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Hilfe und Beratung für Ausstiegswillige

„Ich will aus einer rechtsextremen Gruppe aussteigen. Wo kann ich Hilfe bekommen?“ Interessierte haben die Möglichkeit, sich mit ihrem Anliegen an spezifische Beratungseinrichtungen zu wenden. Grundsätzlich gibt es neben den beiden bundesweit arbeitenden Trägern, das staatliche Bundesamt für Verfassungsschutz und die private Einrichtung ?Exit?, in der Mehrzahl der Bundesländer zum Teil sehr erfolgreich arbeitende Landesprogramme, die allesamt über entsprechende Hotlines erreichbar sind.

 
Menschen erreichen, wo sie sind: Facebook-Seite der Aussteigerinitativen "Exit". (Quelle: EXIT)

In der Regel vermitteln sämtliche Polizeidienststellen, Justizbehörden und Institutionen der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik Kontakte zu den Trägern dieses Angebotes. Des Weiteren kann Kontakt über Selbsthilfegruppen betroffener Elternteile aufgenommen werden. Allen Interessierten ist hier die diskrete Bearbeitung ihrer Anfrage gewiss.

Die Anlaufstellen unterscheiden sich nicht nur in der Trägerschaft, sondern auch in ihren Konzepten und Angeboten mitunter deutlich voneinander. Es ist jedoch zunehmend Konsens unter den Programmen, dass neben der rein juristischen Sichtweise ein sozialpädagogisch geprägtes Angebot vorgehalten werden muss.

Voraussetzungen für die Hilfen zum Ausstieg

Um in den Genuss eines Angebotes zur Hilfe zum Ausstieg aus der rechten Szene zu kommen, ist es bei den meisten der Ausstiegshilfen erforderlich, ein eindeutiges Signal der betroffenen Person selbst zur Bereitschaft der Abkehr von antidemokratischen Strömungen, Einstellungen und Gruppierungen sowie eine glaubwürdige Versicherung auf Verzicht zur Gewaltanwendung zu erhalten. Nur wenige Ausstiegshilfen bieten aufsuchende Ansprache.

Es ist weiter vorauszusetzen, dass der Anwärter auf Ausstiegshilfen fest in rechtsradikale und/oder rechtsextremistische Hierarchien eingebunden ist oder es zu einem Zeitpunkt der jüngeren Vergangenheit war. In letzterem Fall können die weiter ausgeführten Hilfen gewährt werden, wenn von der rechten Szene eine aktuelle Bedrohung für Leib und Leben des Betroffenen ausgeht.

Mit dieser Anforderung wird in der Regel ausgeschlossen, dass sich Trittbrettfahrer oder Mitläufer der rechten Szene auf Kosten des Trägers dieses Angebotes eine Arbeitsstelle, Wohnung oder finanzielle Vorteile verschaffen und somit Ressourcen binden, deren Nutzung ihnen nicht zusteht. Für sogenannte „Mitläufer? werden in der Regel ergänzend zu den Hilfen zum Ausstieg Präventionsprogramme und alternative Angebote der sozialen Arbeit und Sozialpädagogik angeboten.

Was passiert typischerweise bei den Ausstiegshilfen?
Bevor ein individueller Hilfeplan erstellt oder der Ausstieg aus dem rechtsextremistischen Milieu und die Zukunftsplanung des Klienten konkretisiert werden können, gilt es einige wichtige Dinge abzufragen:
? In vielen Fällen kann davon ausgegangen werden, dass eine Störung des Verhältnisses im Familienverbund vorliegt und auch weitere szenefremde Sozialkontakte nicht mehr bestehen. Deshalb ist zu evaluieren, wie weit die Verquickung des Klienten mit der rechten Szene reicht.
? Es ist in Erfahrung zu bringen, ob gegen den Anwärter auf Ausstiegshilfen Verfahren anhängig oder Bewährungsauflagen zu erfüllen sind.
? Da es in der Mehrzahl der zu erwartenden Fälle um Ausstiegshilfen für vorbestrafte Klienten gehen wird, muss abgeklärt werden, auf welche Summen sich eventuelle Verpflichtungen aus Schadensersatz, Schmerzensgeldern und Verfahrenskosten belaufen und ob sonstige Schulden vorhanden sind.
? Auf welche Schulbildung kann der Klient zurückgreifen oder geht er gar noch zur Schule? Ist es ratsam die Schule zu wechseln?
? Besteht bereits eine abgeschlossene Berufsausbildung oder wird sie gerade absolviert?
? Erscheint ein Wechsel der Ausbildungs- oder Arbeitsstelle notwendig?
? Ist der Wechsel der Wohnung oder des Wohnortes aufgrund möglicher Angriffe auf den Klienten anzuraten?
? Besitzt der Proband strafrechtlich relevantes Insiderwissen und käme aus diesem Grunde eine Unterbringung im Zeugenschutzprogramm in Frage?
? Bestehen erkennbare Sozialisationsdefizite oder psychische Erkrankungen und ? für den Fall, dass dem so ist ? existiert eine Dokumentation des Krankheits- bzw. Störungsverlaufes?
? Leidet der Klient an Alkohol- oder Drogenmissbrauch?

Einen Hilfeplan erstellen

Auf Grundlage der Anamnese wird für den Klienten ein individueller Hilfeplan erstellt, der die Basis für den Ausstieg aus der rechtsextremen Szene bildet. Der Plan wird mit dem Betreffenden erarbeitet beziehungsweise abgesprochen. Erst wenn dieser dem Hilfeplan zustimmt und ihn in vollem Maße akzeptiert, kann das Vorhaben in die Tat umgesetzt werden. Folgende Maßnahmen und Hilfen dienen der Orientierung:

? Maßnahmen zur Verstärkung der sozialen Kompetenzen in sozialen Trainingskursen,
? Inanspruchnahme von therapeutischen Hilfen,
? Teilnahme an Anti-Aggressivitäts-Trainings,
? Besuch einer weiterführenden Schule oder Nachholen eines Schulabschlusses,
? Absolvieren einer Berufsausbildung,
? Politische Sozialisation zum Beispiel bei einem Träger der Erwachsenenbildung,
? Organisation von Umzugshilfen in anonymisierter Form,
? Integration in neue soziale Strukturen (Wohnort, Schule, Arbeit, Vereine, Freunde etc.),
? Erteilung einer Auskunftssperre/ Telefoneintragssperre,
? Gemeinschaftliches Bearbeiten von Anträgen zur Berufsausbildungsbeihilfe, Hilfen zum Lebensunterhalt, Wohngeld, Arbeitslosenhilfe, Geheimtelefonnummer u.a.,
? Einrichten einer Stelle oder Vermittlung an eine Institution zur Verrichtung gemeinnütziger Arbeit an Stelle von Geldstrafe,
? Beratungsangebote und Vermittlung an Beratungsstellen,
? Bereitstellen einer ständigen Kontaktperson für den Klienten zur Nachbetreuung bis zu dessen vollständigen Integration in die Gesellschaft,
? Bereitstellen einer Notfall-Hotline,
? Bereitstellen von Überbrückungsgeldern für Umzug etc.,
? Unterbringung im Zeugenschutz und Bereitstellen einer neuen Identität,
? Psychologische Beratung zur Vermeidung oder Minderung von Krisen bei Annahme einer neuen Identität,
? Schuldnerberatung mit anschließender Erstellung eines Entschuldungsplanes und Organisieren von zinsgünstigen Darlehen (bspw. Deutsche Ausgleichsbank) zum Schließen von Vergleichen,
? Bei Scheitern der Vergleichsverhandlungen, Beantragung eines Insolvenzverfahrens,
? Täter-Opfer-Ausgleich,
? „Reanimieren? eingeschlafener Kontakte zur Familie und zu alten Freunden, die nicht zur rechtsextremen Szene gehören,
? Vermittlung des Klienten in eine Alkohol- oder Drogenentzugstherapie.

Das Ideal in der Umsetzung des Hilfeplanes ist immer eine Kooperation aller beteiligten Institutionen und Behörden zu Gunsten des Klienten.

Auseinandersetzung mit der Ideologie

Zu einem erfolgreichen Ausstiegskonzept gehört vor allem auch die ?Abarbeitung? der rechtsextremen Ideologie. Dies ist ein zum Teil langwieriger Prozess der Diskussion, Auseinandersetzung mit anderen Weltbildern und Anschauungen, Vermittlung von Informationen und Schaffung neuer Erfahrungsfelder demokratischer Teilhabe.

Ein langer und anstrengender Weg, der sich lohnt und vor allem eines verdient: Respekt.

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