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Zur jüdischen Symbolik bei Ajax Amsterdam Antisemitismus auf der Biertheke

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Das Vereinsheim von ADO Den Haag tobt, die Luft ist bierschwanger. Vor einer halben Stunde hat der kleine Ehrendivist überraschend gegen Ajax Amsterdam, den niederländischen Rekordmeister, gewonnen. Jetzt feiern Anhänger und Spieler gemeinsam. Alexander Immers beklettert die Theke und blickt hinab auf schwitzende, johlende, klatschende Menschen. Der blonde Stürmer ist Publikumsliebling, die Fans nennen ihn Lex. Lex weiß, was der Mob will. Auffordernd rudert der 24-Jährige mit dem Arm, als er zum Mikrofon greift. »Wir gehen jetzt auf Judenjagd«, stimmt Immers grinsend an, erst leise, dann immer lauter. Ein beispielloser Skandal? Leider nein.

Ajax Amsterdam sieht sich in der Ehrendivision fast spieltäglich unverhohlenem Antisemitismus ausgesetzt. Die Auswärtsfahrten des Vereins werden begleitet von vielstimmigem Zischen der gegnerischen Fans in Anlehnung an die Gasduschen der Konzentrationslager, von Gesängen wie »Adolf, hier laufen noch elf, wenn du sie nicht vergast, tun wir es selbst« oder, am weitesten verbreitet, »Hamas, Hamas, Juden ins Gas«. Oft wogt der gegnerische Fanblock im Kollektiv auf und nieder, dazu blökt es, wer nicht hüpfe, sei ein Jude. »Ich kann nicht beschreiben, was in solchen Momenten in mir vorgeht«, rang auch Uri Coronel kürzlich um Fassung. Der Vorsitzende von Ajax Amsterdam, dessen Eltern den Holocaust überlebten, hatte sich beim Auswärtsspiel in Rotterdam einen Weg durch hunderte, zum Hitlergruß gereckte Arme bahnen müssen.

Immers Entgleisung vom 20. März 2011 ist also eine unter vielen. Genau so wird sie auch sanktioniert ? wie eine unter vielen. 10 Prozent seines Monatsgehalts musste der Partysänger einmalig abgeben, der niederländische Verband KNVB sperrte ihn für vier Spiele. Nachdem die Aktion aus dem Vereinsheim via Handyvideo ihren Weg ins Internet gefunden hatte, erklärte Immers, er habe sich in der Euphorie nach dem Sieg gehen lassen: »Ich habe nur Ajax als Verein gemeint, nicht Juden als Gruppe.« Bestrafung und Entschuldigung des Stürmers beweisen einen unguten Trend zur Verharmlosung antisemitischer Ausfälle im niederländischen Fußball.

Jüdischer Fankult seit den Siebzigern

Woher aber rührt der Ruf von Ajax Amsterdam, ein »Judenclub« zu sein, woher rührt der Antisemitismus bei gegnerischen Fans und Spielern? Bis heute verkaufen Souvenirstände vor dem Stadion Israel-Flaggen und Aufnäher mit dem Davidstern, man sieht hebräische Tattoos und Kippas. Die Anfänge dieser Kultur liegen in der Geschichte begründet. Mit der aus England importierten Supportkultur wurde eine Klubidentität auch auf dem europäischen Festland immer wichtiger. Amsterdam firmierte als »das Jerusalem Europas«, der lokale Slang ist voller jiddischer Begriffe und das alte Stadion De Meer, von 1934 bis 1996 Heimat der Rot-Weißen, lag in unmittelbarer Nähe zum jüdischen Viertel. Seit dem 17. Jahrhundert beheimatete die Stadt viele Juden. Mit Eddy Hamel und Johnny Roeg prägten zwei jüdische Fußballer die Dreißiger Jahre von Ajax, später tanzten Bennie Muller und Sjaak Swart den »totaal voetbal« nebst Johan Cruyff.

Ab 1970 kokettierten die Fans, insbesondere die F-Side und der Block 410, dann erstmals offen mit jüdischer Symbolik. Ein ganz konkretes Erweckungserlebnis ist zwar nicht festzustellen, und damit auch die ominöse Frage nach Huhn oder Ei nicht zu beantworten. Aber ob die Fans damals nun auf die Schmähungen des Gegners reagierten oder der Gegner auf die jüdische Identität von Ajax ? es ändert es nichts an einem Ergebnis, das bis heute Antisemitismus heißt.

Nun gäbe es verschiedene Ansätze, der Situation Herr zu werden. Man könnte den KNVB auffordern, den eskalierenden Antisemitismus nicht länger zu bagatellisieren. Man könnte drakonischere Strafen fordern; Strafen, die Lex Immers und Konsorten tatsächlich belehren und etwaige Nachahmer abschrecken. Man könnte auch fordern, dass der niederländische Verband einfach seinen eigenen Regelkatalog mit mehr Konsequenz anwendet. Darin enthalten ist eine Liste von Beleidigungen, die den Schiedsrichter befähigt, ein Spiel abzubrechen. Allerdings versteckt sich der KNVB hier hinter einer bizarren Regelung: Diskriminierende Äußerungen im Stadion sind Sache des Bürgermeisters, der Polizei und der Staatsanwaltschaft, Beleidigungen müssen den Verband beschäftigen. Wer festlegt, wann welcher Fall eintritt? Eine Grauzone. Im Zweifelsfall verweisen beide Parteien auf den Kompetenzbereich des jeweils anderen.

Ohnehin tendieren die Niederlande und vor allem Ajax Amsterdam zu einer anderen Idee: Die Ajax-Fans sollen von ihrer jüdischen Symbolik lassen. Ihre Scheinidentität provoziere den Gegner unnötig. Wenn der prosemitische Bezug aufhöre, würden auch die antisemitischen Entgleisungen eingestellt, glaubt man. »Ajax ist kein jüdischer Klub. Diese Fans sind so sehr Juden wie ich Chinese bin«, polterte Ex-Präsident Michel van Praag gar. Er hat Recht, nur die wenigsten Fans sind jüdisch. Er hat Unrecht, wenn er glaubt, man könne die Fankultur von oben umpolen, so wie es einige Vorschläge der Vereinsführung nahelegen. Da will man »Joden« durch »Goden« ersetzen, in Anlehnung an Ajax, in der griechischen Mythologie ein Krieger und Halbgott. Ein solches Dekret wäre wider die natürliche Dynamik einer Fanszene, zumal die Ultras von Ajax auch darauf verweisen, vom gegnerischen Anhang würde man trotzdem weiter als »Juden« beschimpft. Sie meinen ein Rollenbild, die sich verselbstständigt hat; ein Rollenbild, das funktioniert, obwohl ihm die reale Grundlage entzogen wird.

Philosemitismus legitimiert nicht Antisemitismus

Der Ansatz ist auch falsch, weil er vorauseilenden Gehorsam erzwingen will. Man kann eine jüdische Symbolik in der Fankurve nicht einfach nur geißeln, weil man Angst vor den Reaktionen hat. Das wäre ein Einknicken vor dem plumpen Antisemitismus und Rassismus, der da versucht wird. In diesem Sinne spielt auch keine Rolle, ob und wie real die jüdische Identität der Amsterdamer Fans ist. Wer hier Maß anlegt, stellt die absurde Behauptung auf, es dürfe sich nur zu Judentum, Zionismus oder Israel bekennen, wer praktizierender Jude ist. Dem ist aber nicht so. Empathie kann jeder. Deshalb legitimiert Philosemitismus auch keinen Antisemitismus. Der Antisemit bleibt Antisemit, auch wenn er nicht mehr offen mit Jüdischem konfrontiert ist. Es ist deshalb besser, ihn zu provozieren, damit sich seine Haltung offenbart.

Dieser Text erschien zuerst in der Zeitschrift „11 Freunde„. Mit freundlicher Genehmigung der Redaktion.

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