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Amadeu Antonio Eine Zeitungsente namens Kiowa

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Mit Akzent und ohne Kiowa: Der Pass von Amadeu António
Mit Akzent und ohne Kiowa: Der Pass von Amadeu António (Quelle: Privat)

Vor 33 Jahren wird er ermordet, sein Name steht synonym für die Baseballschlägerjahre: Am Abend des 24. Novembers 1990 schlagen Neonazis den jungen Angolaner im brandenburgischen Eberswalde brutal zusammen, während die Polizei zusieht. Elf Tage später erliegt er seinen Verletzungen – und wird damit eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der Wende. Eine Stiftung, zu der Belltower.News gehört, wird nach ihm benannt. Auch ein Preis für Künstler*innen.

Amadeu Antonio heißt er. Warum ist also immer wieder in Zeitungen, Social-Media-Posts und auch auf Wikipedia der Zusatznamen „Kiowa“ zu lesen? Und warum bleibt diese Fehlinformation so hartnäckig?

Auf der Fotoseite des angolanischen Passes von Amadeu Antonio steht „Kiowa“ jedenfalls nicht, eine Kopie der Seite liegt Belltower.News vor. Seinen Nachnamen schreibt er im Feld für die Unterschrift groß, lesbar und mit Akzent: ANTÓNIO. In angolanischen Pässen aus dieser Zeit steht allerdings der volle Name des Inhabers auf der ersten Seite, von der bislang keine Kopie gefunden werden konnte. Die Kopie der Fotoseite verrät aber, dass er sich zumindest selbst als Amadeu António bezeichnete.

Auch in Gerichtsdokumenten taucht der Name „Kiowa“ nicht auf: Im Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 14. September 1992 gegen die neonazistischen Täter ist lediglich von „Amadeu Antonio“ die Rede. Das Urteil liegt der Redaktion ebenfalls vor. „Offiziell ist immer von Amadeu Antonio die Rede gewesen“, sagt der Rechtsanwalt Ronald Reimann Belltower.News. Im Prozess gegen die Killer vertrat er Antonios Sohn, der als Nebenkläger aufgetreten ist. Reimann weiß nicht, woher der Zusatz Kiowa kommt. „Ich habe keine Erklärung dafür.“

Ein Auszug aus dem Urteil gegen die Täter, die Amadeu Antonio ermordeten. Verurteilt wurden sie lediglich zu maximal vier Jahren wegen Körperverletzung mit Todesfolge. In den Augen vieler ein Skandal (Quelle: privat)

Auf Anfrage von Belltower.News kann die Polizei Brandenburg zu dem Namen Kiowa nichts sagen und verweist auf die Familie. Das Bürgeramt Eberswalde bestätigt aber auf Anfrage, dass im Melderegister lediglich der Name „Amadeu Antonio“ steht – ohne Kiowa. Eine Kopie seines Ausweises ist im System nicht hinterlegt.

Fragt man Wegbegleiter von Amadeu Antonio, woher der Name „Kiowa“ kommt, reagieren sie mit Schulterzucken. Augusto Jone Munjunga kannte ihn gut. Die beiden sind 1987 mit rund 100 weiteren so sogenannten Vertragsarbeiter*innen aus Angola in Eberswalde angekommen, als billige Arbeitskräfte aus dem sozialistischen Bruderland, denen eine Ausbildung versprochen wurde und die nur Ausbeutung erwartete. Munjunga arbeitete im selben Fleischkombinat wie Antonio. „Als Gruppenleiter hatte ich eine Liste mit allen Namen und Geburtsdaten der Kollegen. Da stand nur Amadeu Antonio darauf“, sagt er Belltower.News. Kiowa sei ihm zu dem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen, der Name sei erst nach dem Tod Antonios aufgetaucht, so Munjunga. „Manche hatten Spitznamen, aber von Amadeu habe ich noch keinen gehört.“ Auch Verwandte wüssten nicht, woher der Name komme, so Munjunga.

„Kiowa gehört nicht zu seinem Namen“, sagt gegenüber Belltower.News auch Anetta Kahane, die 1998 die Amadeu Antonio Stiftung gründete und Antonios Umfeld damals kannte. Antonios Witwe – 2015 verstorben – habe ihr gesagt, sie wüsste auch nicht, wie der Name zustande komme, weil Antonio ihn nie benutzt hätte.

Auch Neves Quitando habe ihn immer nur als Amadeu Antonio gekannt, erzählt er Belltower.News. Er war ebenfalls ein sogenannter Vertragsarbeiter aus Angola, arbeitete im Werk des „Industrieverband Fahrzeugbaus“ im brandenburgischen Ludwigsfelde. Eine Liebe für Motorräder haben die beiden Männer damals verbunden, sie wurden Freunde. Den Namen „Kiowa“ habe er erst irgendwo in einer Zeitung gelesen. „Angolaner haben oft mehrere Vornamen, die sie nicht verwenden“, räumt er ein. Vor allem traditionelle Namen seien nach der Unabhängigkeit Angolas von Portugal 1975 unter Jugendlichen nicht so beliebt gewesen. „Es ist nicht ungewöhnlich, dass jemand einen Namen hat, den er nie verwendet, der dann aber plötzlich wieder auftaucht.“

Aber Kiowa? Quitando sagt, das Wort „Kiowa“ sei Kimbundu und bedeute etwas wie „alleine“ im positiven Sinne. Amadeu Antonio hat allerdings nicht Kimbundu, sondern Lingala gesprochen. Zumindest in Online-Wörterbüchern für beide Sprachen steht das Wort „Kiowa“ nicht.

Augusto Jone Munjunga, Gründer des afrikanischen Kulturvereins „Palanca“ und Freund von Amadeu Antonio, vor der Gedenktafel in Eberswalde (Quelle: Nicholas Potter)

Im offiziellen Gedenken für Amadeu Antonio taucht der Name „Kiowa“ nicht auf. Wie beispielsweise auf der Gedenktafel in Eberswalde, 1991 in der Nähe des Tatorts angebracht. Auch ein Flyer aus August 1992 für eine Kundgebung auf dem Eberswalde Markplatz „wegen des Mordes an Amadeu Antonio“ erwähnt den Namen „Kiowa“ nicht. Der afrikanische Kulturverein „Palanca“, 1994 in Eberswalde aus der angolanischen und mosambikanischen Community nach dem Tod von Amadeu Antonio gegründet, unter anderem von Augusto Jone Munjunga, spricht auch nicht von „Kiowa“. 2009 porträtierte „Palanca“ ihn für eine Ausstellung über die Geschichte der angolanischen Vertragsarbeiter in Eberswalde – mit dem Namen Amadeu Antonio. Und die Barnimer Initiative „Light me Amadeu“ versucht seit Jahren, die Straße, in der Antonio ermordet wurde, in Amadeu-Antonio-Straße umzubenennen.

Woher kommt also Kiowa?

Eine Spur fängt bei Wikipedia an: Schon am 15. September 2006 wird der erste Eintrag zu Amadeu Antonio angelegt, ein kurzer Text aus nur 112 Wörtern. Bereits da taucht der Name „Amadeu Antonio Kiowa“ auf. Quellen gibt es im Eintrag zunächst keine. Und seitdem gab es kaum Versuche, „Kiowa“ zu entfernen. Immer wieder wird aber die Schreibweise in António mit Akzent geändert, wie es in seinem Pass steht. Der eigentliche Edit-War geht darum, ob Antonio ermordet wurde (Auffassung vieler Medien und der Zivilgesellschaft) oder es um „Körperverletzung mit Todesfolge“ (Urteil des Gerichts) gehe.

Der einzige und bislang letzte Kommentar zu „Kiowa“ in der Versionsgeschichte bei Wikipedia stammt vom Oktober 2021: Die Entfernung von „Kiowa“ mit Verweis auf einen Scan der Fotoseite des Passes wird sofort rückgängig gemacht. Begründung: „Der Name stand schon sehr lange ohne Widerspruch im Artikel.“ Außerdem würden Medien wie RBB den Namen „Kiowa“ verwenden und somit als Quelle gelten. „Kiowa“ könnte auf einer späteren Zeile im Pass stehen, heißt es weiter. Belege dafür gibt es nicht.

Doch die Geschichte mit „Kiowa“ fängt offenbar schon früher an, spätestens zwei Jahre nach seinem Tod. Ein im Jahr 1992 veröffentlichtes Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch verwendet den Zusatznamen „Kiowa“. Auch in einem 1995 erschienenen Bericht der Organisation steht wieder „Kiowa“. Der Lyriker Konstantin Wecker schreibt bereits 1993 die „Ballade von Amadeu Antonio Kiowa“. Die Zeitungen taz und Die ZEIT sprechen auch schon 1992 von „Kiowa“. Aber die Liste der Fälle bleibt überschaubar, die allermeisten Medien schreiben „Amadeu Antonio“.

Zumindest über die Google-Suchfunktion sind bis Mitte der Nullerjahre keine weiteren Erwähnungen von „Kiowa“ zu finden. Und dann taucht der Name auf einmal immer wieder auf: etwa 2005 im „Straßenmagazin“ fiftyfifty und dem Amtsblatt der Stadt Eberswalde, 2006 in einer Chronologie der Brandenburger Opferperspektive und einer Zeitung der IG Metall, oder 2008 in einer Zeitschrift der IG Bau und im Forschungsjournal „Neue Soziale Bewegungen“. Und selbst in einer 2005 erschienenen Publikation der Amadeu Antonio Stiftung. Inzwischen steht er überall, vom öffentlichen Rundfunk bis in die sozialen Medien.

Der Name „Kiowa“ scheint sich nicht mehr aus der Welt schaffen zu lassen. Belastbare Belege gibt es dafür nicht. Die Behörden haben keine Information dazu gespeichert. Und auch Antonios Freund*innen und Familie wissen nichts davon. Eine Zeitungsente also? Vor allem: eine hartnäckige.

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Aus dem Bruderland: Vertragsarbeiter in einem Eberswalder Wasswerk 1980.

Angolanische Vertragsarbeiter in der DDR Die ausgebeuteten Brüder

Bis zur Wende wohnten 90.000 ausländische Vertragsarbeiter*innen in der DDR. Sie wurden als Arbeitskräfte aus sozialistischen „Bruderländern“ rekrutiert. Rund 6.000 von ihnen kamen aus Angola – wie Amadeu Antonio. Ihnen wurden gute Ausbildungen und ordentlich bezahlte Jobs versprochen. Doch die Realität sah häufig anders aus. Bis heute kämpfen viele um ihre Löhne von damals.

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