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Zur Gamescom Die Gaming-Plattform Steam und ihr verhaltener Umgang mit Rechtsextremismus

Rechtsextreme Modifikation: "Camp Auschwitz" haben User*innen dem Spiel "Prison Architect" hinzugefügt. Moderiert hat das keine*r. (Quelle: Screenshot Steam)

Im September 2020 veröffentlichte das neurechte Entwicklerstudio „Kvlt Games“ einen Trailer ihres Propagandaspiels „Heimat Defender: Rebellion“ auf Steam. Später im selben Monat sollte die Vollversion des Titels auf der Plattform erscheinen, in dem Spielende als eine der Kaderfiguren der rechtsextremen Szene gegen die sogenannte „Globo Homo Corporation“ kämpfen. Das rudimentäre 2D-Pixel-Jump-’n‘-Run strotzte dabei nur so vor rechtsextremen und verschwörungsideologischen Narrativen, wie schon die Wahl der Endgegner*innen, mit beispielweise Jan Böhmermann, Angela Merkel oder Anetta Kahane, zeigte. Der Versuch floppte. Das Spiel, welches vom rechtsextremen Kampagnenprojekt „Ein Prozent“ finanziert wurde, schaffte es nicht auf die Veröffentlichungsliste auf Steam und wurde wenige Monate später von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdete Medien indiziert. Dass rechtsextreme Inhalte von der Spieleplattform entfernt werden, ist allerdings eine Seltenheit. Eine Erhebung des Projektes „Good Gaming – Well Played Democracy“ der Amadeu Antonio Stiftung zeigt, dass die meisten Inhalte, die den Nationalsozialismus verherrlichen oder offenen Rassismus verbreiten, trotz Meldung nicht gelöscht werden.

Was ist Steam?

Steam hat sich fest im PC-Gaming-Markt etabliert. Die 2003 von der Firma Valve veröffentlichte Plattform ist bekannt für regelmäßige Videospiel-Sales und ein einfach zu benutzendes Interface, um Videospiele zu kaufen, zu starten oder zu modifizieren.

Zusätzlich zu diesen „Standard-Funktionen“ einer Gaming-Plattform spielt der Communitybereich von Steam eine große Rolle in der Nutzung der Plattform. Spieler*innen können Screenshots und Artworks hochladen, hilfreiche Guides zu Games verfassen und sich in Diskussionsforen über eine Vielzahl von Themen austauschen. Neben Fragen zu Spielen und generellen Gaming-Themen diskutieren Nutzer*innen dort auch über tagespolitische Ereignisse wie die Energiepreiskrise oder die amerikanische Schusswaffengesetzgebung.

Nach eigenen Angaben waren im Jahr 2021 pro Monat über 130 Mio. Menschen auf Steam aktiv. Zeitweise waren 27,4 Mio. Spieler*innen gleichzeitig online. Im Verhältnis dazu stehen 26 Moderator*innen, welche den Communitybereich der Plattform moderieren sollen. Die Hälfte davon ist nur ehrenamtlich aktiv. In den eigenen Guidelines legt Steam fest, dass keine „Möchtegern-Moderation“ erwünscht ist und dass Regelbrüche bei den offiziellen Moderator*innen gemeldet oder ignoriert werden sollen. Das Ignorieren von Hasskommentaren als Lösungsstrategie zu benennen, wirkt wie ein Ratschlag aus den Anfängen der digitalen Kommunikation.

Es ist aber gerade der Communitybereich des wirtschaftlich florierenden Unternehmens, der mehr Beachtung verdient hätte. Als 2020 die Debatte um Black Lives Matter auch in den zahlreichen Diskussionsforen auf Steam ankommt, fällt die verhaltende Moderation auf der Plattform auf. Offener Rassismus und Kommentare, die das Opfer George Floyd verhöhnen, bleiben tagelang unberührt auf der Plattform stehen.

Profile auf Steam: Zwischen Wehrmachtsfans und rechtsextremen Narrativen

Über einer Milliarde Accounts sind auf Steam registriert. Wer am PC spielt, verfügt in der Regel auch über einen Account auf der Plattform von Valve. Das eigene Profil lässt sich dabei mit einem Bild, einer Profilbeschreibung und einigen kosmetischen Extras gestalten, ähnlich wie in klassischen sozialen Medien eben. Vor allem rechtsextreme Accounts nutzen dabei verschiedene Achievements oder Profil-Badges, um rechtsextreme Losungen zu formulieren, oder ihre Feindbilder antisemitisch, sexistisch, rassistisch zu beleidigen.

Natürlich ist nur ein kleiner Teil der Accounts auf Steam der extremen Rechten zuzuordnen. Aber immer wieder tauchen Profile auf, die rechtsextreme Symbolik im Profilbild haben, rassistische Codes im Namen tragen oder sich nach Wehrmachtsoffizieren benennen. Das Schlagwort „Hitler“ führt beispielsweise zu über 29.000 Treffern bei der Profilsuche. Mit dabei: Profile, die Hitler bagatellisieren, ihn beleidigen, aber eben auch glorifizieren.

Ebenfalls ein trauriger Trend: nach rechtsterroristischen Anschlägen benennen sich hunderte Profile nach den Attentätern oder wählen Anschlags- oder Porträtbilder der Attentäter als Profilbild. Zumindest hier scheint die Plattform aber langsam dazuzulernen: entsprechende Profile wurden nach dem Anschlag in Buffalo nach kurzer Zeit entfernt. Bei dem Anschlag in Christchurch im März 2019 hatte das noch deutlich länger gedauert.

Mobilisierung und Vernetzung in Gruppen

User*innen haben außerdem die Möglichkeit, sich in Gruppen zusammenzufinden und sich im Live-Chat, in Kommentarspalten oder in internen Diskussionsthreads auszutauschen. Neben vielen unproblematischen Gruppen zu einzelnen Spielen, Genres oder auch regionalen Zusammenschlüssen, organisieren sich ebenfalls Strukturen der extremen Rechten. So existiert auf Steam z.B. eine Gruppe der „Identitären Bewegung (IB)“, welche von vielen anderen Plattformen ausgeschlossen wird. Auch wenn sich die IB auf einem absteigenden Ast befindet und die Gruppe keine tagesaktuellen Debatten führt, unterstreicht ihr Fortbestehen den geringen Moderationswillen auf der Plattform.

Besonders auffällig sind viele Wehrmachts-Fan-Gruppen, die Reichsflaggen oder Illustrationen von deutschen Soldaten im Gruppenbild platzieren. Beiträge, in denen Spieler*innen andere Spieler*innen zum gemeinsamen Zocken suchen, stehen häufig neben geschichtsrevisionistische Äußerungen oder rechtsextremen Losungen.

Der „Deutsche Wiederstand“ – eine von vielen Neonazi Steam Gruppen, die sich im Widerstand sehen – auch wenn sie das Wort nicht richtig schreiben.

Auch rechtsextreme Attentäter haben in der Vergangenheit kaum regulierte Gaming-Plattformen genutzt, um sich mit anderen Neonazis auszutauschen. Dass Attentäter dabei auch gerne Videospiele spielen und auf entsprechenden Plattformen aktiv sind, ist nicht verwunderlich. Über 34. Mio. Menschen in Deutschland spielen Videospiele, die Chance, dass hier eben auch potenzielle Rechtsterrorist*innen mit dabei sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Problematisch wird es, wenn sie sich aber dann auf entsprechenden Plattformen mit anderen Neonazis über Mordfantasien austauschen, rassistische und antisemitische Verschwörungsideologien verbreiten und sich weiter in eine rechtsextreme Gedankenwelt radikalisieren. Trauriges Beispiel dabei: Das OEZ Attentat in München im Juli 2016. Hier hatte sich ein Rechtsterrorist in einer Steam Gruppe mit dem Namen „Anti-Refugee Club“ mit anderen extrem Rechten ausgetauscht. Nach dem Anschlag machte es ihm einer seiner Kontakte gleich und brachte in New Mexiko zwei Menschen um.

Rechtsextreme Modifikationen

Neben der Möglichkeit, auf Steam Spiele zu kaufen, zu spielen und sich in Gruppen mit anderen Gamer*innen austauschen, liefert die Plattform außerdem die Möglichkeit, eigene Inhalte für bestehende Videospiele hochzuladen, sogenannte Modifikationen (Mods). Steam hat eigens dafür 2012 den „Steam Workshop“ ins Leben gerufen. Entwickler*innen können entscheiden, ob sie für ihre Spiele eine Integration im Steam Workshop aktivieren. Wenn sie das tun, dann haben Nutzer*innen der Plattform die Möglichkeit, eigene Inhalte zu erstellen, hochzuladen und selbst Inhalte von anderen Gamer*innen zu spielen. Meistens sind die über diesen Weg veröffentlichten Videospielinhalte harmlos: Sie schalten neue Erscheinungsbilder von Charakteren frei, ermöglichen das Spielen neuer Gebiete oder führen kleine Änderungen ein, die das Spielerlebnis zu einer angenehmeren Gesamterfahrung machen sollen.

Doch auch hier gibt es eine kleine Minderheit von Nutzer*innen, die den Steam Workshop nutzen, um rassistische, antisemitische und geschichtsrevisionistische Inhalte zu verbreiten. Besonders anfällig dafür sind Strategiesimulationen zum Zweiten Weltkrieg. Eines der prominentesten Beispiele ist das Spiel „Hearts of Iron IV“ des schwedischen Entwicklerstudios Paradox. Im dazugehörigen Workshop befinden sich über 37.000 benutzergenerierte Inhalte. Darunter Mods, die deutsche SS-Einheiten spielbar machen, inklusive digitaler Nachbildungen von Uniformen und Fahrzeugen, spielbaren SS-Generälen und omnipräsenten Hakenkreuzfahnen.

Das Ganze ist kostenlos und ohne weitere Einschränkungen herunterzuladen. Lediglich einige wenige dieser Inhalte werden von Steam mit einer Warnung versehen, dass sie möglicherweise nicht für alle Zielgruppen geeignet seien.

Problematische benutzergenerierte Inhalte finden man aber auch zu Spielen, bei denen man sie nicht vermuten würde. Im Spiel „Prison Architect“ hat man die Aufgabe, ein Gefängnis aufzubauen und zu verwalten. Nutzer*innen haben für die Gefängnissimulation über 68.000 Objekte erstellt und öffentlich verfügbar gemacht. Vierzehn dieser Mods tragen den Namen des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz im Titel.

Die Modifikation „Auschwitz Slave Encampment“ verspricht die Perspektive eines KZ-Kommandanten spielerisch erlebbar zu machen und wird von knapp 500 Nutzer*innen abonniert. Für Steam scheint das kein Problem zu sein, die Mod befindet sich seit 2013 auf der Plattform.

Klickt man sich durch den Workshopbereich, gibt es kaum ein großes Franchise, bei dem es nicht auch problematische Modifikationen gibt. Dabei gibt es offensichtlich rechtsextreme Modifikationen, in denen Hitler als legitimer Staatsmann dargestellt wird oder ein Vernichtungslager zu einer Multiplayerkarte in einem Shooter wird. Es gibt jedoch auch subtilere Darstellungsweisen, wie beispielsweise hypersexualisierte Charaktermodelle oder rechtsgerichtete kosmetische Items in Fantasie-Rollenspielen. Hier sind sowohl die Spieleentwickler*innen als auch die Plattform in der Verantwortung, den Workshopbereich ihrer eigenen Spiele im Blick zu behalten und mögliche menschenverachtende Inhalte zu entfernen. Bisher geschieht das noch zu selten.

Und nun? Appelle an verschiedene Player

Überall dort, wo Neonazis ohne große Gegenwehr agieren, verbreitet sich ein rassistisches, antisemitisches und frauenverachtendes Weltbild. Das passiert an vielen Stellen des Internets, vor allem aber auf Steam. Was ist aus unterschiedlicher Perspektive zu tun?

Steam/Plattform:

Valve macht keine konkreten Angaben über Gewinn oder Umsatz des Unternehmens. Bei 31,2 Mio. Neukunden allein im Jahr 2021 dürften diese aber nicht allzu spärlich ausfallen. Es wäre wünschenswert, dass Steam die eigenen Guidelines umsetzt, welche Rassismus und Diskriminierung untersagen, und größere Kapazitäten für eine gelungene Moderation bereitstellt

Gesetzgebung und Strafverfolgungsbehörden:

Die Aufarbeitung rechtsterroristischer Anschläge (Halle, München) hat gezeigt, wie wenig Wissen bei Sicherheitsbehörden bezüglich Gaming-Themen, Meme-Kultur und rechtsextremer Vernetzung auf diesen Plattformen existiert. Hier bedarf es eines Ausbaus der Online-Wachen mit Schwerpunkt auf Hass in Gaming-Räumen. Außerdem greifen nach wie vor viele Gesetze gegen Hassrede nicht für Gaming-Plattformen. Während auf der Streaming-Plattform Twitch nach dem NetzDG gemeldet werden kann, fehlt diese Option auf Steam. Eine nachvollziehbare Erklärung dafür sucht man an dieser Stelle vergebens.

Spieler*innen:

Gamer*innen nutzen Videospiele und ihre Plattformen vor allem für eines: Um Spaß zu haben. Und das ist auch gut so. Jedoch ist für von Diskriminierung betroffenen Gruppen  eine sorgenfreie Bewegung in diesen digitalen Räumen selten möglich. Daher liegt es an allen Videospieler*innen, Hasskommentare und Diskriminierung nicht einfach so hinzunehmen. Eine einfache Option stellt hier das Melden von Hasskommentaren dar. Wie erwähnt, führt das auf Gaming-Plattformen nicht immer zum Erfolg. Jedoch ermöglichen die Landesmedienanstalten, dass auch auf ihren Seiten gemeldet werden kann. Die Anstalten können mehr Druck auf Plattformen ausüben und zum Entfernen von problematischen Inhalten beitragen

Eine weitere Möglichkeit ist es, Gegenrede an den Orten zu leisten, an denen Gegenrede Sinn macht: in öffentlichen Threads/Spielechats, in denen marginalisierte Gruppen  angegriffen werden. Wenig ratsam ist dabei die Debatte in dezidiert rechtsextremen Gruppen, da hier weder Neonazi-Gamer*innen noch eine schweigende Mehrheit erreicht wird. Auch hilfreich: Solidarität für jene, die sich gegen Hass positionieren oder von diesem betroffen sind. Ein netter Kommentar, eine kurze private Nachricht schreibt sich in wenigen Sekunden, kann aber viel bewirken.

Rechtsextreme Accounts sind auf Steam nur eine Minderheit. Alles andere wäre bei 130 Mio. aktiven User*innen im Monat auch schockierend. Trotzdem ist Steam aktuell ein Ort, an dem sich Neonazis noch viel zu wohl fühlen dürfen. Plattform, Spieler*innen und politische Akteur*innen reagieren noch zu verhalten bei der Bekämpfung von Hass im Gaming. Dass das eingangserwähnte Videospiel aus den Reihen der „Neuen Rechten“ von der Plattform entfernt wurde, ist das mindeste, reicht aber längst nicht aus. Steam braucht mehr Dampf, und zwar schnell.

 

„Good Gaming – Well Played, Democracy“ ist auch auf der Gamescom.

 

Am 25.08.  um 16.30 Uhr hält GGWP auf dem Gamescom Congress den Vortrag:

„Unverpixelter Hass – Neonazis in der Gaming-Kultur“

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