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Einmal Neonazi und zurück Kontakt mit dem rechtsextremen Vater – zum Kindeswohl?

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(Quelle: EXIT-Deutschland)

Markus Privenau ist noch heute tief eingebunden in die rechtsextreme Szene in Norddeutschland. Seine Frau aber ist vor sieben Jahren ausgestiegen, gemeinsam mit ihren fünf Kindern. Tanja Privenau, heute 43 Jahre alt, ist seitdem sehr oft umgezogen. Mehrmals mussten ihre Kinder die Schule verlassen, wenn ihre Identität wieder einmal aufgeflogen war, weil ihr Ex-Mann sie aufgespürt hatte und dann entweder ehemalige Kameraden oder aber die Leute von der Antifa ihr Haus belagerten.

Tanja Privenau trägt heute wieder einen anderen Namen. „Wenn ich damals gewusst hätte, was auf meine Kinder zukommt, ich wäre nicht ausgestiegen“, sagt Privenau. „Manchmal frage ich mich, welches Leben schlimmer war.“ Sie sagt das trotz jener Hausdurchsuchungen damals, zu denen es kam, weil ihr Mann einen Versand mit antisemitischen Propagandafilmen wie „Jud Süß“ betrieb. Trotz der Schläge – die allerdings damals, als auch Tanja Privenau noch für einen neuen Nationalsozialismus kämpfte, nicht so oft vorkamen.

„Sie war so voller Müll“

Nach ihrem Ausstieg bekam Privenau vom Familiengericht das alleinige Sorgerecht zugesprochen. Ihre Kinder haben den Vater seit sieben Jahren nicht mehr gesehen. Sie alle haben Therapien gemacht und haben versucht, sich zu erholen. Das hat auch ganz gut geklappt. Aber für die Tochter war es zu spät. „Sie war so voller Müll, das hat kein Therapeut mehr aus ihr rausgekriegt“, sagt Privenau. Das Mädchen nahm sich mit 18 Jahren das Leben.

Wenn es nach dem Oberlandesgericht Dresden geht, sollen die drei jüngeren Kinder nun ihrem leiblichen Vater wieder langsam zugeführt werden. Markus Privenau hatte auf das Recht geklagt, seine Kinder sehen zu können, und der Richter entschied: Einmal im Monat soll es ein zweistündiges Treffen geben dürfen, in Begleitung eines Sozialarbeiters. Wenn das ein Jahr lang klappt, soll der Vater seine Kinder wieder öfter sehen dürfen, auch allein.

Tanja Privenau sitzt auf einer Hotelterrasse einer deutschen Großstadt. Sie ist ein natürlicher, zupackender Typ. Praktisches Schuhwerk, gestreifte Leinenhose, keine Schminke, an ihren Ohren baumeln Kugelohrringe. „Dieses Urteil ist das Aus für uns“, sagt sie. „Der Privenau hält es für eine höhere Aufgabe, die Kinder dem Nationalsozialismus wieder zuzuführen.“

Das Gericht gründete sein Urteil unter anderem auf das Gutachten einer Psychologin, die bei Tanja Privenau das Parental Alienation Syndrom vermutete. Hierbei liegt eine Störung des Kindes wegen der ungerechtfertigten Abneigung eines Elternteils vor, meist verursacht durch die Mutter, die durch die Instrumentalisierung der Kinder ihre körperliche Unterlegenheit ausgleicht und so Rache am Ex-Mann übt. Jedes Kind habe von Geburt an ein unveräußerliches Recht auf die gelebte Beziehung zu beiden Eltern, heißt es im Gutachten. Die Psychologin engagiert sich seit Jahren für die Rechte von Vätern.

Ein Gegengutachten widerspricht: „Es ist fraglich, aufgrund einer biologischen Verwandtschaft einen Kontakt zu erzwingen, ebenso fraglich ist die Annahme, nur diese biologisch intakte Beziehungsform könne zur Ausbildung einer gesunden Identität führen.“ Mit diesem Gegengutachten will sich die Mutter nun an das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe wenden, in der Hoffnung, das Dresdner Urteil auszuhebeln. Sie ist der Ansicht, dass ihr Ex-Mann seine Rechte als Vater verwirkt hat, spätestens seit er auf einer einschlägigen Internetseite schrieb, sie, Tanja, werde „eines Tages dem Reichsgericht übergeben“. „Bei den Nazis ist das ein Synonym dafür, dass ich zum Abschuss freigegeben bin“, sagt sie.

HARTE MÄNNER

Es ist nicht so, dass Tanja Privenau nur eine Mitläuferin gewesen wäre. Sie selbst nennt sich eine ehemalige Überzeugungstäterin. Ihr Großvater war Wehrmachtssoldat, der Krieg musste sein, die Juden waren unser Unglück, pflegte er zu sagen, und Privenaus Eltern ließen ihn gewähren. „Wir brauchen auch wieder jemanden, der hier durchgreift“, sagten sie. Privenau schrieb an die neonazistische Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und trat ein, da war sie 14 Jahre alt. Die radikalen Forderungen gefielen ihr, etwa die nach der Todesstrafe für Drogendealer und Kinderschänder oder der sofortigen Ausweisung aller Asylanten. Die harte Musik mochte sie, die Männer, das waren in ihren Augen noch echte Kerle.

Als die FAP 1995 verboten wurde, radikalisierte sich die rechtsextreme Szene noch mehr. Privenau übernahm die Leitung einer Kameradschaft, rekrutierte neue Mitglieder, besonders Schüler und Rentner, schulte sie in Organisationen wie der rassistischen „Artgemeinschaft – Germanische Glaubensgemeinschaft“, nach deren Auffassung sich die „Weitergabe des genetischen Erbes der Art (Rasse) an die Nachkommen sicherstellen ließe, wenn die Ehepartner weitgehend identisch aussehen“. „Natürlich vertrat ich damals auch die Meinung, der Holocaust habe nie stattgefunden, wie alle in der Szene“, sagt Privenau. In der Schule weigerte sie sich, von ihrer jüdischen Lehrerin unterrichtet zu werden.

Was hat er auf dem Kerbholz?

Was sie jetzt an ihrem Mann so hasst, fand Privenau damals anziehend. Sein militantes Auftreten, dass er immer aus der Rolle fiel, so ein wehrhafter Mann war. „Man sucht sich in der Szene ja nicht die Männer danach aus, ob sie sympathisch sind oder gut aussehen. Man guckt auf rassische Gesichtspunkte: Hat er was auf dem Kerbholz? Kann er sich wehren?“ Das war bei Markus Privenau so. Bei Schießübungen hat er in den 80er-Jahren einen Jäger angeschossen, der an seinen Verletzungen starb. Seitdem kannte man ihn in der Szene als „Jägermörder“. Der verstorbene Neonazi Jürgen Rieger vertrat Privenau damals vor Gericht, das Urteil: „Unfall mit Todesfolge“.

Tanja Privenau war fasziniert von diesem militaristischen Mann. Sie heirateten und bekamen im Abstand von gut drei Jahren drei Kinder. Ihre beiden ältesten Kinder brachte Tanja Privenau mit in die Ehe, ihr ältester Sohn litt am Downsyndrom. Das Verhältnis zum neuen Mann seiner Mutter verschlechterte sich zusehends. „,Der Junge gehört ins Heim, unter Adolf hätte es das nicht gegeben‘, solche Sätze kamen dann immer öfter.“ Tanja Privenau begann sich innerlich zu distanzieren, ihre Tochter weigerte sich, in die HDJ-Lager zu gehen. Als ihre Gesinnung bekannt und sie von der Schule verwiesen wurde, sagte sie: „Was kann ich dafür, was meine Mutter denkt?“ Zur Mutter sagte sie: „Ich will das nicht mehr, hol uns hier raus!“

Privenau forderte von ihrem Mann: Keine Nazis mehr in unserem Haus und keine illegalen Geschäfte. Erst versuchte sie, ihn zum gemeinsamen Ausstieg zu überreden. Als er immer gewalttätiger wurde und sie ihren ältesten Sohn eines Tages übersät von Blutergüssen auffand, floh Tanja Privenau 2005 vom gemeinsamen Hof in Norddeutschland.

Im Urteil des Oberlandesgerichts Dresden heißt es nun: „Der Senat kann nicht feststellen, dass bei einem Umgang der Kinder mit ihrem Vater zu befürchten wäre, dass seine Kinder oder die Mutter der Kinder Angriffen aus der rechtsradikalen Szene ausgesetzt wären, die eine Gefährdung des Wohls der Kinder oder auch der Antragstellerin bedeuten würden.“ Insbesondere ließen die von der Antragstellerin vorgelegten und vom Senat eingeholten Auskünfte der Polizei und Verfassungsschutzbehörden eine konkrete Gefährdung der Antragstellerin und ihrer Kinder nicht erkennen.

Geht es nach dem Gerichtsurteil, wird Markus Privenau seine drei leiblichen Kinder am 6. Oktober nach sieben Jahren zum ersten Mal wieder sehen. Sie dürften ihm nicht einmal verraten, wie ihr neuer Name lautet. Zu groß wäre die Gefahr, dass jemand die Drohung mit dem Reichsgericht wahr machen wolle, sagt Tanja Privenau. „Ich weiß doch, dass das Leben für die ein immerwährender Kampf ist, dass die Waffen haben, Sprengstoff.“

Dieser Artikel erschien zuerst am 12.08.2012 auf www.morgenpost.de. Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.

 

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