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„Autonomer Nationalismus“

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Posting von Autonomen Nationalist_innen auf Facebook. (Quelle: Screenshot)

Initiatoren dieser Hausbesetzung waren die Hamburger Christian Worch und Michael Kühnen, die mit der NA an der Gründung der ersten offen neonazistisch agierenden Organisation in der DDR der Wendejahre beteiligt waren. Später bekamen die rechtsextremen Aktivisten von der Bezirksverwaltung für Straßenwesen im Tausch das Haus Weitlingstraße 122 angeboten, das sie Ende April bezogen. Nur wenige Gehminuten entfernt befanden sich einige Gebäude, die von linksradikalen Besetztern bewohnt wurden. Diese Brisanz, die sich in teilweise heftigen Überfällen der Rechtsextremisten auf die autonome Nachbarschaft Luft machte, sicherte ihnen große mediale Aufmerksamkeit bis die Gebäude in der Weitlingstraße schließlich im November von der Polizei geräumt wurden.

Nicht ganz zufällig steht mit Christian Worch einer der führenden Strategen der neonazistischen Szene im Mittelpunkt dieser Episode. Worch hatte nie einen Hehl aus seiner Bewunderung für die Effizienz linksradikaler Organisations- und Aktionformen gemacht. Als Reaktion auf die zahlreichen Parteien- und Vereinigungsverbote, mit denen die Bundesregierung auf die ausländerfeindlichen Ausschreitung in Rostock, Hoyerswerda und an anderen Orten reagierte, entwickelte Worch 1992/93 ein Konzept, das er ?autonome Rechte? nannte und das später als ?führungsloser Widerstand? oder auch ?freie Kameradschaften? virulent wurde. In Form nur lose organisierter und regional operierender Kleinstgruppen aus meist nicht mehr als 20 bis 25 Personen wurden die Kameradschaften in der zweiten Hälfte der 90er Jahre zu der herrschenden Organisationsform der neonazistischen Szene. Ihr Auftreten, ihre Kleidung, ihr Habitus und die von ihnen skandierten Parolen wichen freilich nur selten von den Klischees des in den Medien präsenten Bildes vom rechtsextremen Skinhead ab.

Seit rund drei Jahren irritieren jedoch Gruppen, die sich selbst ?autonome Nationalisten? nennen, Beobachter wie Szenemitglieder. Sie tragen Kleidung, die allgemein linken Szenen zugerechnet wird, sie übernehmen deren Ästhetik und Parolen und gehen auch musikalisch neue Wege: So werden im Internet teilweise heftig Debatten zwischen ?autonomen Nationalisten? und ?traditionellen? Rechtsextremisten geführt, die etwa um die Frage kreisen, ob HipHop sich zur rechtsextremen Agitation eigne oder nicht doch ?undeutsch? sei.

Autonomer Nationalismus ist überwiegend ein städtisches Phänomen, obwohl sich Entwicklungen andeuten, dass er auch in ländlich strukturierten Gebieten an Bedeutung gewinnt. Zuerst tauchte 2002 eine Gruppe in Berlin auf, die sich Anti-Antifa-Aktivitäten verschrieben hatte. Auf der Berliner 1.-Mai-Demonstration der NPD in 2003 waren sie mit Plakaten vertreten, die dazu aufriefen, ?schwarze Blöcke? zu bilden (ebenfalls eine Aktionsform der linksradikalen Autonomen). Diese Forderung wurde erstmals auf der Berliner 1.-Mai-Kundgebung 2004 der NPD umgesetzt, und mittlerweile gibt es in beinahe allen goßstädtischen Zentren Gruppen autonomer Nationalisten.

Dass der Autonome Nationalismus zunächst in Großstädten auftauchte und hier besonders attraktiv zu sein scheint, kommt nicht von ungefähr: Er bedient das Bedürfnis auch Jugendlicher und Junger Erwachsener mit rechtsextremen und neonazistischen Weltbildern nach einem modernisierten Lifestyle: Hier will man wie andere Altersgenossen Musik hören, die nicht schon vor 15 Jahren veraltet war, modische Kleidung tragen und nicht im Image vom Ewiggestrigen auftreten. Vielfach wird das Klischee vom „Stiefel-Nazi“ und „Skinhead“ abgelehnt. Daneben haben veränderte modische Vorlieben auch einen praktischen Hintergrund. Im Aufruf zur 1.-Mai-Kundgebung von 2004 hieß es:

Die schwarze Kleidung ermöglicht uns, dass wir von ANTIFAS, Bullen und anderen nicht mehr auseinander gehalten und erkannt werden können. […] Der nationalrevolutionäre, schwarze Block unterscheidet sich nicht hauptsächlich durch sein Äußeres von den anderen Demonstrationsteilnehmern, sondern durch die revolutionären Inhalte und seine Aktionen (Blockaden, Besetzungen, Verweigerungen, etc.): Wir glauben nicht daran, dass das kapitalistische System reformiert oder verbessert werden kann – das vorherrschende System IST der Fehler und muss durch eine neue, freie, gerechte und NATIONAL UND SOZIALE Gesellschaftsform ersetzt werden.
Hervorhebungen im Original

Der Wunsch, unerkannt zu bleiben, spielt auch im Alltag eine Rolle, gerade in Großstädten, wo es gelegentlich wenig vorteilhaft ist, auf den ersten Blick als Neonazi identifiziert werden zu können.

Ideologisch knüpfen autonome Nationalisten häufig an die nationalrevolutionären Ideen eines Ernst Niekisch an oder an den sog. ?linken Flügel? der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei / NSDAP um die Brüder Otto und Gregor Strasser sowie den Zinstheoretiker Gottfried Feder. Während Niekischs ?Sozialismus? sich darauf beschränkte, die Wirtschaft einem streng hierarchisch gegliederten Staat unterzuordnen, und er sich in antiwestliche Polemiken gegen das ?Privateigentum? und gegen ?hemmungsloses Profitstreben? erging, stand im Zentrum des linken Nationalsozialismus eines Gottfried Feder die Forderung nach ?Brechung der Zinsknechtschaft? und damit die antisemitische Unterscheidung zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital. Antisemitismus ist die gemeinsame Klammer beider Ansätze.

Konzeptionell lassen sich bei autonomen Nationalisten oft Querfrontstrategien beobachten, also Bemühungen, quer durch die weltanschaulichen und politischen Lager Gemeinsamkeiten zu finden und zu betonen. Neben dem geschilderten praktischen Nutzen, kann so auch die Aneignung linker Codes, Ästhetik, Aktionsformen und Inhalte interpretiert werden. Vor der ideologischen Folie eines nationalen Sozialismus wäre eine rein instrumentalisierende Deutung frelich verfehlt, denn die Verknüpfung sozialistischer Vorstellungen mit völkischer Weltanschauung gehört hier geradezu zu den Wesensmerkmalen.

Auch neurechte Strategien erfahren eine regelrechte Rennaissance, insbesondere die Darstellung von Inhalten außerhalb ihres historischen und weltanschaulichen Zusammenhangs (Dekontextualisierung), die auf bewusste Entpolitisierung rechtsextremer Inhalte setzt, erfreut sich einiger Beliebtheit.

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