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„Wer mit Nazis feiert, hat bei uns nichts zu suchen“

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Herr Becker, wie reagieren Sie, wenn Sie auf der Straße von jemandem als Neonazis angesprochen werden?

Dem sage ich einfach, dass ich kein Nazi bin. (lacht) Was soll ich anderes sagen? Es kommt immer auf die Situation an. Wenn die Leute an einer Diskussion interessiert sind, erkläre ich schon mal, dass Skinhead nicht gleichbedeutend mit Nazi ist.

Sondern?

Die Skinheadkultur ist Ende der 60er Jahre in England entstanden. Die einen sagen, dass alles mit Jugendlichen anfing, die sich von dem bürgerlichen Erscheinungsbild ihrer Eltern distanzieren wollten, die anderen glauben, dass sich die Skinheads aus der unpolitischen Hooliganszene heraus entwickelt haben. Der Name Skinhead, also ?Hautkopf? kommt von den kurzen Haaren, durch die man die Kopfhaut hindurch sehen kann.

Aber gab es von Anfang an rechtsextreme Skinheads in der Szene?

Nein, die gab es nicht. Das war ursprünglich eine Jugendszene wie jede andere. Es gab sehr viele farbige Skinheads, die gemeinsam mit den anderen zu Reggae- und Ska-Musik in den Clubs getanzt haben. Das Abdriften mancher Skinheads in die Naziszene begann erst Ende der 70er Jahre.

?als die rechtsextreme Partei ?National Front? gezielt Skinheads anwarb.

Genau. Weil Skinheads oft zu Fußballspielen gingen und nicht selten gewalttätig auftraten, war diese Gruppe sehr attraktiv für die Neonazi-Strategen. Sie hielten Skinheads für die ideale Gruppe, um über Straßengewalt die rechtsextreme Ideologie zu stärken. Durch die Organisation von Rechtsrockkonzerten schafften sie es tatsächlich, Teile der Szene zu vereinnahmen.

Sind sie als Linker nicht wütend, dass Neonazis das Skinhead-Bild so geprägt haben?

Nicht wirklich. Idioten gibt es schließlich in jeder Jugendkultur. Es würde mich genauso stören, wenn Neonazis sich plötzlich in der Hip-Hop-Kultur breitmachen würden. Dass es vor 30 Jahren gerade die Jugendkultur war, in der ich mich heute bewege stört mich nicht.
Aber es ärgert mich, dass in Medienberichten über Neonazis immer von Skinheads die Rede ist. Dass es auch viele unpolitische und linke Skinheads gibt ist kaum jemandem bewusst.

Welche nicht-rechten Strömungen finden sich in der Szene?

Zum einen gibt es die so genannten Oi-Skins, die von sich selbst sagen, dass sie völlig unpolitisch sind. Wobei ich der Meinung bin, dass das gar nicht geht. Schließlich hat jeder zu politischen Themen eine Meinung. Dieser Begriff ?unpolitisch? zielt eher darauf ab sich von Links, wie von Rechts zu distanzieren.

Dann gibt es seit den 80ern die SHARP-Skins: ?Skinheads against racial prejudice?. Also anti-rassistische Skinheads. Die kamen ursprünglich aus den USA und wollten den Vereinahmungsversuchen der Neonazis etwas entgegensetzen. Nazis sind dementsprechend bei SHARP-Konzerten vor die Tür gesetzt worden.

Als Drittes gibt es noch die Red-Skins, zu denen ich auch mich zähle: Wir sind explizit linke, politische Skinheads und oft in linken Gruppen organisiert. Davon gibt es in Deutschland nur wenige, aber in anderen europäischen Ländern, wie zum Beispiel Frankreich, stellen sie die größte Gruppe innerhalb der Szene.

Schließlich gibt es noch die Gay-Skin-Fraktion, also homosexuelle Skinheads, die aber mit der eigentlichen Skinhead-Kultur wenig zu tun haben, sondern das Martialische an der Ästhetik anziehend und erregend finden.

Wieviele Skinheads gibt es insgesamt in Deutschland?

Wahrscheinlich einige hundert linke, während es von den unpolitischen Skins mehrere tausend gibt. Die Nazi-Skins hingegen sieht man kaum noch, weil die rechtsextreme Szene sich in ihrem Äußeren stark gewandelt hat.

Was hat es mit den Schnürsenkeln auf sich. Stimmt es, dass Nazi-Skinheads weiße Schnürbänder tragen und linke Skinheads rote?

Das ist völliger Unfug. Es gab da früher die wildesten Gerüchte: Stehen zwei rote Schnürsenkel für ?Rotfront?? Oder für das rechtsextreme Skinhead-Netz ?Blood & Honour?? Da erzählt jeder etwas anderes. Die Farben der Senkel haben heute überhaupt nichts mehr zu bedeuten.

Wie kommt es, dass weniger politische Skinheads sich nicht von Rechtsextremen distanzieren ? und manche von Ihnen sogar gern Bier trinken mit Nazi-Skins?

Pure Dummheit. Natürlich gibt es ?unpolitische? Skinheads, die sowohl mit linken, als auch mit rechtsextremen Skins zusammen feiern. Das sind aber in der Regel Einzelpersonen. Es handelt sich eben um eine Jugendkultur und keine politische Strömung, dadurch fehlt oft die politische Sensibilität. Wenn ich selbst mit Freunden ein Konzert oder eine Party organisiere, gilt daher: Wer mit Nazis feiern geht, hat bei unseren Veranstaltungen genauso wenig zu suchen, wie die Nazis selbst.

Wie sieht Ihr politisches Engagement konkret aus?

Gegen Rassismus bin ich beispielsweise jeden Tag auf der Straße aktiv. Wenn ich sehe, dass da jemand rassistisch angepöbelt oder bedroht wird, greife ich natürlich ein.

?und ernten dann entsetzte Blicke, weil plötzlich ?der Nazi? den Opfern zur Hilfe kommt?

Das kommt eher selten vor. Meistens ist es anders herum. Wenn junge Neonazis mich am U-Bahnhof sehen, denken Sie manchmal, ich wäre einer von ihnen, und sie müssten vor mir den großen Macker machen. Die fangen dann an rechte Sprüche zu bringen, den Hitler-Gruß zu zeigen und Leute anzupöbeln, weil sie denken, dass ich ihnen zur Hilfe kommen würde. Umso überraschter sind sie, wenn ich sie zur Rede stelle.

Und was passiert, wenn Sie als Skinheads gegen einen Nazi-Aufmarsch protestieren wollen?

Da hilft unser Aussehen meist, um Verwirrung zu stiften. Schon oft wurde eine Gruppe linker Skinheads von der Polizei für Nazis gehalten und bis zum Aufmarsch-Ort eskortiert. Dort haben sie dann plötzlich ein Transparent mit der Aufschrift ?Skinheads gegen Nazis? hochgehalten und den Aufmarsch direkt blockiert. Die Neonazis schauen dann immer schön blöd aus der Wäsche.

Es gibt das Klischee von Skinheads, die nur drei Dinge mögen: Musik, Alkohol und Gewalt. Ist da etwas Wahres dran?

Also ich trinke keinen Alkohol, mag aber Musik. Was Gewalt angeht muss ich sagen, dass die eigentlich keiner von uns gut findet, manchmal ist sie aber nicht zu vermeiden. Ich glaube nicht, dass die Skinhead-Szene gewalttätiger ist als jede andere Jugendkultur. Das gleiche gilt für den Alkohol-Konsum.

Hört man als Skinhead eigentlich nur Rockmusik?

Auf keinen Fall. Ich höre sehr viel Reggae, Soul, Ska, Punk und Oi, aber auch mal Oldies oder Arbeiterlieder.

Was macht den Skinhead-Kult für Sie aus?

Einerseits die Musik, andererseits ein gepflegtes Äußeres, und der ganz Klamotten-Style. Natürlich wirkt das ziemlich martialisch, und die Leute schauen dich komisch an, aber das gehört dazu. Letztlich kann man sagen: Wir sehen am besten aus und hören die beste Musik!

Das Interview führte Johannes Radke


Zum Thema:

| Die Internetseite www.du-sollst-skinheads-nicht-mit-nazis-verwechseln.de

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