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„Man dichtet sich eine Opferrolle an“ Christian Ernst Weißgerber war Neonazi – als Student ist er ausgestiegen

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Neonazis als Schwarzer Block "Autonomer Nationalisten". Die Gruppe wird vom Verfassungsschutz als besonders gewaltorientiert eingestuft (Quelle: Marek Peters / www.marek-peters.com, GFDL 1.2)

„Mein Aufenthalt in der rechten Szene war vergleichsweise kurz“, sagt Christian Ernst Weißgerber. „Dafür waren mein Aufstieg und Fall sehr schnell und intensiv.“

Als Jugendlicher, mit gerade 14 Jahren, baute Weißgerber erste Kontakte zum Nazi-Milieu auf. Heute erinnert er sich vor allem an die Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-IV-Gesetze, zu denen er seinen Vater begleitet hatte und an denen auch Nazis teilnahmen. „Mich hat es sehr fasziniert, mit wie viel Standhaftigkeit die aufgetreten sind, obwohl sie so stark angefeindet wurden.“ Ein bestimmtes „Gerechtigkeitsverständnis“, das ihm besonders auch sein Vater vermittelt habe, habe ihn auf den rechten Pfad gebracht, sagt der Aussteiger heute. „Meine Vorstellungen von Gerechtigkeit waren einerseits sozialistisch und kapitalistisch, andererseits aber auch national aufgeladen.“

Mehr als ein „Lifestyle“

Als Jugendlicher machte Weißgerber regelrecht Karriere in der rechtsextremen Szene – zunächst in einer Kameradschaft in Eisenach, dann bei den „Autonomen Nationalisten“. Dieser Gruppe, vom Verfassungsschutz als besonders gewaltorientiert eingestuft, ginge es nicht nur um einen „rechtsextremen Lifestyle“ wie manchen Skinhead-Gruppen, erklärt Weißgerber. Ihre Anhänger seien zutiefst ideologisch, lesen gesellschaftstheoretische Texte und beschäftigen sich ausführlich mit Geschichtsrevisionismus.

„Systematische Abfertigung von Menschen“

Auch er habe früher geschichtliche Wahrheiten ausgeschaltet, gesteht Weißgerber. Selbst wenn Freunde versucht hätten, mit ihm über die Shoah als historische Tatsache zu besprechen, sei er völlig dickköpfig geblieben. „Wenn man mir Holocaust-Filme gezeigt hat, war ich der Überzeugung, dass es sich dabei um fiktionales Material handelt.“

Erst in der kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Ideologie habe er es geschafft, sein verfälschtes Geschichtsbild zu revidieren. „Der Holocaust-Leugnung liegt ein ganz falscher Umgang mit Geschichte zugrunde. Der Punkt ist doch, dass gar nicht die Quantität des Schreckens der Shoah das eigentlich Grausame ist, sondern die systematische Ermordung von Menschen selbst, ganz egal, wie viele es waren.“ Irgendwann habe er erkannt, dass es auch bei den „Ausländer raus“-Slogans der Rechten um das systematische Abfertigen von Menschen gehe – „als ich das erkannt habe, fand ich das abstoßend.“

„Große Zersplitterung innerhalb der Szene“

„Es gibt so viele Gruppenverbände mit verschiedensten politisch aufgeladenen Marschrichtungen. Es herrscht eine große Zersplitterung innerhalb der Szene.“ Das öffentliche Bild einer einseitigen rechtsextremen Szene findet Weißgerber problematisch – und letztlich gefährlich, weil es eher subversiv agierende Organisationen ausblende. „Es gibt einige Gruppen, die erkannt haben, dass man in der Mehrheitsgesellschaft mit dem Verweis auf den historischen Nationalsozialismus nicht gut ankommt. Daraus resultiert dann die pragmatische Entscheidung, etwas moderater aufzutreten.“

Der ideologische „Distanzierungsprozess“, wie Weißgerber seine ersten Zweifel nennt, habe während seiner Zeit bei den „Autonomen Nationalisten“ begonnen. „Zuerst habe ich mich von bestimmten völkischen Begriffen gelöst, dann auch angefangen, den Begriff des Volkes als solchen zu hinterfragen.“ Heute sei er angeekelt, wenn er NPD-Plakate sehe, die das Bild einer homogenen Gesellschaft „ohne Ausländer“ propagieren.

Zurück in die Zivilgesellschaft

Den Ausstieg geschafft hat Weißgerber schließlich zusammen mit seinem ehemaligen Mitbewohner, der ebenfalls in der rechten Szene aktiv gewesen war. Der Austausch mit anderen Ehemaligen aus der Szene sei für den Ausstieg wichtig, sagt Weißgerber. Zentral sei aber auch, Netzwerke in der Zivilgesellschaft zu haben. Dabei unterstützt hat ihn die Aussteigerorganisation EXIT Deutschland, die ehemals Hochradikalisierte betreut. „Man neigt dazu, sich eine neue Opferrolle anzudichten. Das kennt man ja aus der Zeit in der rechten Szene: Da gibt es immer dieses Bild von Siegfried, der gegen den Drachen kämpft. Das Bild wandelt sich nach dem Ausstieg zum Gegenteil – man will sich ja jetzt gut mit dem Drachen stellen. Es ist ein psychologischer Mechanismus, dass man Ressentiments aus der Gesellschaft nutzt, um sich selbst wieder in die Opferrolle zu drängen – weil die Gesellschaft Aussteigern erst einmal skeptisch gegenübersteht.“

Nach dem Ausstieg habe er das Gespräch mit Leuten aus der linken Szene gesucht – auch mit der Antifa, die Aussteigerorganisationen wie „Exit Deutschland“ nicht anerkennt. Die Skepsis, die ihm besonders zu Beginn des Ausstiegs entgegenschlug, könne er nachvollziehen, sagt Weißgerber. Sein eigener mentaler Bruch mit seiner Vergangenheit habe der Antifa in Jena, wo er damals Philosophie studierte, nicht ausgereicht, um ihm „Absolution“ zu erteilen. So habe er sich schließlich entschlossen, seinen Ausstieg öffentlich zu machen und sich der Konfrontation mit den Menschen zu stellen, gegen die er bisher agitiert hatte. „Das ist wichtig, um zu reflektieren, was ich damals eigentlich gesagt habe und warum. Diese Vergangenheitsbewältigung kann man gar nicht allein schaffen. Im Übrigen halte ich es für unmöglich, einen Ausstieg zu vollziehen, ohne gleichzeitig den Einstieg in eine andere Gruppe zu meistern.“

Mit freundlicher Genehmigung des deutsch-tschechischen Online-Magazins jádu des Goethe-Institutes Prag

Mehr Informationen:

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Von Pauline Schmidt

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