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Connewitz Sachsen hat ein Problem mit Rechtsextremismus, die Behörden schauen jedoch lieber nach links

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01.01.2020, Sachsen, Leipzig: Ein Feuer brennt an einem Einkaufswagen auf einer Kreuzung im Stadtteil Connewitz.

Vor vier Jahren, am 11. Januar 2016, randalierten am Rande der Demonstration zum  einjährigen Bestehen von Legida rund 250 Neonazis und rechte Hooligans durch den Leipziger Stadtteil Connewitz. Der Angriff sollte ein Fanal gegen den als links geltenden Stadtteil sein. Die Aufarbeitung des Vorfalls dauert indes an. Über zwei Jahre vergehen, bis im August 2018 die ersten Prozesse gegen die ersten Randalierer begannen. Der späte Prozessbeginn führt übrigens dazu, dass allein auf Grund der verstrichenen zwei Jahre das Strafmaß reduziert wird. 

In der Silvesternacht 2019/20 kommt es  im Leipziger Stadtteil Connewitz erneut zu einer unübersichtlichen Situation – diesmal, so berichten Polizei und Presse zunächst, zwischen vermeintlich gewaltbereiten Linken und Polizeibeamt*innen. Diesmal wurde bereits eine Woche nach den Vorfällen ein Angeklagter verurteilt. Ob dies in Lernprozess ist oder aus den unterschiedlichen vermeintlichen Tätergruppen resultiert, ist eine interessante Frage. 

Die sächsischen Behörden ermitteln nach der Silvesternacht in Leipzig wegen versuchten Mordes an einem Polizisten. Der Mann sei am Neujahrstag notoperiert worden, hieß es in einer Polizeimeldung vom Neujahrstag. Auf Nachfragen von taz- Journalist*innen stellte sich allerdings heraus, dass nur ein Eingriff an der Ohrmuschel des Beamten unter lokaler Betäubung vorgenommen wurde. Die Polizei bestritt zunächst den Vorwurf, bezüglich der Verletzungen übertrieben zu haben. Erst auf Nachfrage räumte die Behörde ein, dass Stellen ihrer ersten Meldung so nicht stimmen würden und eventuell doch übertrieben seien. 

Auch weitere Passagen aus der ersten Polizeimeldung scheinen sich nicht ganz an der Wahrheit orientiert zu haben, das legt zumindest ein Video von der Nacht nahe, das Zeit Online veröffentlicht hat. Einen orchestrierten Angriff von „etwa 20-30 Personen, welche zumindest teilweise vermummt waren“, wie die Polizei behauptet, hat es offenbar nicht gegeben. Genauso wenig stimmt die Erzählung vom brennenden Einkaufswagen, der erst zwischen die Polizeibeamt*innen geschoben worden sein sollte, dann zumindest in ihre Richtung, dann nicht einmal mehr das. Es ist leider nicht das erste Mal, dass die Polizei Falschmeldungen verbreitet

Doch sie haben Effekte. In der Zeit des Jahreswechsels, in der auch journalistische Redaktionen nur schwach besetzt sind ,  werden die Darstellungen der Polizei weitestgehend ungeprüft von Medien übernommen. Und prompt setzt sich die Empörungsspirale in Gang. Konservative Politiker*innen und Meinungsführer*innen melden sich zu Wort und warnen vor dem Erstarken eines neuen „Linksextremismus“. Die BILD spricht sogleich von „linksextremen Terroristen“ und von einer „neuen RAF“. Der sächsische Ministerpräsident spricht von „linkem Terror“, Sachsen Innenminister von einer „neuen Stufe linksextremer Gewalt“. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft und AfD-Versteher Rainer Wendt warnt davor, dass sich im linken Spektrum „militante Strukturen nach dem Muster der Roten Armee Fraktion (RAF)“ entwickeln würden. Der Chef des Hamburger Verfassungsschutzes, Torsten Voß, warnt in der Welt am Sonntag vor einem sich abzeichnenden neuen Linksterrorismus. „Taten der linksextremen Szene zeichnet eine neue Eskalationsstufe aus, weil sie sich nicht mehr nur gegen Sachen wie Wohnungen, Parteibüros oder Fahrzeuge richten, sondern mittlerweile auch direkt gegen das Leben und die Gesundheit von Menschen“. Voß vermutet, „, dass wir uns in Richtung eines neuen Linksterrorismus bewegen“. Und noch am 3. Januar sagte Leipzigs Polizeipräsident Torsten Schulze im Interview mit Zeit Online: „Die Gewalttaten begannen von Seiten von Linksextremisten, von Verbrechern, von Unmenschen.“ (Eine Entschuldigung für die entmenschlichende Wortwahl steht bisher aus). Noch am 3. Januar behauptete zudem noch Horst Kretzschmar, Landespolizeipräsident, es seien keine Falschmeldungen verbreitet worden – doch das sind sie. 

Das Problem ist hier nicht, dass auch die Polizei im Eifer des Gefechts Fehler gemacht hat. Problematisch ist, dass es wirkt, als hätte die Polizei die Wahrheit manipuliert. So  fiel das Eingeständnis, Fehler begangen zu haben, doch recht schwach aus. Auch dank des Vorgehens der Polizei setzte sich eine willkommene Empörungsspirale in rechten Kreisen in Gang. 

Prozessstart gegen Linke: 8 Tage

Wenn die Justiz will, kann sie offenbar richtig flott: Eine Woche nach den Ausschreitungen in der Silvesternacht auf 2020 stand ein erster Angeklagter in Leipzig vor Gericht. Die Staatsanwaltschaft hatte aufgrund des überschaubaren Sachverhalts und der klaren Beweislage ein sogenanntes beschleunigtes Verfahren angestrengt. Einem 27-jährigen Straßenkünstler wird vorgeworfen, einem Polizisten ein Bein gestellt zu haben. Er wurde 

zu sechs Monaten Haft auf Bewährung und 60 Arbeitsstunden verurteilt.

Prozessstart gegen Neonazis: Zweieinhalb Jahre

Am 11. Januar, vor vier Jahren, griffen über 250 Neonazis bewaffnet mit Totschlägern und anderen Schlagwerkzeugen, den Stadtteil Connewitz an, verletzten mindestens drei Personen und verursachten einen Sachschaden von über 110.000 €. 216 Täter und eine Täterin wurden durch die Polizei ermittelt, darunter rechte Hooligans, Neonazi-Kampfsportler und Rocker. Über zwei Jahre dauert es, bis die juristische Aufarbeitung begann. Sie kommt  immer noch äußerst schleppend voran und verspricht de facto keine Aufklärung über die Hintergründe der Tat – das berichtet eine Gruppe von unabhängigen Prozessbeobachter*innen von „Prozess 1101“. Falschaussagen und Widersprüche während des Prozesses würden ignoriert, vorbestrafte Neonazis erhielten „günstige Kriminalprognosen“ und Bewährungsstrafen, so die Prozessbeobachter*innen. Ein Teil der Verfahren war an die Generalstaatsanwaltschaft in Dresden abgegeben worden, da gegen einige Beteiligte auch wegen der Mitgliedschaft oder Unterstützung der kriminellen Vereinigung „Freie Kameradschaft Dresden“ ermittelt wurde. Weniger als ein Drittel der Täter ist bisher rechtskräftig verurteilt.

 Wie ernst nehmen es sächsische Behörden mit der Aufklärung von Straftaten Rechtsextremer?

Seit geraumer Zeit wirkt es so, als wolle man sich in Sachsen, statt sich dem Problem des Rechtsextremismus zu widmen, lieber der vermeintlichen Gefahr des „Linksextremismus“ zuwenden. Um die Aufklärungsquote linker Gewalt zu erhöhen, wurde im Freistaat sogar die Sonderkommission Linksextremismus (Soko LinX) ins Leben gerufen. Sie hat ihre Arbeit am 1. Dezember 2019 aufgenommen und nun mit der Übernahme der Ermittlungen zur Silvesternacht ihren ersten großen Fall. 

Laut Polizeilicher Kriminalstatistik 2018 stieg „linksextreme“ Kriminalität um 5 Prozent auf 701 Delikte. Rechtsextreme Straftaten stiegen um 12,5 Prozent und lagen 2018 bei 2.278 Fällen. Und dennoch muss man sich in Sachsen leider die Frage stellen, wie ernst es die Behörden im Freistaat mit der Aufklärung von Straftaten Rechtsextremer nehmen. Am 22. November erschien auf Youtube ein Beitrag des Kanals „Der Fehlende Part“ des russischen Propagandasenders RT Deutsch zum Thema Linksextremismus in Sachsen. Neben einem vermeintlichen Opfer linker Gewalt, einem Aktivisten der rechtsextremen „Identitären Bewegung“, kommt auch Dirk Münster zu Wort. Er ist Leiter der Staatsschutz-Abteilung des LKA Sachsen und damit Chef der Soko Linx und der Soko Rex. 

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„Das Problem in der Debatte ist die parallelisierende Gegenüberstellung“

Im Zuge des G20-Gipfels kam es in Hamburg zu schweren Ausschreitungen. Nun werden Debatten über die Gewalttäter geführt, über ihre politische Verortung und Motivation. Ein Aspekt: Der Vergleich von Linksextremismus und Rechtsextremismus. Ist das sinnvoll? Wir haben mit Matthias Quent, Leiter des „Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft“, über die derzeit beliebte Gleichsetzung gesprochen.

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