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Nominiert für den Amadeu Antonio Preis 2017 – „Gulliver unter uns“

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"Gulliver unter uns" (Quelle: Fotograf: Ulrich Wessollek)

Sechzig Projekte haben sich für den Preis beworben, sieben sind nun nominiert – die stellt Belltower.News vor. Heute: Kanaltheater mit “Gulliver unter uns”

In der Open-Air-Inszenierung von “Gullivers Reisen” werden die Zuschauer_innen auf eine theatrale Abenteuerreise mitgenommen. Das Kanaltheater hat das bekannte Werk – aber auch seine unbekannten Teile – mit aktuellem Bezug neu aufleben lassen. Die Regisseurin Heike Scharpff erzählt, wie das Projekt entstanden ist und wie es umgesetzt wurde. Fiona Katharina Flieder führte das Gespräch.

 

Es gibt ja bereits diverse Interpretationen von “Gullivers Reisen”, Filme, Comics, Musicals. Wie kamen Sie auf die Idee, das Stück neu zu adaptieren?

 

Die Geschichte wurde bisher hauptsächlich für Kinder aufbereitet. Das ist eigentlich Quatsch, wenn man bedenkt, worum es da tatsächlich geht. Die vier Bücher von “Gullivers Reisen” wurden als satirische Kritik am Kolonialismus geschrieben. Im Original ist es so beschrieben, dass sogar auf ganz konkrete Persönlichkeiten der britischen Kolonialgeschichte angespielt wird.

Unsere Dramaturgin Katja Kettner kam auf die Idee, das mit dem Thema “Flucht” zu verbinden. In der Geschichte sind so viele Aspekte, die gut zu den Erfahrungen von Geflüchteten passen, zum Beispiel als Fremder in einer neuen Kultur zu landen. Wie Menschen sich manchmal wie ein Riese zwischen lauter Zwergen fühlen oder ganz klein gemacht werden.

Und dann ist ja vor allem nur das erste Buch bekannt. Es gibt aber drei weitere Bücher, die sind unglaublich angefüllt mit skurrilen kleinen Geschichten. Daher haben wir uns aus allen vier Büchern bedient. In unserer letzten Szene beziehen wir uns zum Beispiel auf das vierte Buch, in dem Gulliver – bei uns sind es drei Gullivers – im Land der Pferde landet. Die Pferde sind dort die vernunftbegabtesten Wesen und die Menschen die primitivsten. Die Gullivers werden am Ende aus dem Land der Pferde ausgewiesen.   

Geplant haben wir das Stück bereits Anfang 2015, aufgeführt wurde es dann 2016. Das war eigentlich schon ein Zufall, dass es damit zusammenfiel mit der großen Fluchtbewegung nach Deutschland. Weltweit ist Flucht aber natürlich schon lange ein Thema. Das war unsere Motivation, uns das Thema vorzunehmen.

 

Wie wurden die Erfahrungen von Geflüchteten in das Stück einbezogen?

 

Es haben mehrere Menschen mit Fluchterfahrung mitgearbeitet. Anfangs haben wir viele Interviews geführt, um die persönlichen Geschichten einzufangen. Zwei der Interviewten haben dann auch als Schauspieler mitgewirkt, andere waren Teil unseres Chors.

Eine Szene spiegelt ganz klar die aktuelle Geschichte von Migration wieder. Da stellen wir nach den Erzählungen einer geflüchteten Person ein Einreise-Interview dar.

 

Welche Reaktionen gab es auf das Stück?

 

Die Reaktionen der Zuschauer waren durchweg positiv. Wir haben lediglich festgestellt, dass von unserem Stammpublikum nicht alle kamen. Da unser Stück in das Jahr der großen Fluchtbewegung fiel, in dem das Thema so oft und überall besprochen wurde, vermute ich, dass manche es vielleicht einfach nicht mehr hören konnten. Außerdem war es ein Stück, bei dem man viel laufen musste. Das hat vielleicht auch einige abgehalten.

Aber die, die da waren, waren begeistert. Natürlich wurden auch Diskussionen ausgelöst, wie zum Beispiel durch die letzte Szene, in der wie gesagt die Gullivers ausgewiesen werden. Das tut dann als Zuschauer schon weh, weil man sich sehr in die Figuren hineinversetzt. Die Zuschauer laufen ja schließlich die ganze Strecke mit – das ist anders, als wenn sie ein Stück nur auf der Bühne sehen. Aber auch, wenn das natürlich kein angenehmes Ende ist – so sieht die Realität nun mal aus.

 

Mehr zum Amadeu Antonio Preis:

http://www.amadeu-antonio-preis.de/

 

Die Nominierten:

„Schluchten – Neue Nachbarn“

Schülergesprächskonzerte der Neuen Jüdischen Kammerphilharmonie Dresden

„Gulliver unter uns“

Tribunal „NSU-Komplex auflösen“

„Add your Heroine!“

„Träumen auf deutsch, ohne Untertitel“

„Nasser #7Leben“

 

Weitere Projektvorstellungen auf Belltower.News:

http://www.belltower.news/lexikon/amadeu-antonio-preishttp://www.belltower.news/category/lexikon/projekte

 

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aufmacher e2

Text über Polizeigewalt Freispruch für Belltower.News-Autor*innen

2018 erschoss ein Polizist einen Geflüchteten in Fulda, der Schütze zeigte via Facebook Sympathie für die AfD. Das Verfahren wurde eingestellt. Vor Gericht standen andere: Journalist*innen, die kritisch über den Fall bei Belltower.News berichtet hatten. Am Montag wurden sie freigesprochen.

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