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Neonazi-Invasion Themar arbeitet sein Trauma auf

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Die Themaraner stehen immer noch unter Schock (Quelle: BTN)

 

Von: Kira Ayyadi

 

Am 15. Juli wurde die 3.000 Einwohner-Gemeinde Themar von 6.000 Neonazis überrannt. Die Rechtsextremen waren gekommen, um auf dem Rechtsrock-Konzert „Rock gegen Überfremdung“ Hass-Musik von Bands wie „Stahlgewitter“, „Blutzeugen“ oder der „Lunikoff Verschwörung“ zu lauschen. Unter den Besucher_innen waren unter anderem militante Bruderschaften, NSU-Vertraute und verurteilte Gewaltverbrecher.

Bereits im Vorfeld machten viele Themaraner für Proteste gegen diese, als politische Versammlung getarnte Hass-Veranstaltung, mobil. Dennoch wurden viele von der Wucht dieser Veranstaltung überrumpelt und scheinen noch unter Schock zu stehen. Doch viel Zeit, die Bilder und Geräusche des vergangenen Konzertes zu verarbeiten bleibt nicht. Bereits am kommenden Samstag, den 29. Juli, soll das nächste Rechtsrockkonzert in Themar stattfinden.

 

„Rock gegen Überfremdung“: Bilder vom größten Neonazi-Konzert des JahresHass, Hitlergruß und “HKNKRZ”: Eindrücke vom größten Neonazi-Konzert des Jahres in Themar

 

Eine kleine Gemeinde im Ausnahmezustand

Viele Anwohner fühlen sich im Stich gelassen und machtlos. Sie sind wütend – besonders auf die Politik und Behörden. Auch Matthias Quent bezeichnet sich angesichts des quasi national befreiten Raumes mit 6.000 Neonazis als „Wütbürger“.  Es ist Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Diese unabhängige Forschungseinrichtung veranstaltete am Mittwoch, den 26. Juli, ein öffentliches Gesprächsforum im themaraner Schützenhaus.

Auf dem Podium saßen Wissenschaftler_innen, Politiker_innen und Verantwortliche von Behörden und Polizei. Sie stellten sich den Ängsten und Fragen der Bürger_innen. Auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow war überraschend gekommen, um „Solidarität zu zeigen und um zuzuhören“. Bis zum Ende der vierstündigen Veranstaltung saß er in den Reihen der Bürger_innen, gemeinsam mit weiteren Landtagsabgeordneten und dem Polizeipräsident des Freistaats, Karl Uwe Brunnengräber.

V.l.n.r: Janine Patz (FSU Jena), Hubert Böse (Bürgermeister Themar), Katharina König (MdL Die Linke), Kira Ayyadi (Belltower.news), Matthias Quent (IDZ), Thomas Müller (Landrat), Kristin Floßmann (MdL CDU), Prof. Dr. Thomas Ley (Fachhochschule für öffentliche Verwaltung Meiningen), Christoph Lammert (Mobit) (Quelle: IDZ)

 

Die Themaraner hatten viel zu sagen

Das Schützenhaus war bis auf den letzten Platz gefüllt, einige Besucher_innen mussten stehen. Immer wieder gab es johlenden Applaus, manchmal „Buh“-Rufe. Der Redebedarf der Bürger_innen war groß. Sie sprachen davon, wie schockiert sie zum Teil von ihren eigenen Nachbarn sind, welche die Nazi-Invasion verharmlosen, da die doch alles besenrein hinterlassen hätten.

 

Der Redebedarf war groß (Quelle: IDZ)

Einen großen Raum nahm die Wut auf die Reaktion von Kristin Floßmann ein, CDU-Landtagsabgeordnete im Landkreis Hildbughausen. Sie hatte Teilnehmer_innen einer Gegendemonstration vom 15. Juli in einer Presseerklärung als gewaltbereite Antifa-Truppe diskreditiert.

 

CDU-Landtagsabgeordnete erntet viel Kritik, dennoch findet sie lobende Worte

Besonders diese Debatte wurde äußerst emotional geführt. Vor allem ältere und bürgerliche Personen schmetterten es Kristin Floßmann immer wieder entgegen: Auch sie seien Antifas, denn schließlich seien alle hier Anwesenden Antifaschisten, die gegen die Neonazis auf die Straße gehen. Solche Aussagen ernteten tosenden Applaus.

Die Landtagsabgeordnete hatte es an diesem Abend sicherlich nicht einfach. Gegenüber Belltower.News sagte die CDU-Frau, dass sie die Emotionen dieses Abends „total versteht“ und dass sie sich der Diskussion gerne stellt, denn „dieser Austausch hier ist unheimlich viel wert“. Das IDZ habe „versucht eine neutrale Veranstaltung aufzubauen“.

 

(Quelle: BTN)

Themaraner wollen sich durch Scheindebatten nicht spalten lassen

Immer wieder riefen die Bürger dazu auf, dass sie sich nicht spalten lassen dürfen. Ein älterer Mann verwies darauf, dass es nichts bringe, sich gegenseitig den „Schwarzen Peter“ zuzuschieben. Eine andere Bürgerin erinnerte daran, dass es der braunen Horde gelungen sei, 6.000 Nazis unter ein Dach zu kriegen „und wir wollen das nicht schaffen? Das wäre doch gelacht“, ruft sie ihren Mitbürger_innen zu.

Bürgermeister Hubert Böse bekam an diesem Abend sehr viel Lob für seine Versöhhnungs-Versuche (Quelle BTN)

 

Eine „Demonstration des Grauens“ wird mit Steuergeldern  finanziert 

Ein weiterer raumeinnehmender Punkt an diesem Abend war das Unverständnis der Bürger_innen darüber, dass diese „Demonstrationen des Grauens“, wie sie Bodo Ramelow bezeichnet, vom Versammlungsrecht geschützt seien. Immer wieder kam die Frage aus dem Publikum auf, wieso Behörden solche Veranstaltungen nicht einfach verbieten könnten.

„Rock gegen Überfremdung“ – weil es Hass ist, muss es die Allgemeinheit bezahlen?

Warum konnte sich der Hass in Thüringen kultivieren?

Katharina König-Preuss, Landtagsabgeordnete der Linken, forderte dazu auf, statt Grundfreiheiten beschneiden zu wollen, lieber zu schauen, welche Freiheiten zur Verfügung stehen, um gegen solche Veranstaltungen vorgehen zu können. Die Rechtsrock-Konzerte werden als Demonstrationen angemeldet und Demonstrationen sind durch das Versammlungsrecht grundgesetzlich geschützt. Es gehe hier nicht um die Gesinnung, sondern um die Meinungsfreiheit.

Daher folgten sowohl das Verwaltungsgericht, als auch das Oberverwaltungsgericht nicht der Argumentation des Hildburghäuser Landrats, Thomas Müller, als er gegen die Hass-Versammlung vorgehen und sie zu einem Konzert auf freiem Felde erklären wollte. Der Chef der Versammlungsbehörde unterlag vor Gericht. Trotz seiner Bemühung, musste auch er viel Kritik aus dem Publikums ertragen. Denn emotional betrachtet, scheint es schlicht absurd, wieso menschenverachtende Veranstaltungen durch das Grundgesetz geschützt werden können.

 

Lobende Worte von Bodo Ramelow für Landrat Müller (Quelle: BTN)

 

Obwohl die beiden politisch so viel trennt, bekam der CDU-Landrat dann überraschend Unterstützung vom Linken Ministerpräsidenten. Ramelow lobte Müller ausdrücklich dafür, dass er den juristischen Weg überhaupt versucht hat, nun müssten jedoch andere Möglichkeiten gesucht werden, solche Veranstaltungen in Zukunft zu unterbinden oder zumindest zu erschweren. Stehend, an die Themaraner gerichtet fragt Ramelow, wer denn diejenigen seien, die das Gelände zur Verfügung stellen (Bodo Dressel), wer sein Zelt an die Neonazis vermietet (buehler-zelte.de), wer liefere die Verpflegung und wer die Sanitäranlagen? Gelächter erntet der Ministerpräsident, als er fragt, ob die Wiese, auf der am kommenden Samstag das nächste Hasskonzert stattfinden soll, nicht gedüngt werden müsse.

 

Raus aus dem Schützengraben, rein ins Gespräch mit den Bürger_innen

Landrat Müller betonte an diesem Abend, dass dieses Forum eine gute Gelegenheit sei, um Verständnis füreinander zu gewinnen und die Sichtweisen des anderen wahrzunehmen.

„Es gibt hier natürlich – nicht ganz unerklärlich in dieser Situation – festgelegte Meinungen. Doch trotz allem ist es besser, man spricht miteinander und lässt auch unterschiedliche Meinungen mal zu und hält das auch mal aus, als dass man sich nur in den Schützengräben aufhält. Ich denke, dass es vernünftig ist, das so zu machen.“

Knapp 250 Personen sind an diesem Abend gekommen (Quelle: IDZ)

Auch bei den Bürger_innen der Region kam die Veranstaltung gut an. Dankbar waren sie, dass sich die Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung aus ihrem Elfenbeinturm heraus gekommen sind. Endlich konnten sie ihre Fragen direkt an die Verantwortlichen stellen und ihnen die Meinung geigen.

Doch auf die Frage, wie umgehen mit dem kommenden Neonazi-Konzert, wusste keiner der Anwesenden eine befriedigende Antwort. Neben dem absoluten Willen der Menschen vor Ort diese Hass-Veranstaltungen nicht einfach so hinzunehmen, ist ihre Angst deutlich spürbar.

 

Ramelow: Einigkeit im Kampf gegen Neonazis

Auch Bodo Ramelow bekräftigte gegenüber Belltower.News, wie wichtig es sei,die Zivilgesellschaft miteinander ins Gespräch zu bringen: „Wir müssen nicht einer Meinung sein, aber wir müssen in der Frage, wie stellen wir uns gegen Nazis auf, einer Meinung sein. Wenn wir das nicht durchhalten, dann wird es schwierig, weil wir uns dann schwächen.“

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