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Landgasthäuser, Bahnhöfe, Hotels Neonazi-Stützpunkte

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Ländlicher Raum bevorzugt

Gasthöfe im strukturschwachen ländlichen Raum, leerstehende Bahnhöfe und schwer vermietbare Hotels: Viele Immobilien eignen sich in den Augen neonazistischer Führungskader zum Etablieren „nationaler Projekte“. Diese ermöglichen beinahe jede Form von Veranstaltung ? vom Parteitag über den Kameradschaftsabend bis hin zum Neonazi-Konzert. Als „Nachschubbasis und Heimatfront“ bezeichnete der zeitweilige Schlossbesitzer und ehemalige NPD-Landesvorsitzende von Sachsen-Anhalt, Steffen Hupka, die Immobilien der Szene. „Steht das Objekt auf sicherem Boden, kann man daran gehen, weitere Freiräume zu erobern.“

Geplante Neonazi-Zentren

Bundesweit bekanntester Immobilienaufkäufer für die Szene ist der Hamburger Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger. Schon 1978 erwarb ein Verein, in dem Jürgen Rieger eine Führungsfunktion hatte, ein großes Anwesen in Hetendorf bei Celle. Ab 1991 entwickelte es sich bis zur Auflösung des „Heide-Heim e.V.“ 1998 durch das niedersächsische Innenministerium zu einem der wichtigsten Treffpunkte für die bundesweite neonazistische Szene war. Hier fanden jahrelang die rechtsextremen „Hetendorfer Tagungswochen“ und Wehrsportübungen statt.

Später tarnte Rieger seine Immobilienkäufe durch die Briefkastenfirma „Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited“ mit Sitz in London. Die Stiftung erwarb unter anderem den Heisenhof bei Dörverden in Niedersachen mit dem erklärten Ziel, dort ein internationales Neonazi-Schulungszentrum mit 200 Schlafplätzen zu errichten. Und das „Schützenhaus“ in der 14.000 Einwohner Kommune Pößneck in Thüringen, um dort eine Neonazigaststätte zu betreiben. Dort fand beispielsweise 2006 ein Neonazikonzert mit 1.500 Besuchern des „Landser“-Sängers Michael Regener alias „Lunikoff“ statt.

Kommunaler Widerstand

Rieger hatte allerdings den Widerstand der betroffenen Kommunen und ihrer Einwohner unterschätzt. In Dörverden beispielsweise veranstaltete ein „Bündnis für Toleranz und Demokratie“ regelmäßig Sonntagsspaziergänge und Informationsabende zum geplanten Neonazizentrum. In Pößneck war es die Kommune, die Riegers eigenen Fehler im Umgang mit seiner britischen Briefkastenfirma nutzte. Derzeit werden Riegers Immobilien von einem Nachtragsliquidator für die Londoner Stiftung verwaltet. Die Pläne für Neonazi-Zentren im Heisenhof und Schützenhaus sind auf Eis gelegt. Auch bei seinem Versuch, stattdessen den Bahnhof von Melle in Niedersachen zu erwerben, hatte Rieger kein Glück. Die Kommune änderte den Bebauungsplan, Rieger verlor das Interesse.

Immer häufiger versuchen Kommunen und Landkreise mit Hilfe von Bauordnungen, Bebauungs- und Nutzungsplänen den rechtsextremen Immobilienbesitzern einen Strich durch ihre Pläne zu machen. So auch im vorpommerschen Anklam. Hier kauften Wahlkreismitarbeiter des NPD-Landtagsabgeordneten Michael Andrejewski für 17.000 Euro im vergangenen Jahr bei einer Zwangsversteigerung ein ehemaliges Möbelkaufhaus mit dem Ziel, daraus ein „Nationales Bildungs- und Begegnungszentrum“ zu machen. Derzeit versuchen die Behörden mit Hilfe der Bauordnung eine Nutzung als Veranstaltungsraum zu stoppen. Nicht immer sind sie dabei erfolgreich. Im nahegelegenen Salchow scheiterten die Behörden schon bei dem Versuch, mit Hilfe der Bauordnung die Neonazikonzerte im „nationalen Wohnprojekt“ von Aktivisten der „Kameradschafts“-Szene in Salchow zu unterbinden.

Gleichzeitig spielt die NPD mit der Angst der Kommunen, durch ein Neonazi-Zentrum in die Schlagzeilen zu geraten. Auf seiner Internetseite bot der NPD-Kreisverband Jena einen „Service“ für Immobilienbesitzer an: „Gegen Zahlung einer Parteispende“ werde die Partei öffentlich erklären, die Immobilie erwerben zu wollen.

Ein Beispiel dafür, wie schwierig es sein kann, zwischen einem real drohenden Immobilienkauf von Neonazis und einem Täuschungsmanöver zu entscheiden, findet sich im niedersächsischen Delmenhorst. Hier hat ein Bürger-Bündnis für rund 900 000 Euro ein ehemaliges Hotel erworben, nachdem Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger den Kauf des leerstehenden Gebäudes angekündigt hatte. Ob es sich bei einem angekündigten Immobilienkauf durch Neonazis um ein Täuschungsmanöver klammer Immobilienbesitzer, einen Verkauf durch ideologische Weggefährten oder skrupelloser Geschäftemacher handelt, muss jeweils im Einzelfall recherchiert werden.

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