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Digitalreport 2023-03 Antifeminismus und Queerfeindlichkeit als Brücke

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(Quelle: Unsplash)

Auch als die rechten und verschwörungsideologischen Proteste in Sachsen sich noch hauptsächlich um Corona drehten, wurden auf Bannern und in Reden antisemitische, rassistische und antifeministische Verschwörungserzählungen zum Ausdruck gebracht. Dieser Artikel geht der Frage nach, inwiefern antifeministische und queerfeindliche Verschwörungserzählungen als verbindendes Element innerhalb der Protestbewegung fungieren. Der Fokus liegt auf dem Landkreis Nordsachsen. Die Proteste fallen kleiner aus als in den Großstädten, finden aber regelmäßig statt. Einen Höhepunkt bildeten im Winter 2021/22 Proteste in Eilenburg, wo bis zu 1.000 Menschen zusammenkamen. Auch ist es wahrscheinlich, dass Personen aus dem Landkreis Nordsachsen an den Großdemonstrationen der Querdenker-Bewegung in Dresden und Leipzig teilgenommen haben.

Wie in ganz Sachsen gründeten sich im Zuge der Covid-19-Pandemie auch in Nordsachsen Telegram-Gruppen, um Proteste gegen die Maßnahmen der Bundesregierung zu organisieren: „Bad Düben: Wir stehen auf“, „Freiheitsboten Nordsachsen“ und „Oschatz lebt!“ sind drei Gruppen, die auch heute noch sehr aktiv sind. Zunächst wurde hier zu Spaziergängen gegen die Bundesregierung und „die Corona-Politik“ aufgerufen. Im Kontext des Ukraine-Kriegs und der Energiekrise veränderten sich wie auch andernorts die Schwerpunktthemen und Slogans.

Gleichzeitig ist die Struktur der verbreiteten Verschwörungserzählungen ähnlich geblieben, nur rückte die „Plandemie“ in den Hintergrund und Erzählungen darüber, dass der Krieg auch nur Teil einer „großen Verschwörung“ sei, wurden lauter. Antiamerikanische Feindbilder sind inzwischen präsenter und die montäglichen Spaziergänge widmen sich stärker dem Thema Waffenlieferungen und der NATO, die als „wahrer Feind“ markiert wird. Neben dem verschwörungsideologischen Grundtenor sind die Akteure sowohl in den Telegram-Gruppen als auch auf den Montagsdemonstrationen in der Tendenz dieselben geblieben.

Die Rolle von Brückennarrativen für Radikalisierungsprozesse

Die Ausgangshypothese dieses Beitrags ist, dass antifeministische und queerfeindliche Narrative in den Telegram-Gruppen Nordsachsens eine ideelle Brücke nicht nur zwischen den Teilnehmer*innen der Proteste, sondern auch zur Mehrheitsgesellschaft bieten. Mit Brückennarrativen bezeichnet werden ideologische Elemente (Ideologeme, Diskurselemente oder Narrative), die von verschiedenen Gruppen, teils aus unterschiedlichen politischen Spektren, geteilt werden und ähnliche Muster und Schnittmengen aufweisen. Grundlegend gemeinsam ist diesen Brückennarrativen, dass sie klare Freund- und Feindbilder konstruieren und dadurch eine Vorstellung von hierarchischen Gesellschaftsordnungen entwickeln.

Das Konzept der Brückennarrative geht auf einen Forschungsbericht des Forschungsnetzwerks „Gesellschaft Extrem: Radikalisierung und Deradikalisierung in Deutschland“ zurück. Die Radikalisierungsforschung geht der Frage nach, warum Personen sich von demokratischen Gesellschaften und deren geteilten Normen und Werten distanzieren. In dieser Auseinandersetzung spielen Interaktions- und Sozialisationsprozesse in Gruppen eine besondere Rolle.

Die öffentliche Debatte um politische Radikalisierung ist häufig geprägt von einer Überbetonung individueller sowie gesellschaftlicher Konflikte, während die „inneren Entwicklungsdynamiken politischer Gruppen der Zivilgesellschaft“ unterschätzt werden schreibt Matthias Quent 2016 in Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus. Demgegenüber betont die Forschung zu politischer Radikalisierung und sozialen Bewegungen die Bedeutung interpersoneller Prozesse und Kontakte als Mechanismus für die Radikalisierung in und von Gruppen (Meiering et al. 2018, 5). Die Prozesse auf dieser Ebene verlaufen vor allem auf der affektiven Ebene, sind oftmals also von unbewussten Entscheidungen und Sehnsüchten geleitet.

Die affektive Ebene von Radikalisierungsprozessen wird weiterhin durch subjektive Unrechtserfahrungen sowie Repressionserfahrungen stark beeinflusst. Innerhalb von Gruppen werden subjektive zu kollektiv geteilten Erfahrungen, bestätigen sich gegenseitig und schärfen und verstetigen die von der Gruppe jeweils verfolgten Framing-Prozesse.

Im Verlaufe dieses gruppendynamischen Prozesses verändert sich die Rolle der Ideologie bzw. der ideologischen Fragmente in einer Bewegung: „Während die Ideologie zu Beginn von Radikalisierungsprozessen oft keine größere Bedeutung zu haben scheint, gewinnt sie im Laufe der Gruppenbildungsprozesse immer größeren Einfluss.“ (Meiering/Foroutan 2020, 7) Über ideologisch geprägte Feindbilder bauen Gruppen stabile Konfliktkonstellationen auf. Neben den ideologischen Elementen binden Gruppen auch über ihr subkulturelles Angebot (z.B. Liedgut, Events) ihre Mitglieder (Lahusen 1996).

Innerhalb dieser Prozesse übernehmen Individuen erst im Laufe ihrer Gruppenzugehörigkeit die ideologischen Elemente einer Gruppe. Gruppen übernehmen damit eine Politisierungs-, eine Ideologisierungs- sowie eine Normalisierungsfunktion. Sie konstruieren für ihre Mitglieder eine neue soziale Realität, welche die Wahrnehmung und das Verhalten der Individuen stark beeinflusst. Dieser Prozess ist besonders stark, wenn die eigene Gruppenkultur als „Gegenkultur“ gerahmt wird (Meiering/Foroutan 2020). An diese Beobachtungen anknüpfend untersuche ich in diesem Beitrag, ob antifeministische Narrative ideologische Schnittmengen zwischen verschiedenen politischen Akteuren, Milieus und vor allem den User*innen bzw. Demonstrationsteilnehmer*innen in Nordsachsen liefern.

Antifeminismus und Queerfeindlichkeit in der Online-Mobilisierung in Nordsachsen

Antifeminismus als „Abgrenzung zu feministischer Theorie und Praxis [ist] so alt wie der Feminismus selbst“ schreibt Juliane Lang 2015 in einem Aufsatz der im Sammelband (Anti)Genderismus. Sexualität und Geschlecht als Schauplätze aktueller politischer Auseinandersetzung erschienen ist. Richteten sich die historischen Vorläufer des heutigen Antifeminismus im 19. Jahrhundert noch vor allem gegen die Idee der Gleichstellung der Geschlechter Mann und Frau, so wendet sich gegenwärtiger Antifeminismus gegen die Auspluralisierung von sexuellen, geschlechtlichen und familiären Lebensentwürfen. Zu beobachten ist, dass innerhalb antifeministischer Argumentation „Gender“ in den letzten Jahren zum zentralen Motiv und Feindbild geworden ist. Das Konzept geht zurück auf Judith Butler und beschreibt „Gender“ in Abgrenzung zum biologischen Geschlecht als sozial konstruierte Geschlechterrollen. Dabei widerspricht das sozial-konstruktivistische Verständnis von Gender dem anti-modernen Geist des Antifeminismus, der auf der Vorstellung einer vermeintlichen „Natürlichkeit von Geschlecht“ basiert. Die Sozialwissenschaftlerin Hedwig Dohm beschrieb bereits 1902 Antifeministen als diejenigen, „die den Gedankeninhalt vergangener Jahrhunderte für alle Ewigkeit festzuhalten für ihre Pflicht erachten“.

Autor*innen wie Sabine Hark und Paula-Irene Villa, sprechen von „Anti-Genderismus“ als aktueller Spielart des Antifeminismus, die auf der Abwertung von Lebensentwürfen basiert, die nicht dem binären Verständnis von Mann und Frau als natürliche Komplementarität entsprechen. Folglich sind Queer- und Transfeindlichkeit inhärenter Bestandteil des gegenwärtigen Antifeminismus, nicht jedoch mit diesem gleichzusetzen. Um die Frage zu beantworten, welche Rolle antifeministische Narrative in den nordsächsischen Telegram-Gruppen spielen, wurde für diesen Artikel mit Schlagworten gearbeitet, die aus der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Antifeminismus gewonnen wurden. Mithilfe der Schlagworte „Gender“ und „Trans“ wurden die Beiträge in den drei ausgewählten Telegram-Gruppen durchsucht, um Material herauszufiltern, welches sich eindeutig auf Themen bezieht, die zentral sind in gegenwärtigen „anti-Gender“-Diskursen.

Die „Freiheitsboten Nordsachsen“, Ableger des bundesweit organisierten Netzwerks der „Freiheitsboten“, welches zurückzuführen ist auf den Querdenken-Aktivist Bodo Schiffmann, hat 314 Abonnements (Stand 21.08.2023) und wurde im September 2020 gegründet. Auch heute noch werden auf dem Telegram-Kanal vorrangig Verschwörungserzählungen zu den Corona-Impfungen verbreitet: Die mRNA-Impfungen hätten eine verminderte Fruchtbarkeit zur Folge und seien daher zur künstlichen Bevölkerungskontrolle eingesetzt worden, so ein Post vom 16.08.2023.

Die anderen beiden Gruppen wurden erst im Laufe des Jahres 2022 gegründet. Die Oschatzer Gruppe ist mit 346 Abonnements etwas größer als die der Freiheitsboten. Wöchentlich werden hier Videomitschnitte der Montagsdemonstrationen in Oschatz geteilt. Trotz sehr geringer Beteiligung (schätzungsweise 20 Protestierende) lässt der Protest nicht nach. Inhaltlich und rhetorisch knüpfen die Beiträge an Souveränisten und Reichsbürger an. In der Gruppe werden scheinbar täglich Beiträge von oder mit Bezug auf die extrem rechten Freien Sachsen geteilt. Der „Säxit“, die Abspaltung Sachsens von Deutschland, wird gefordert und die Reichsfahne taucht immer wieder als Symbol in den Beiträgen auf. Fotos der Montagsdemos zeigen neben Fahnen der Freien Sachsen, Friedensfahnen und die in rechtsextremen Kreisen beliebte Wirmer-Flagge als Zeichen des angeblichen Widerstandes.

Eine Akteurin, die immer wieder auf den Montagsdemonstrationen in ganz Nordsachsen präsent ist und im September auch in Oschatz war, ist Uta Hesse. Sie ist Beisitzerin des Landesverbandes der Freien Sachsen und kandidierte im Sommer 2022 für den nordsächsischen Landtag. Immer wieder trat Uta Hesse mit vermeintlich klassischen „Frauenthemen“ in den Vordergrund. So warb sie zwischendurch auf dem Telegram-Kanal „Freie Sachsen Nordsachsen“ für einen „Mädelsstammtisch“ und „Gesprächsrunden speziell für Frauen und Kinder“. Für September 2023 wird eine Kundgebung der Freien Sachsen mit ihr und dem Oschatzer Aktivisten Paul Schreiber in Oschatz angekündigt. Es ist zu erwarten, dass neben den verschwörungsideologischen Themen, die bereits auf dem share-pic für die Veranstaltung angekündigt werden, Uta Hesse auch mit ihren antifeministischen Positionen auftreten wird.

Die Bad Dübener Gruppe ist mit 112 Abonnements deutlich kleiner. Auch in dieser Gruppe werden seit zwei Jahren wöchentlich Fotos und Videos von den Montagsdemos in Bad Düben geteilt. Ähnlich wie in Oschatz nehmen auch in Bad Düben jede Woche nur eine Handvoll Menschen teil. Neben Fahnen der Freien Sachsen tragen die Protestierenden in Bad Düben vor allem Friedenssymbole mit sich. Eine Fahne, die einen Zusammenschnitt der russischen und der deutschen Nationalflagge abbildet, weist auf die Russlandsolidarität der Gruppe hin. Und auch das antifeministisch aufgeladene Motiv des Kinderschutzes ist auf Schriftzügen und Bannern auf den Demonstrationen in Bad Düben zu beobachten. Protestiert werde „gegen die ideologische, kriegstreiberische Politik der Ampelregierung und deren Handlanger“, wie ein Mitglied der Gruppe in einem Beitrag vom 22. August 2023 schreibt. Auch in dieser Gruppe werden Inhalte der Freien Sachsen regelmäßig geteilt. Nationalistische, rassistische und sexistische Inhalte sind charakteristisch.

Alle drei Gruppen werden von einer relativ kleinen Anzahl an Abonnent*innen gelesen. Damit reihen sie sich in den Trend lokaler Telegram-Gruppen ein, der bereits in mehreren Ausgaben dieses Digital Reports beschrieben wurde (Kiess/Wetzel 2023). Wie die Telegram-Gruppen so formieren sich auch die jeweils aus den Gruppen organisierten lokalen Montagsproteste aus nur sehr wenigen Aktivist*innen. Gleichwohl bildet sich ein aktiver Kern, um den sich zu gegebenem Anlass auch wieder mehr Menschen sammeln können und der sich in seiner Radikalität immer wieder bestärkt. Weder in Oschatz noch in Bad Düben hat sich in den letzten drei Jahren nennenswerter Gegenprotest formiert. Generell ist für den Landkreis Nordsachsen festzustellen, dass die demokratische Zivilgesellschaft sehr schwach aufgestellt ist. In Abgrenzung zur Stadt Leipzig trifft das in den Telegram-Gruppen geteilte Gedankengut im Landkreis Nordsachsen also auf wenig Widerspruch und kann somit relativ ungehindert auf die lokale politische Kultur wirken.

Zunächst ist festzustellen, dass in allen drei Gruppen nur wenige Beiträge zu den zwei Schlagworten zu finden sind, diese Beiträge aber jeweils antifeministische bzw. vor allem queerfeindliche Narrative beinhalten. Die Suche zum Begriff „Gender“ ergibt in der Bad Dübener Gruppe sieben Beiträge, in den anderen beiden jeweils zehn (Stand 21.08.2023). In den Beiträgen wird „Gender“ als Kampfbegriff zur Diffamierung diversitätsgerechter Sprache und Politik gebraucht. Teilweise wird gar nicht weiter darauf eingegangen, was unter „Gender“ verstanden wird, sondern der Begriff wird nur in eine Reihe gestellt mit anderen vermeintlichen „diktatorischen“ und „verschwörerischen“ Maßnahmen wie dem angeblichen „Impfzwang“. Ein Beitrag vom 9. Mai 2023 titelt mit der Überschrift: „Woker Gender-Wahnsinn“. In dem Beitrag geht es um den Fall einer Kita in Hessen, die geschlechterstereotype Geschenke zu Mutter- und Vatertag in Zukunft vermeiden will. In dem Telegram-Beitrag wird der Vorstoß der Kita als Angriff auf „die traditionelle Familie“ interpretiert. Im weiteren Verlauf wird eine identitätspolitische Abwehr formuliert: „Wir Bürger in den östlichen Bundesländern können nur versuchen, uns gegen den Irrsinn, der unsere westdeutschen Landsleute schon in einem riesigen

Ausmaß ergriffen hat, abzuschotten“. Die von der Kita angestrebte kritische Auseinandersetzung mit stereotypen Geschlechterrollen stellen in diesem Fall nicht nur einen Angriff auf die „traditionellen Familie“, sondern – so legt es der Beitrag nahe – auch auf die ostdeutsche Identität, dar. Das Narrativ, es handele sich bei „Gender“ um „woke“ und um „Wahnsinn“, vor dem man sich „abschotten“ müsse, knüpft an antifeministische Verschwörungserzählungen an.

Verschwörungserzählungen gießen komplexe gesellschaftliche Umbrüche in die vereinfachte Formel: „Wer hat Schuld“. Dem zugrunde liegt die Vorstellung, dass alle gesellschaftlichen und politischen Prozesse zurückzuführen seien auf Verschwörungen, ausgeführt von einer geheimen Gruppe an Supermächtigen. In antifeministischen Verschwörungserzählungen werden feministische Emanzipationsbewegungen so delegitimiertm (es stehen gar nicht Frauen, sondern finstere Mächte hinter den Forderungen nach Gleichberechtigung), die Berechtigung ihrer Interessenvertretung negiert. Auch werden Feminist*innen selbst als übermächtig konstruiert: Sie stellten zwar nur eine kleine, aber nichtsdestotrotz mächtige Minderheit dar, die gegen die überwiegende Mehrheit von nicht-feministischen Personen handele und deren Schaden suche.

Zum Schlagwort „Trans“ gibt es in allen drei Gruppen weniger Beiträge. In der Freiheitsboten-Gruppe sind es sieben, in der Oschatzer Gruppe sechs und in der Bad Dübener Gruppe nur vier (Stand 21.08.2023). Teilweise finden sich beide Schlagworte in einem Beitrag. Sowohl die Beiträge unter dem Schlagwort „Gender“ als auch die unter dem Schlagwort „Trans“ sind in den drei Gruppen transfeindlich und antifeministisch aufgeladen. Ein weitergeleiteter Beitrag, ursprünglich vom Telegram-Account des antifeministischen Bündnisses „Demo für Alle“ am 6. Juni 2022 verfasst, titelt mit der Überschrift „Sex und Trans-Kult: RAUS aus dem Kinder-TV!“. Den Sendern ARD und ZDF wird unterstellt, jugendgefährdende Inhalte zu verbreiten. Nicht nur werden Inhalte zur Aufklärung über Transsexualität als „jugendgefährdend“ diffamiert. Überhaupt verbreitet der Beitrag die verschwörungsideologische Erzählung, es gebe einen „Trans-Kult“, der zur „Sexualisierung“ von Kindern und Jugendlichen führe. Auch hier wird unter vermeintlichem Kinderschutz Antifeminismus verbreitet. Die Vorstellung eines „omnipotenten Trans-Kult“ taucht auch in den anderen Beiträgen auf. In der Bad Dübener Gruppe wurde am 9. April 2023 ein Beitrag vom verschwörungsideologischen Sender „Auf1“ unter dem Titel „Trans-Wahn: Das Unnatürliche wird zum Natürlichen gemacht“ gepostet.

Das antimoderne Motiv einer herbeigesehnten „Natürlichkeit“ ist Grundlegend für antifeministische Ideologie, auf die sich in diesem Beitrag bezogen wird. Transsexualität wird abgewertet mit der Begründung, diese stände im Widerspruch zur „Natur“. Auch in anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen, insbesondere im Antisemitismus und Rassismus, wird immer wieder auf das Motiv eines unantastbaren, unveränderbaren „Naturzustands“ zurückgegriffen. Hierin besteht ein Anknüpfungspunkt von Antifeminismus zu anderen menschenverachtenden Ideologien.

Einordnung der Ergebnisse

Die Schlagwortsuche und die Analyse der dabei identifizierten Beiträge hat deutlich gemacht, dass antifeministische und queerfeindliche Narrative in den drei ausgewählten Telegram-Gruppen verbreitet werden.

Auffällig ist dabei zum einen die Kommunikation von antifeministischen Narrativen über Verschwörungserzählungen. Außerdem auffällig ist, dass die Bedrohungsszenarien und Feindbilder, die in diesen Verschwörungserzählungen gezeichnet werden, vorrangig trans- und queerfeindlich sind. Der gemeinsame Kern von Antifeminismus, Trans- und Queerfeindlichkeit bilden gesellschaftlich verankerte, traditionalistische Rollenverständnisse, Sexismus sowie patriarchale Strukturen.

Was in den Telegram-Gruppen gepostet wird ist auch politisch anschlussfähig: Im Frühjahr 2023 kündigte die AfD Sachsen eine Kampagne vor sächsischen Schulen gegen sexuelle Vielfalt im Schulunterricht an. Titel der Kampagne und eines Antrags der AfD im sächsischen Landtag war „Vorsicht! Genderwahn im Schulunterricht“. Kinder müssten vor „Frühsexualisierung“ und die traditionelle Familie vor ihrer Zerstörung geschützt werden, erläutert die AfD Sachsen auf ihrer Website ihr Vorhaben.

Der bildungspolitische Sprecher der AfD Sachsen Rolf Weigand argumentiert: „Auch wenn […] Regenbogen-Ideologen […] das Gegenteil behaupten, kann man sich das eigene Geschlecht nicht aussuchen.“ Die Vorstellung von Ungleichwertigkeit, die dem Antifeminismus und der Queerfeindlichkeit zugrunde liegt, macht ihn anschlussfähig an rechtsextremes Gedankengut. Das Ausmaß sowie das Gefahrenpotenzial, welches von der Verbreitung trans- und queerfeindlicher Verschwörungserzählungen ausgeht, lassen sich an der jährlich steigenden Zahl queerfeindlicher Gewalt ablesen. Die Übergriffe auf CSD-Paraden häufen sich und gewalttätige Angriffe gehören längst zum Alltag vieler queerer Menschen und feministischer Aktivist*innen.

Innerhalb der Online-Mobilisierung in Nordsachsen kann festgestellt werden, dass die Beiträge mit explizit antifeministischen und queerfeindlichen Inhalten keine zentrale Rolle einnehmen. Den zehn Beiträgen zum Schlagwort „Gender“ bei den „Freiheitsboten Nordsachsen“ stehen beispielsweise ganze 362 Beiträge zum Begriff „Impfen“ gegenüber. Corona und Impfungen sind nach wie vor die dominierenden Themen in diesen drei Gruppen.

Bei genauerer Betrachtung lässt sich jedoch feststellen, dass antifeministische und queerfeindliche Verschwörungserzählungen nicht isoliert in den Gruppenbeiträgen auftreten, sondern die verwendeten Motive in engem Zusammenhang zu anderen Verschwörungserzählungen stehen. So ist zum Beispiel das Motiv des „Kinderschutzes“ insbesondere auch im Kontext der Corona-Proteste sehr prominent vertreten gewesen.

Antifeministische Akteure, wie Abtreibungsgegner*innen, aber auch rechte Akteure, haben sich immer wieder auf den Schutz „unserer Kinder“ bezogen. Imke Schmincke zufolge stellt das Motiv „Kind“ in rechtskonservativen bzw. rechtspopulistischen Bewegungen eine moralische Waffe im Kampf um heteronormative Hegemonie dar und ist Ausdruck eines manifesten Antifeminismus. In antifeministischer Idealisierung der traditionellen Familie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern, begründet das Kind als zentrales Motiv den „Kern der Definition der Ehe als geschlechtlich binärer Zeugungs- und Abstammungsgemeinschaft“, so Schmincke. Gleichzeitig tritt „Kinderschutz“ als Motiv oftmals auch in Verschwörungserzählungen rund um die Covid-Impfungen auf. So titelt zum Beispiel ein Post in „Freiheitsboten Nordsachsen“ vom 12.August 2023: „Warum sterben so viele Babys? Impfen ist die Ursache für den plötzlichen Kindstod.“ In der Bad Dübener Gruppe lautet ein Beitrag vom 12. Dezember 2022: „CORONA-IMPFUNG […] Kinder werden in die Spritze genötigt und die Eltern sollen zuschauen? Krank!“

Am Beispiel des Motives des Kinderschutzes lässt sich einerseits nachzeichnen, wie antifeministische und queerfeindliche Vorstellungen über Verschwörungserzählungen kommuniziert werden und anderseits in Verbindung gesetzt werden mit anderen Ideologemen: Wenn man durch die Beiträge in den untersuchten Gruppen scrollt, wechseln sich die Themen von „Gender“ bis „Impfen“ immer wieder ab. Gemeinsamer Kern dieser Erzählungen bildet eine „geteilte Abwehrposition“, die auf den Zusammenhang zwischen Verschwörungsglauben und ablehnender Haltung gegenüber demokratischen Institutionen sowie der Demokratie an sich verweist, heißt es in der Leipziger Autoritarismus-Studie von 2020.

Fazit

Antifeministische und queerfeindliche Verschwörungserzählungen werden in allen drei untersuchten Telegram-Gruppen geteilt und erfüllen innerhalb der Gruppen die Funktion von Brückennarrativen. Die geringe Anzahl explizit antifeministischer und queerfeindlicher Postings legt nahe, dass es sich bei den Schlagwortbezogenen Themen „Gender“ und „Trans“ nicht um das zentrale Mobilisierungsthema in den Gruppen handelt. Mithilfe des Konzepts der „Brückennarrative“ lässt sich jedoch nachvollziehen, welche qualitative Bedeutung antifeministische und insbesondere queerfeindliche Narrative innerhalb der Gruppen haben. Auf keinen der beschriebenen Beiträge in den drei Gruppen gab es eine Gegenreaktion, weder in Form einer Antwort, noch eines direkten Dislikes.

Dieser fehlende Widerspruch lässt sich als gruppeninterne Zustimmung zu den antifeministischen, queer- und transfeindlichen Postings interpretieren. Im Anschluss an die erläuterte Funktion von Brückennarrativen innerhalb von Radikalisierungsprozessen insbesondere von Gruppen, tragen die untersuchten nordsächsischen Telegram-Gruppen zu einer Normalisierung antifeministischen und queerfeindlichen Gedankenguts unter den Abonnent*innen bei.

In täglich wiederkehrender Abfolge bestätigen sich die Gruppenmitglieder in den Telegram-Gruppen gegenseitig ihren Verschwörungsglauben und leben damit letztlich in der Vorstellung, es gebe eine Notwendigkeit zum Widerstand. Die Feindbilder, die Verschwörungsideologien immanent sind, benennen Schuldige und legitimieren Gewalt. Antifeministische und queerfeindliche Verschwörungserzählungen verbreiten Hass gegenüber queeren Menschen und feministischen Bewegungen und rufen direkt oder indirekt zu Gewalt gegen eben jene auf.

Die Gefahr der Radikalisierung der Gruppenmitglieder besteht dabei unabhängig davon, wie groß die Gruppe ist. Bisher ist nicht zu beobachten, dass sich das antifeministische und queerfeindliche Positionen, welche in den Telegram-Gruppen geteilt werden, tonangebend bei den Protesten auf der Straße wird. Jedoch ist anzunehmen, dass Aktionen, wie der „Mädelsstammtisch“ von Uta Hesse, aber auch die Schulkampagne der AfD Sachsen im Landkreis Nordsachsen als Katalysator für das in den Gruppen geteilte vermeintliche „Wissen“ fungieren können.

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