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Neonazis und Journalist*innen „Die wissen, über welche Stöckchen wir springen“

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Ausschnitt des Flyers zum Workshop "Die neue Rechtsschreibung" (Quelle: Beratungsnetzwerk Hamburg)

Den Workshop „Die neue Rechtsschreibung“ am 23. August 2012 in Hamburg eröffnete Journalist und Rechtsextremismus-Experte Andreas Speit. Speit beschäftigt sich seit Jahren schwerpunktmäßig mit Rechtsextremismus – und schreibt bereits sei zehn Jahren eine wöchentliche Kolumne zum Thema in der taz. „Unsere Idee dabei  war, den permanenten Alarmismus zu unterlaufen, der in Medien herrscht, wenn es um Rechtsextremismus geht“, sagt Speit, „wir wollten einen  Platz schaffen, um die kontinuierliche, schleichende Etablierung rechtsextremer Ideen zu beschreiben, die Organisiertheit und Gefährlichkeit der Szene darstellen.“  Allerdings zeigte sich bald, dass es trotzdem leider nicht ausreicht, nur einmal in der Woche über den Themenkomplex zu berichten. Zu seinen wichtigsten Tipps für die Kolleg*innen gehörte: „Nehmen sie die journalistische Quellenprüfung ernst – auch wenn die Quelle der Verfassungsschutz ist, lohnt sich nachfassen und nachrecherchieren hier oft.“ Außerdem beschrieb er das Problem, dass Neonazis heute oft nicht mehr klar sagen, was sie denken – weil sie Angst vor Strafverfolgung haben. Das macht es für Journalist*innen nötig, mit Fachwissen zwischen den Zeilen zu lesen und in eine Vermittler*innen-Rolle zu treten. Zur Frage „Berichterstatten oder nicht“ riet Speit, immer zu hinterfragen: Suchen die Rechtsextremen mit Aktionen gezielt die Medienöffentlichkeit, dann kann es besser sein, einen grundlegende Hintergrundbericht zu schreiben, statt jeden Tag von den Provokationen der NPD-LKW-Tour zu berichten und ihnen damit unnötige Aufmerksamkeit zu verschaffen.  Was Speit im Zweifel aber immer noch sinnvoller findet, als einfach nicht zu berichten.

Rechtsanwalt Alexander Hoffmann aus Kiel betrachtete die Berichterstattung über Neonazis aus juristischer, presserechtlicher Perspektive. Tatsächlich gibt es in Redaktionen oft viele Unsicherheiten: Wann wird jemand zur Person der Zeitgeschichte? Wann darf man den Klarnamen veröffentlichen, wann das Gesicht im Bild zeigen? Grundsätzlich, so berichtet Hoffmann, rechtfertigen Aktionen, die bedeutsam für die Öffentlichkeit sind, dass Bericht erstattet wird – überlegen muss man nur, für welche Öffentlichkeit dieses Interesse besteht. Die Identitäten der rechtsextremen NSU-Killer etwa sind von bundesweitem öffentlichen Interesse: „Da habe ich überhaupt nicht verstanden, warum manche Redaktionen deren Namen nicht nennen.“ Auch wer mit seinem Namen und Aktionen nach außen tritt, etwa als Demonstrationsanmelder, wird zur Person der Zeitgeschichte und darf genannt werden. Ebenso geht es Funktionär*innen und Aktivist*innen, die Ämter übernehmen, Reden halten oder als Ordner*innen bei Demonstrationen auftreten, wie auch verurteilten rechtsextremen Straftäter*innen.

In einer Lokalzeitung kann es auch ein berechtigtes Interesse geben, über eine rechtsextreme Kita-Erzieherin – oder eine rechtsextreme Firma als juristische Person –  mit Namen und Foto zu berichten. Ob dieses Interesse aber auch bundesweit besteht, ist im Einzelfall zu klären. Hier empfiehlt Hoffmann, mehr mit unkenntlich gemachten Identitäten zu operieren.

Und grundsätzlich gilt, so der Anwalt: Je länger ein Vorfall zurückliegt, desto mehr greift der Schutz der Person. Wer sich also mit 18 Jahren etwas Rechtsextremes hat zuschulden kommen lassen, muss es sich nicht mit 40 immer noch ankreiden lassen – wenn nicht ähnliche Taten folgten.

Auch in einem anderen Punkt empfahl Hoffmann Sorgfalt – sogar mehr, als das Gesetz vorschreibt:  Beim Schutz von Kindern und Jugendlichen.  „Hier gilt: Je jünger, desto unkenntlicher sollte berichtet werden, in Wort und Bild – schließlich können Kinder nichts dafür, wenn ihre Eltern sie auf rechtsextreme Veranstaltungen mitschleppen. Und Jugendliche können ihre Meinung – hoffentlich – noch einmal überdenken und sollten dann nicht für immer als rechtsextrem markiert sein.“ Zur Vorsicht rief er Journalist*innen auf, die in einem Text über Gerichtsverfahren aus der Vergangenheit der Person berichten wollen: „Überprüfen Sie immer, ob das Urteil nicht in einer weiteren Instanz aufgehoben wurde.“  Ansonsten ermutigte er die Journalist*innen zu Courage – gerade, wenn sie an der Ausübung ihres Berufes gehindert werden sollen: „Die Polizei versucht immer wieder, etwa Bildberichterstattung zu verhindern mit dem Hinweis, eine Versammlung sei unfriedlich. Aber wenn sie das ist, sollte die Polizei die Versammlung auflösen – nicht die Presse wegschicken!“

Abschließend berichteten Stefan Schölermann (NDR Info) und Angelika Henkel (NDR-Fernsehen) aus der Rechtsextremismus-Redaktion des NDR. „Natürlich diskutieren auch wir in der Redaktion: Nützt es oder schadet es der rechtsextremen Szene, wenn wir über sie berichten“, sagt Stefan Schölermann, „aber das ist kein journalistisches Kriterium. Wir müssen über die Dinge berichten, die passieren.“ Vielmehr mache aber der Ton die Musik.  „Die rechtsextreme Szene weiß genau, über welche Stöckchen Redakteure springen“, sagt Henkel, „deshalb macht es immer Sinn, zu diskutieren:  Wie können wir uns schlau mit rechtsextremen Aktionen auseinandersetzen? Eine Taktik kann etwa sein, immer auch die zivilgesellschaftlichen Aktionen mit zu beleuchten, statt nur von der Nazi-Demonstration zu berichten.“ 

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