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

Ergänzungen 27.10.2009:

Nach Medienberichten konnte dem Opfer, dessen Jochbein zertrümmert wurde, das Augenlicht gerettet werden. Die Polizei ermittelt mit einer achtköpfigen Kommission. Trotz zahlreicher Fotos der Angreifer gibt es aber laut Sächsischer Zeitung noch keine Tatverdächtigen. Die Fans von Roter Stern Leipzig wollen laut Leipziger Volkszeitung die Ermittlungen unterstützen und Neonazis aus Wurzen und Leipzig namentlich anzeigen, die sie erkannt haben.

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