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Rechtsextremismus bekämpfen Wo Eltern Rat holen können. Oder ihre Kinder

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Seit der Gründung von EXIT durch die Amadeu Antonio Stiftung, die Freudenberg Stiftung und das Magazin stern im Jahr 2000 haben die Mitarbeiter der Initiative nicht nur 300 Aussteiger betreut, sondern auch immer wieder Verwandte von Rechtsextremen beraten und unterstützt. Allerdings „hatten wir die Familie als zentralen Ort der Auseinandersetzung mit rechtsextremer Ideologie zunächst vernachlässigt“, sagt EXIT-Gründer Bernd Wagner. Nach Einrichtung einer zentralen EXIT-Hotline „wurden wir aber geradezu überschüttet mit Hilfegesuchen“, berichtet Wagner. Unter den Anrufern waren Eltern, die besorgt waren über die Entwicklung ihrer Kinder, aber auch Jugendliche hätten sich gemeldet, die Rat suchten über den Umgang mit rechtsextrem gesinnten Eltern. Deshalb habe EXIT nun eine Familienhilfe mit vier festen Mitarbeitern und einem Netzwerk von Experten ins Leben gerufen.

Diese neu geschaffene Familienhilfe soll in Zukunft die Ausstiegsarbeit mit sozialer Familienarbeit verbinden. Wichtig sei es, die „ideologische Kritikfähigkeit“ in den Familien zu fördern, betonte die EXIT-Mitinitiatorin und Vorstandsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane. Dabei wird der Begriff „Familie“ sehr weit gefasst und bezieht sich auf alle Personen, die sich einer rechtsextrem orientierten Person zugehörig fühlen. Die Familienhilfe wird diese Menschen beraten und in ihrer Auseinandersetzung begleiten – die einzige Vorraussetzung ist, dass sich die Betroffenen selbst melden. „Die Leute müssen den ersten Schritt machen. Wir bieten Hilfe zur Selbsthilfe“, betont Bernd Wagner. Eines der Ziele sei es, Betroffene zu vernetzen, denn aus der Erfahrung anderer Betroffener könne oft am meisten gelernt werden. Gedacht sei an ein Jugendnetz, ein Elternnetz und ein Großelternnetz.

Am Anfang steht immer ein ausführliches Gespräch

Wie die Arbeit mit den Angehörigen konkret aussieht? Dierk Borstel, Koordinator der EXIT- Familienhilfe, erklärt, dass das so verschieden sei, wie die Fälle verschieden seien, denen die EXIT-Macher begegnen. Am Anfang der Arbeit stehe immer ein ausführliches Gespräch, in dem die jeweilige Situation besprochen und analysiert werde. Danach könne es – je nach Bedarf – alles geben: Von nur einigen Beratungsgesprächen bis hin zu jahrelanger Betreuung, von Informationen über rechtsextreme Musik bis hin zur Empfehlung, auch psychologischen Rat einzuholen, denn für viele Eltern sei es „wie ein Schock“, mitzuerleben, wie ein Kind „wie in eine Sekte“ in die rechtsextreme Szene abdrifte. „Wenn sie diesen ersten Schock überwunden haben, fragen sie sich: ‚Wie gehe ich damit um'“, berichtet Borstel. Was solle und was könne verboten werden? Und was müsse besonders ernst genommen werden? Und wie bekomme ich meine Kinder dort wieder heraus? Das seien immer wiederkehrende Fragen.

Zweifel sind die Grundlage für Ausstiegsoptionen

Dass es trotz aller Hürden möglich ist, den Ausstieg zu schaffen und wie eng die Themen Rechtsextremismus und Familie zusammenhängen, davon erzählt die Aussteigerin Tanja Privenau, die eng mit EXIT zusammenarbeitet. Sie kommt selbst aus einer rechtsextrem denkenden Familie und war rund 20 Jahre lang führendes Mitglied in rechtsextremen Zirkeln. Ihren Ausstieg vollzog sie nicht alleine, sondern gemeinsam mit ihren fünf Kindern. Der Ausstieg aus der Szene bedeutete nicht nur das Verlassen der Szene selbst, er bedeutete in ihrem Fall auch die Trennung von ihrem Mann, der sie anschließend regelrecht verfolgte. Die ganze Last, die mit einem Ausstieg verbunden ist, mussten ihre Kinder mittragen.

Die EXIT-Familienhilfe sieht darin, mit Familien zusammenzuarbeiten, große Chancen für die Ausstiegsarbeit. Viele ehemalige Rechtsextreme berichten, dass Auseinandersetzungen in der Familie sehr wichtig gewesen seien, um erste Zweifel an der rechtsextremen Ideologie hervorzurufen. Und Zweifel, dass wissen die Mitarbeiter von EXIT, sind die Grundlage für Ausstiegsoptionen.

Mehr unter: www.exit-familienhilfe.de

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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