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Thüringer RechtsRock-Bilanz 2013 Jedes zweite Wochenende gibt es Hass zum Hören

Waren Silvester in Thüringen: Die Naziband "Kinderzimmerterroristen" bewirbt ihr Konzert auf Facebook. (Quelle: Screenshot / ngn)

Auffällig  ist  der  derzeitige  Zuwachs  an  Liederabenden. Insgesamt  elf  sind  von  MOBIT  im  Jahr 2013 gezählt worden. Dabei rückt die „Kammwegklause“ auf dem Erfurter Herrenberg besonders in den Blickpunkt. Anfang des Jahres  erst öffentlich geworden, fanden dort mit fünf Konzerten die landesweit  meisten  Liederabende  statt.  Die  besondere  Attraktivität  von  Konzerten  mit Liedermacher_innen  liegt  dabei  in  ihrer  Einfachheit.  Benötigen  Bands  zumeist  eine  Bühne  mit Platz für alle vier bis fünf Bandmitglieder, deren Instrumente und die  otwendige Tontechnik, ist der  Aufwand  für  Liederabende  mit  Gitarre  und  Notenständer  vergleichsweise  gering.  Daraus ergibt  sich  eine  große  Flexibilität.  Ob  im  Vereinsheim,  Gaststättenhinterzimmer,  im  Nachgang einer  Wanderung  oder  zur  Abrundung  eines Kameradschaftsabends  –  die  örtlichen Voraussetzungen  sind  nebensächlich.  Nicht  zuletzt  ist  das  geschäftliche  Risiko  eines Liederabends überschaubarer, als wenn Saal- und Technikmiete sowie Bandgage anfallen. 

Neben  den  Veranstaltungen  in  der  „Kammwegklause“  bildete  die  Immobilie  der „Hausgemeinschaft  Jonastal“  in  Crawinkel  mit  fünf  RechtsRock-Konzerten  einen  zweiten Schwerpunkt.  Hier  setzten  die  Neonazis  um  die  RechtsRock-Band  SKD  („Sonderkommando Dirlewanger“) ihre Konzerte mit bundesweit bekannten Bands der Szene bis zum Sept ember fort. Dieser  Personenkreis  rund  um  die  Band  bewohnt  mittlerweile  die  Immobilien  in  Ballstädt.  Der Frontmann  der  Band  wurde  nach  dem  brutalen  Überfall  vor  drei  Wochen  als  Tatverdächtiger festgenommen.

„Durchschnittlich  jedes  zweite  Wochenende  bietet  die  extrem  rechte  Szene  Konzerte  in Thüringen an“ resümiert Mikis Rieb, Berater bei MOBIT. Dabei reiche die Spanne vom lokalen bis zum überregionalen Rahmen.  Nicht zu vergessen sind jedoch auch für das Jahr 2013 die drei etablierten  Großveranstaltungen  im  öffentlichen  Raum.  Der  „Eichsfeldtag“  in  Leinefelde,  der „Thüringentag der nationalen Jugend“ in Sömmerda und das „Rock für Deutschland“ in Gera sind auch im Jahr 2014 bereits terminiert und beworben.

Zusammenfassung:

25 belegbare Konzerte und Liederabende (Vorjahr: 23) wurden insgesamt von MOBIT gezählt.4 Konzerte wurden nach Beginn aufgelöst (Vorjahr: 3).kein Konzert wurde im Vorfeld verhindert (Vorjahr: 4).

Von  den  insgesamt  25  gezählten  Musikveranstaltungen  bzw.  Veranstaltungen  mitrelevantem musikalischen Anteil waren:

22  Konzerte  in  geschlossenen  Räumen  z.B.  Szene-Treffs,angemieteten Gaststätten etc.; davon 11 Liederabende (Vorjahr 7)3  „Open Air “-  Veranstaltungen im öffentlichen Raum (angemeldet alspolitische Versammlung).

Dabei traten u.a. „Bombecks“, „Words of Anger“, „Sleipnir“, „Strafmass“, „Kategorie C“, „Schusterjungs“, „Ruhestörunk“, „Schankschluss“, Liedermacher „Axel“, „SKD“, „Unbeliebte Jungs“, „Hermunduren“, „Priorität 18“, „Exzess“, „Agartha“, „Die Lunikoff Verschwörung“, „Stimme der Vergeltung“, „Frontfeuer“, „Oiram“, Liedermacher „Resistencia“, „Brainwash“, Marco Bartch (früher Laszcz, Sänger von „Sleipnir“), „Fear rains down“, „Legion of Thor“, Rocker Rolf / Lokis Horden, Frank Rennicke, „Kinderzimmerterroristen (KTZ)“, „Brauni & Klampfe“ auf.

Eine genaue Auflistung mit Anlässen, Daten und Details gibt es bald auf www.mobit.org

Darüber  hinaus  gab  es  aber  auch  im  Jahr  2013  weitere  Konzerte,  bei  denen  einzelne Musiker  oder  Teile  des  Publikums  Nähen  zu  extrem  rechter  Ideologie  hatten.  (sog. Grauzone).

Hintergrund:

Warum sind Musikveranstaltungen für die rechtsextreme Szene so wichtig?

Schon der „Urahne“ des sogenannten RechtsRocks, Ian Stuart Donaldson, erklärte Anfang der 1990er Jahre  das  Musik  das  ideale  Mittel  sei,  Jugendlichen  den  Nationalsozialismus  näher  zu bringen.  Somit  ist  die  Funktion  neonazistischer  Musik  schon  seit  mehr  als  20  Jahrendefiniert. Um  die  im  Fokus  der  extrem  rechten  Szene  stehenden  Jugendlichen  und  jungen Erwachsenen auch möglichst sicher zu erreichen, deckt die braune Musikszene nunmehr ein sehr breites Spektrum an Musikstilen ab. Musikalisch bzw. stilistisch ist der sogenannte RechtsRock keinesfalls  auf  pure  Rockmusik  festgelegt,  sondern  bietet  Musik  von  Liedermacherei  (inkl. Volksliedern) bis hin zu sehr schwerem, harten National Socialist Black Metal (NSBM) oder den aggressiven, treibenden Klängen des National Socialist Hardcore (NSHC). Die Öffnung der  Szene  für  die  Musikstile  junger  Menschen  bzw.  die  Möglichkeit  für  junge, rechtsorientierte Menschen ihre Musik auch innerhalb der organisierten Szene weiter hören zu können, trägt zur Stabilisierung der  extrem  rechten Szene bei und verfestigt ebenso die Einstellungsmuster der Szenegänger. Auch die NPD nutzt Musik in Form von  sog. SchulhofCDs  zur  Gewinnung  von  neuen  Interessenten für  ihre menschenverachtenden Inhalte  und die Parteiarbeit.

Somit handelt es sich eben nicht „einfach nur um Musik“, wenn junge Menschen Bands aus dem  neonazistischem  Spektrum  hören  und  zu  deren  Konzerten  gehen.  Sowohl  die parteiförmig organisierte Szene, als auch die größere freie Neonaziszene gewinnen dadurch maßgeblich ihren Nachwuchs, binden interessierte junge Menschen ein und ideologisieren sie. Dies geschieht durch häufiges Wiederholen der Titel im mp3-Player ebenso wie durch das Erlebnis auf den Konzerten und den Open Airs der NPD. Deshalb richtet die Mobile Beratung in Thüringen (MOBIT) den Fokus der Betrachtung auf die Gesamtheit der Konzerte. Erst im zweiten Schritt ist es von Interesse, ob das Konzert durch die Polizei aufgelöst werden konnte, ob es sich um ein Rockkonzert handelte oder ob die  menschenverachtende,  antidemokratische  Ideologievermittlung  beispielsweise  per Liedermacher geschieht. Schließlich demonstrieren die seit Jahren hohen Zahlen an Konzerten und Konzertversuchen in Thüringen die zentrale Bedeutung der rechtsextremen Musik für die gesamte Szene.

Warum zählt MOBIT auch aufgelöste Konzerte und erwähnt im Vorfeld unterbundene?

Auch der Versuch Konzerte zu organisieren, selbst wenn es Ordnungsbehörden und Polizei gelingt  sie  im  Vorfeld  zu  verhindern,  sind  von  Interesse.  Gerade  das  Durchsetzen  einer neonazistischen  Konzertkultur  in  Thüringen  gegen  die  Widerstände  von  Zivilgesellschaft,Anwohnern und staatlichen Behörden veranschaulicht die Unverzichtbarkeit für die Szene. Die  Nichtnennung  von  aufgelösten  oder  verhinderten  Konzerten  würde das  Gesamtbild  im Sinne der oben beschriebenen Wichtigkeit für die extrem rechte Szene verzerren. 

Was ist das Besondere an den „Open Air“ – Veranstaltungen?

Aus der Sicht von MOBIT sprechen zwei Gründe für eine besondere Erwähnung der Open Airs. Die  NPD  bzw.  Freie  Kräfte  meldeten  in  den  vergangenen  Jahren  jeweils  mindestens  drei größere Konzerte als politische Kundgebungen nach dem Versammlungsgesetz an. Da das Grundrecht  auf  Versammlungsfreiheit  in  Deutschland  ein  hohes  Gut  darstellt  und  eine jahrelange Praxis in der Auslegung des Versammlungsrechts zu einer großen Sicherheit der extrem rechten Szene  führte, avancierte Thüringen  in  den  letzten  Jahren  zum  FestivalBundesland des RechtsRocks. Grundsätzlich ist man in der Wahl seiner Demonstrations-  bzw. Kundgebungsform frei und so hat es sich in Thüringen eingeschliffen, dass bei diesen Events abwechselnd Redner und Bands auf der Bühne stehen. Dem Versammlungsrecht ist somit Genüge getan, wenngleich natürlich vor allem die Attraktivität der eingeladenen Bands den Ausschlag gibt anzureisen oder  nicht.  Die  Praxis,  die  Open-Air-Konzerte  als  Kundgebungen  im  Sinne  des Versammlungsrechts anzumelden und diese somit unter den grundgesetzlichen Schutz der Versammlungsfreiheit zu stellen, stellt einen besonders erwähnenswerten Umstand dar. 

Zum Zweiten  ist die beschriebene Praxis ein  deutlicher  Schritt extrem  rechter Ideologie und Alltagskultur  in  den  öffentlichen  Raum  hinein.  Gemäß  dem  Drei-Säulen-Konzept  der  NPD verfolgt  sie  seit  über  dem  Ende  der  1990er  Jahre  die  Strategie  des  Vordringens  in  den öffentlichen Raum. Die NPD setzt dabei auf einen Gewöhnungseffekt. Beabsichtigt ist, dass die  Bevölkerung  sich  an  die  Anwesenheit  der  organisierten  und  unorganisierten  extrem rechten  Szene  gewöhnt,  der  Widerstand  gegen  ihr  Vordringen  erlahmt  und  eine „Normalisierung“  im  Umgang  mit  ihr  erfolgt.  Verschwimmen  erst  einmal  die  Grenzen zwischen rassistischer, antisemitischer, nationalistischer Alltagskultur und einem vielfältigen, demokratischen Miteinander, entgrenzt sich nachfolgend auch das Denken. Damit wäre der Weg  für  die  menschenverachtenden  inhaltlichen  Positionen  der  NPD  wie  auch  der  Freien Kräfte  frei  –  frei  weiter  in  die  Mitte  der  Gesellschaft  vorzudringen  und  das  demokratische Miteinander auszuhöhlen. Gerade die Open-Airs der neonazistischen  Szene stellen eine Vorschau auf diese skizzierte Möglichkeit dar. Es handelt sich um zeitlich begrenzte „national befreite Zonen“ unter dem Schutz  des  Versammlungsrechtes,  das  diese  Szene  nicht  wirklich  achtet,  sondern  nur benutzt, um es später abzuschaffen.

Warum listet MOBIT auch Liederabende auf?

Wie  in  der  Einschätzung  zur  Bedeutung  der  extrem  rechten  Musik  bereits  erläutert,  sieht MOBIT die Attraktivität für die Szene in der Selbstvergewisserung der Konzertteilnehmer und in  der  gesungenen  Vermittlung  extrem  rechten  Gedankenguts.  Im  Mittelpunkt  der Betrachtung  steht  daher  nicht  in  welchen  subkulturellen  Bereich  die  Besucher  oder  die Bands einzuordnen sind. Ein Konzert ist auch nicht durch die Verwendung von Schlagzeug, Gitarren o.ä. definiert. Entscheidend ist einzig, dass Musik dargeboten wird und im Falle des sogenannten  RechtsRocks,  dass  menschenverachtende,  antidemokratische  Inhalte  vermittelt werden. Wegen des Minimums an Vorbereitung und Ausstattung ist ein Liederabend die einfachste Art, den versammelten Veranstaltungsbesuchern noch eine kulturelle Abrundung zu bieten. Häufig finden diese Liederabende nach Parteiveranstaltungen und internen Schulungs-  bzw. Propagandaveranstaltungen  statt  und  untermalen  bzw.  verfestigen  die  vorher  erarbeitete politische  Agitation.  Es  handelt  sich  bei  Liederabenden  also  nicht  um  ein vernachlässigungswürdiges  Beiwerk,  sondern  um  ein  im  Sinne  der  Ideologievermittlung vollwertiges Agitationsmittel. 

Mehr im Internet:

www.mobit.org

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