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Mit Gewalt zur Diskussion – die Wortergreifungsstrategie

Wenn Neonazis bei Veranstaltungen auftauchen, die sie nicht selbst organisiert haben, geht es ihnen meistens nur um eins: Mit allen Mitteln zu Wort zu kommen. Gelingt ihnen das nicht, werden sie oft bedrohlich und gewalttätig.

 

Dort, wo man ihnen das Wort überlässt, geht es ihnen nicht um einen Austausch von Argumenten, sondern um die ungehinderte Verbreitung ihrer Propaganda. Für dieses Vorgehen haben sie einen Begriff erfunden: Wortergreifungsstrategie.

Demokratische Parteien und zivilgesellschaftliche Initiativen zur direkten Auseinandersetzung mit ihren menschenverachtenden Positionen zu zwingen, ist erklärtes Ziel der so genannten Wortergreifungsstrategie. ?In der direkten Konfrontation mit dem Gegner soll dieser nicht mehr in der Lage sein über Nationalisten, sondern nur noch mit ihnen zu diskutieren,? heißt es unverblümt in einer Pressemitteilung vom März 2006 der NPD-Jugendorganisation die ?Jungen Nationaldemokraten? (JN).

Einschüchtern und drohen

Dabei sind der Partei und den ?Freien Kameradschaften? alle Mittel recht, um Informationsveranstaltungen zum Thema Rechtsextremismus, aber auch Wahlkampfveranstaltungen demokratischer Parteien zur Plattform für die eigenen Parolen um zu wandeln: Wie beispielsweise als die Alternative Jugend Südthüringen im vergangenen Herbst auf den Wandel von rechtsextremen Strategien und Codes sowie die zunehmenden Aktivitäten von NPD und ?Freien Kameradschaften? im Südthüringen aufmerksam machen wollte.

Fotografieren und beschimpfen

Um zu verhindern, dass interessierte Besucher durch verbale und gewalttätige Drohungen der Neonazis vom Besuch der Veranstaltungen abgeschreckt würden, hatten die Organisatoren bei den öffentlichen Informationsveranstaltungen mit dem Schwerpunkt ?Rechte Strategien und Gegenwehr? an Volkshochschulen, Stadthallen und Bürgerhäusern in Arnstadt, Meiningen, Suhl und Zella-Mehlis Neonazis im Vorfeld explizit ausgeladen.

Deren Reaktion machte das eigentliche Ziel der Neonazis deutlich: Einzuschüchtern und eine Diskussion um demokratische Handlungsoptionen zu stören. In Zehla-Mehlis drangen 20 bis 25 Neonazis dann kurz vor Veranstaltungsbeginn auf den Hof des Bürgerhauses. Dort fotografierten und beschimpften sie Besucher. Weil die Veranstalter eingriffen, erhielten die Rechtsextremisten jedoch keinen Zugang zum Bürgerhaus und die Veranstaltung konnte danach ungestört stattfinden. Währenddessen nahm die Polizei vor der Tür die Personalien der Störer auf und genehmigte ihnen eine Kundgebung vor dem Bürgerhaus.

Getarnt als unpolitische Besucher

Auch das gehört zur Wortergreifungsstrategie: Bleiben sie erfolglos, geben sich Neonazis gerne als Opfer einer vermeintlichen ?Meinungsdiktatur?, die Meinungsfreiheit und einen Austausch von Argumenten nicht zulasse. Nicht immer treten sie dabei so brutal wie in Zella-Mehlis auf. Andernorts tarnen sie sich zunächst als vermeintlich unpolitische Besucher und ?outen? sich erst durch ihre Redebeiträge. Wenn ihnen dann das Wort entzogen wird, kehren sie zu den altbekannten Verhaltensmustern zurück.

Zum Thema

| Nazis wollen meine Veranstaltung stören. Was kann ich tun?

| Interview mit der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus über die Wortergreifungsstrategie und Gegenmaßnahmen

| Eine Handreichung mit Checklisten für Veranstaltungen finden Sie hier zum Herunterladen

Weblinks

| Broschüre zum Umgang mit Rechtsextremen auf Saalveranstaltungen

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