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Angriff vor Thüringer Staatskanzlei Mögliches rechtes Tatmotiv bleibt weitgehend außenvor

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Brutaler Angriff vor Erfurter Staatskanzlei (Quelle: Thilo Manemann)

Mehrere Menschen, darunter auch Neonazis, schlugen am 18. Juli 2020 auf den bewusstlosen Körper des jungen Mannes vor der Erfurter Staatskanzlei ein. Erst später, im Krankenhaus, kommt er wieder zu sich. Er bekommt Videoaufnahmen der Gewalteskalation zu sehen. „Das Bild bleibt für immer und ist meine einzige Erinnerung an den Vorfall“, sagt er. Am Dienstag fand in Erfurt der Prozess gegen zwei von vierzehn Angeklagte statt. Für ihn ist die Motivation hinter der Tat klar: „Die haben mich vermutlich einfach nur angegriffen, weil ich links aussah.“ Er war an jenem Abend im Juli 2020 nicht der einzige, der von der Gruppe angegriffen wurde.

Zwölf Menschen wurden damals bei dem äußerst brutalen Angriff vor der Thüringer Staatskanzlei teilweise schwer verletzt. Erste Medienberichte sprachen damals fälschlicherweise von einer „Massenschlägerei“, obwohl eine größere Gruppe aus dem Nichts eine andere Gruppe angriff. Auch später dazustoßende Polizeibeamte wurden angegriffen. Gegen vierzehn Beschuldigte wurde Anklage erhoben – vier von ihnen wurden bereits vor dem Jugendschöffengericht verurteilt, wegen Landfriedensbruchs und gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung. Beim dritten Prozesstag am Dienstag, dem 11. Oktober, standen zwei weitere Beschuldigte vor Gericht. 

Im Zeugenstand saßen am Dienstagmorgen unter anderem drei Betroffene. Auch wenn die Tat mehr als zwei Jahre her ist, hat der Angriff bei ihnen deutliche Spuren hinterlassen. Ein Zeuge erzählt von körperlich bleibenden Schäden. Er musste auf der Intensivstation behandelt werden. Eine andere Zeugin berichtet vor Gericht von ihrer posttraumatischen Belastungsstörung und wie sehr sie die Erlebnisse in der Nacht noch heute belasten. Zwischenzeitlich muss die Verhandlung deswegen unterbrochen werden. Die Frage, die von den Betroffenen immer wieder in den Raum geworfen wird, ist das „Warum?“. Auch die Staatsanwaltschaft und das Gericht geben sich bei der Frage nach dem Tatmotiv ratlos. 

„Aus unserer Sicht gibt es eine eindeutig rechte Tatmotivation.“

Die Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt ezra kritisiert diese Ahnungslosigkeit: „Aus unserer Sicht gibt es eine eindeutig rechte Tatmotivation“, sagt David Rolfs. „Dafür spricht die einschlägige Biografie der Angeklagten, die Brutalität, mit der sie bei der Tat vorgegangen sind und die Auswahl der Opfer, die von den Angreifern als alternativ angesehen wurden.“ Was er damit meint: Ein großer Teil der Angeklagten sind keine Unbekannten. Einer von ihnen beteiligte sich 2016 bereits an dem Angriff auf das Autonome Jugendzentrum (AJZ) in Erfurt, bei dem mehrere Menschen mit Flaschen und Pfefferspray verletzt wurden. Das Verfahren gegen die Angreifer wurde nach vier Jahren eingestellt. Bilder in Sozialen Medien zeigen den Angeklagten weiterhin im Umfeld militanter und einschlägig vorbestrafter Neonazis, die der Neonazigruppierung „Kollektiv 56“ und dem ehemaligen Neonaziverein „VOLKSGEMEINSCHAFT ERFURT e.V.“ angehörten. Einige von ihnen sitzen auch jetzt wieder auf der Anklagebank. 

Ermittler*innen: Chats auf den Handys der Täter führten zu Verfahren wegen Volksverhetzung

Ein vorgeladener Ermittler spricht am Dienstag im Prozess davon, dass in beschlagnahmten Handys WhatsApp-Chats sichergestellt wurden, derentwegen weitere Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet wurden. Für die Beratungsstelle ezra ist es unverständlich, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht bei diesen Hinweisen keinen Aufwand betreibe, um das Motiv genauer zu erörtern. 

Milde Strafen im vorangegangenen Prozess

Dieselbe Kritik kam bereits bei den milden Urteilen im ersten Prozess gegen vier Angeklagte am 13. Juli 2022 vor dem Jugendschöffengericht auf. Vier der Angeklagten wurden verwarnt und zu einem Anti-Gewalttraining verpflichtet. Einer musste jeweils 500 Euro Schmerzensgeld an zwei Betroffene zahlen. Das Urteil stieß auf Unverständnis und Entsetzen auf Seiten der Politik und Opferverbänden, weil auch dort eine mögliche politische Überzeugung für das Gericht keine Rolle spielte. 

Das Gericht hat weitere Prozesstage angesetzt. Auch die Verhandlungen vor dem Landgericht Erfurt gegen weitere fünf Angeklagte stehen demnächst an. Ob es zu Verurteilungen kommen wird, bei denen ein Tatmotiv berücksichtigt wird, bleibt abzuwarten. Für die Betroffenen wird ein Ende der Prozesse in absehbarer Zeit zumindest keinen Schlussstrich bedeuten. 

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