Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Das milde Urteil gegen Andre Eminger ist ein Schlag ins Gesicht

Von|
Die Agentur "Picture Alliance" bietet derzeit nur verpixelte Fotos von André Eminger an. Dieses entstand im Münchner Gerichtssaal am 05.07.2017 (Quelle: picture alliance / AA)

 

 

Als das Urteil im NSU-Prozess für den Mitangeklagten André Eminger verkündet wurde, klatschten die Neonazis auf der Besuchertribüne im Münchner Oberlandesgericht – und wurden nicht zurechtgewiesen. In der Pause kommentierte einer der Neonazis: „Wir haben gewonnen.“ André Eminger ist der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung schuldig gesprochen worden, nicht aber der Beihilfe zum Mord. Er ist zu 2 Jahren und sechs Monate Haft verurteilt worden, obwohl die Staatsanwaltschaft 12 Jahre wegen Beihilfe zu den Morden gefordert hatte – und bekommt damit sogar weniger Strafe als der geständige und bei der Aufklärung hilfreiche Rechtsextremismus-Aussteiger Carsten Schultze, der wegen Beihilfe zum Mord zu 3 Jahren Haft nach Jugendstrafrecht verurteilt wurde. Während des NSU-Prozesses war er der einzige, der durchgängig schwieg, ganz nach dem Motto „Meine Ehre heißt Treue“. Jetzt ist seine Strategie aufgegangen.

Als der Richter am Mittwochmittag verkündet, dass Eminger sofort frei kommt, bricht unter den anwesenden Neonazis Jubel aus. Die Angehörigen der türkischen Botschaft verlassen sofort den Saal. Das ist ein Schlag ins Gesicht.

 

André Eminger beim NSU-Prozess am 21. Mai 2017 Foto: J. Pohl, NSU-Prozess-Blog

 

Menschenverachtung auf dem Körper

André Eminger trägt seine menschenverachtende Gesinnung direkt auf dem Körper. Quer über seinen Bauch steht in dicken Buchstaben „Die Jew Die“ (stirb Jude stirb), darüber offensichtlich das Symbol der Totenkopfverbände der SS, die im „Dritten Reich“ maßgeblich am Holocaust beteiligt waren.  Auf seinem rechten Oberarm steht „Blut und Ehre“. Um seinen Bauchnabel herum steht in Runen der Programmspruch der Nationalsozialisten: „Du bist nichts, dein Volk ist alles“, dazu zwei Achten (Code für „Heil Hitler“). Auf seiner Brust prangert das Konterfei von Horst Wessel, Sturmführer der paramilitärischen NSDAP-Kampftruppe.

 

Die engsten Vertrauten von Zschäpe, Böhnhardt, Mundlos

Keiner soll dem mordenden Trio im Untergrund so nahe gestanden haben wie André Eminger und seine Frau Susann – sie war nicht mal angeklagt. Sie halfen bei der Miete und Vermittlung von Wohnungen und Wohnmobilen, die bei den Taten genutzt wurden.

Als am 4. November 2011 Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos tot im Wohnmobil entdeckt wurden und ihr geheimes Leben aufflog, rief Beate Zschäpe als erstes André Eminger an, der wie sie in Zwickau lebte, keine acht Kilometer vom Versteck des Trios entfernt. Um 15.27 Uhr sprachen die beiden eine Minute und 27 Sekunden lang miteinander. Bevor André Eminger sich auf den Weg macht, schreibt er seiner Frau Susann eine SMS. Der Inhalt muss so brisant sein, dass beide die Kurznachricht später wieder löschen. Eminger holt Zschäpe ab. Die beiden fahren ins Umland und wieder zurück in die Stadt. Eminger setzt Zschäpe schließlich am Hauptbahnhof ab. Vier Tage später stellte sie sich der Polizei in Jena.

 

Hilfreiche Tarnung dank der Emingers

Susann und André Eminger waren die Wahlverwandten des Trios im Untergrund. Mit ihrer Hilfe konnten Zschäpe, Böhnhardt und Mundlos die Fassade für ein unauffälliges Leben in der Illegalität erst so lange aufrecht halten. Ihre Wohnung und die des NSU-Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße trennten keine 8 Kilometer. Meist donnerstags kam Susann mit den Kindern zu Beate Zschäpe, gegenüber Nachbarn gaben sich die Frauen als Schwestern aus. Vor Gericht beschrieben diese einen familiär-zugeneigten Umgang miteinander. Zschäpe kam zu Aufführungen der Eminger-Kinder in Schule und Kindergarten.

André lernte das bereits untergetauchte Trio 1998 in Chemnitz kennen. Chemnitz ist damals eines der deutschen Zentren von „Blood & Honour“ (B&H „Blut und Ehre“), einem europaweiten Netzwerk militanter Neonazis, die bereit sind für ihre Ideologie zu töten. Der bewaffnete Arm „Combat 18“ der Gruppe bekämpft Migrant*innen, Homosexuelle und politische Gegner*innen nach dem Zellenprinzip des „führerlosen Widerstandes“, das sich später der NSU aneignet.

Seit 2000 hatte  der Verfassungsschutz André Eminger auf dem Schirm. Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen zählte André und seinen Zwillingsbruder Maik zum Kreis der Kameradschaft „Weiße Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE). Deren erklärtes Ziel es war, die „14 Words“ zu verwirklichen. ( „We must secure the existence of our people and a future for white children“, „Wir müssen die Existenz unseres Volkes und die Zukunft weißer Kinder schützen“).

Doch Maik Eminger ist nicht nur der Zwillingsbrüder von André Eminger. Maik, der als der klügere der beiden Brüder gilt, war vielen Neonazis in Brandenburg und Sachsen schon vor Bekanntwerden der NSU-Morde ein Vorbild. Sein Führungsanspruch ist sogar stärker geworden. Er gehörte zu den Führungskräften des „III. Wegs“. In Potsdam war er Stützpunktleiter der Partei, vielfach trat er als Redner auf. Die Zwillinge sollen von klein auf eine symbiotische Beziehung gehabt haben und innig miteinander verbunden gewesen sein. Schwer vorstellbar also, dass Maik nichts über den NSU gewusst haben soll.

André Eminger hat den NSU über Jahre intensiv unterstützt – mit Pässen, Führerscheinen, Krankenversichertenkarten und der Anmietung von Fahrzeugen. Eminger und seine Frau waren bis zuletzt engste Vertraute von Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt Fluchtgefahr wurde er im September 2017 im Gerichtssaal verhaftet und saß seither in Untersuchungshaft. Bis zu seiner Verhaftung im Herbst 2017 war er auf freiem Fuß und kam morgens immer Kaffee trinkend zum Gericht. Oft schlenderte er provozierend nah an den Angehörigen der Opfer vorbei und ging auf Pegida-Demonstrationen in München.

 

Beim Neonazi-Musikfestival in #Themar war am Samstag auch der im #NSU-Prozess angeklagte André Eminger dabei. https://t.co/JD5jcEpIt0 pic.twitter.com/ezygCCqigd

— NSU Watch (@nsuwatch) 17. Juli 2017

 

 

Beate Zschäpe ist am Mittwoch nach fünf Jahren NSU-Prozess am Oberlandesgericht München wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und als Mittäterin bei 10 Morden, 2 Bombenanschlägen, 17 Raubüberfällen, einem Mordversuch auf zwei Polizeibeamte und eine Brandlegung zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Helfer wussten nach Überzeugung des Gerichts, was das Trio aus Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt plante und tat. Sie kannten die Ideologie des NSU. Daher hätten sie damit rechnen müssen, dass ihre Hilfe dazu dient, Terrorismus zu begehen. Einzig André Eminger war demnach ahnungslos, dass mit dem von ihm gemieteten Wohnmobil eine Bombe transportiert wurde.

 

„Brüder schweigen – bis in den Tod“

Alle Angeklagten hatten zum Ende des Prozesses noch einmal die Möglichkeit sich zu äußern. Eminger war der einzige, der darauf verzichtete. Während des gesamten Prozesses sagte er nichts weiter als seinen Namen. Vielleicht die einzig mögliche Strategie für ihn, mit einem blauen Auge aus diesem Verfahren zu kommen. Beate Zschäpe hat im Prozess ausgesagt, dass André Eminger seit 2007 von den Raubüberfällen gewusst habe. Ob er in die Planung eingeweiht war, konnte nicht geklärt werden – auch weil Zeugen sich hinter einer Mauer des Schweigens versteckten. Als der Neonazi Thomas G. im Münchner Verfahren in den Zeugenstand trat, trug Eminger ein Hemd mit der Aufschrift „Brüder schweigen – bis in den Tod“.

Nebenklage-Anwalt Alexander Hoffmann sagt bei einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude am Mittwoch nach der Urteilsverkündung in München: „Das Urteil gerade gegen André Eminger ist geradezu eine Aufforderung an Neonazis, weiter zu machen. Und es ist das Signal an die Zivilgesellschaft: Ihr seid mit der antifaschistischen Aufklärungsarbeit allein. Es ist ein Schlag ins Gesicht für die Angehörigen der Opfer.“

Der vorsitzende Richter, Manfred Götzl, gilt als einer, der noch nie ein mildes Urteil gefällt hat. Jetzt ist es so weit. Warum? Warum gegen einen militanten Neonazi, der mit riesigen Lettern „Die Jews Die“ auf dem Bauch stehen hat? Das hat nur ein Ziel,  meint Anwalt Hoffmann: „Die falsche Anklage, die Lüge vom isolierten Trio, soll aufrecht erhalten werden, um jeden Preis soll es nur drei Täter gegeben haben.“ Und da hätte es einfach nicht hinein gepasst, wenn etwa im Urteil anerkannt worden wäre, dass  Eminger über einen langen Zeitraum dem Trio unterstützend zur Seite stand. „In welchem anderen Terrorverfahren, gegen Islamisten, gegen Linke, hätte es eine solche Strafe gegeben? Für einen Steinwurf bei G20 gibt es mehr!“

Von André Eminger heißt es zum Ende der Urteilsverkündung am 11.07.2018: “Andre É. küsst provozierend seine Frau, während hinter ihm Opferangehörige den Saal verlassen.” Ja, er hat hier ohne Zweifel am meisten gewonnen.

 

Weiterlesen

2017-04-12-anetta_0

Ein Hintergrundrauschen, das langsam zu einem Dröhnen anwächst

Antisemitismus neigt dazu überall zu verschwinden. Es gibt ihn demnach weder in der Friedensbewegung, noch in den Antielitenprotesten der Querfront, noch in muslimischen Milieus, noch mit Israelbezug oder im politisch linken Antiimperialismus. Nirgends Antisemitismus.

Von|
Foto_Saarland_a

Saarland 2012 In der rechtsextremen Szene bleibt vieles vage

Auch das Jahr 2012 war geprägt durch neonazistische Aktivitäten im Saarland. Und das auf einer Vielzahl von Ebenen. Eine große,…

Von|
20121130_hubschrauber_a

„Es war ein Versehen“ – Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz

Man müsse sich den Verfassungsschutz wie einen Hubschrauber vorstellen, so Bernd Palenda, kommissarischer Leiter des Verfassungsschutzes Berlin. Dieser Hubschrauber kreise über die Stadt um nach Falschparkern zu suchen. Diese Informationen würde er dann an die Polizei weitergeben, könne jedoch nie selbst direkt eingreifen, da er viel zu weit weg sei. Um diesen Hubschrauber handlungsfähiger zu machen, müsse man seine Aufgaben neu definieren und ihn mit mehr Instrumenten ausstatten. Genau darüber wurde bei der Veranstaltung „Sicherheitsrisiko Verfassungsschutz“ diskutiert.

Von Alina Valjent

Von|
Eine Plattform der