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Baden-Württemberg 2012 Braunes Ländle

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Ein Ausschnitt aus einem Plakat zu einer Demonstration ein Jahr nach dem Brandanschlag von Winterbach im Rems-Murr-Kreis zeigt die verbrannte Hütte. (Quelle: weiler-schaut-hin.de)

Offiziell feierte Katharina B. aus Schorndorf in der Nacht vom 10. auf den 11. April nur ihren Geburtstag. Die Geburtstagsfeier auf einem Gartengrundstück bei Winterbach im Rems-Murr-Kreis entpuppte sich allerdings schon bald als Versammlung für bis zu 70 Neonazis, sogar Gäste aus dem Saarland waren gekommen. Auch der Grundstückseigentümer Christian W. ist länger bekannt, war er doch Sprecher des NPD-Kreisverbands Rems-Murr. Das dies keine gewöhnliche Geburtstagsfeier war, wurde auch den neun Jugendlichen türkischen und italienischen Ursprungs, die nebenan feierten, schnell klar. Ein erster Angriff lies nicht lange auf sich warten: Ein paar mit dem Auto anreisende Neonazis wollten die jungen Männer „mal erschrecken“.

Doch es kam schlimmer. Nachdem das Gerücht aufkam, die Jugendlichen würden sich an Autos von Anwohner*innen zu schaffen machen, stürmten mindestens zehn Neonazis los, „um die Kanacken zu schlagen“. Diese flüchteten panisch. Fünf von ihnen fanden Schutz in einer Holzhütte. Die Neonazis hatten aber immer noch nicht genug und zündeten die Hütte an. Auf mitgeschnittenen Polizeinotrufen der Bedrohten wird die Todesangst deutlich, mit der sie in der Hütte saßen. Um dem Feuertod zu entkommen, folgten sie letztendlich dem Rat der Polizei und rannten wieder hinaus, nur um erneut attackiert zu werden.

Die Ereignisse in Winterbach sind kein Einzelfall. Doch dieser Übergriff zeugt von großer Grausamkeit und Gewaltbereitschaft und zeigt die Gefahr, die von Neonazis heute ganz praktisch ausgeht, auch in Baden-Württemberg. Viel zu lange wurde die Szene ignoriert, obwohl sie sich mittlerweile fest im „Ländle“ verankert hat.

Großes rechtsextremes Personenpotenzial

Wie in vielen anderen Bundesländern auch ist die NPD die wichtigste rechtsextreme Partei Baden-Württembergs. Mit ungefähr 100 bis 120 Mitgliedern kommt sogar der bundesweit größte Landesverband der Jungen Nationaldemokraten (JN), Jugendorganisation der NPD, aus Baden-Württemberg, berichtet der freie Journalist Lucius Teidelbaum, der sich seit Jahren mit der rechten Szene in Baden-Württemberg auseinander setzt. Gerade die JN fungiert oft als Bindeglied zwischen den sogenannten „freien Kräften“ und der NPD . Auch mit der Szene der „Autonomen Nationalist*innen“ gibt es bei der JN Überschneidungen, was das Gewaltpotenzial der Organisation und Partei weiter unterstreicht. Aktuell versucht sich die NPD zu etablieren, indem sie auf eigene Regionalzeitungen und Info-Blätter setzt. Auf dem letzten Landesparteitag sei dies beschlossen worden, so Teidelbaum. Die Bemühungen machen deutlich, dass die NPD (noch) nicht in die Fußstapfen der in Baden-Württemberg traditionell starken Partei „Republikaner“ treten konnte.

Doch in Baden-Württemberg gibt es vor allem ein großes rechtsextremes Personenpotenzial abseits der NPD. Es gibt Kameradschaften, die meistens sehr aggressiv agieren. Laut Teidelbaum kann man die Zahl dieser aktiven Kameradschaften auf ungefähr 15-20 schätzen. Als besonders gefährlich schätzt er allerdings eine große subkulturell geprägte Szene ein, die im Moment ziemlich unorganisiert in Erscheinung tritt und oft für Übergriffe „auf der Straße“ verantwortlich ist: „Die tauchen zwar nicht so häufig auf Demos auf, aber in den Dörfern, wo sie Konzerte feiern, sind sie eine Gefahr“. Winterbach ist ein Beispiel für die Gewaltbereitschaft, die sich bei vielen dieser eher „passiven“ Mitglieder der rechten Szene auf Veranstaltungen und im alkoholisierten Zustand entwickeln kann. Gerade im ländlichen Raum ist diese Subkultur ziemlich ausgeprägt, da viele Leute über Soziale Netzwerke mit rechtsextremen Inhalten in Berührung kommen. Oft sei man durch „Lebenswelten“ verbunden, meint Teidelbaum, wodurch sich rassistische Tendenzen festsetzen und zu einer rechtsextremen Grundeinstellung führen können. Er geht von mindesten 10.000 Menschen aus, die in Baden-Württemberg diesem Milieu angehören. Vor allem junge Männer seien in diesen informellen Vernetzungen vorzufinden, so Teidelbaum, da man sich dort oftmals einfach treffe „um zu trinken und Nazimusik zu hören“. Weitere Vernetzungen findet man im ländlichen Raum dann bei NPD-Stammtischen und Kameradschaften.

Zusätzlich hat sich in Baden-Württemberg schon seit längerer Zeit eine große rechtsextreme Musikszene gebildet, die stetig wächst. Immerhin hat sich hier etwas getan – die Gaststätte „Rössle“ in Rheimünster-Söllingen bei Rastatt ist mittlerweile geschlossen. In der Gaststätte wurden ungefähr die Hälfte aller rechtsextremen Konzerte gespielt, wodurch sie schon bald einer der wichtigsten Veranstaltungsorte wurde. 2010 kam man in Baden-Württemberg zum Beispiel noch auf doppelt so viele Neonazi-Konzerte wie 2009, was damals vor allem an der Nutzung der Gaststätte lag. Trotzdem bleibt Baden-Württemberg eine Hochburg für die rechtsextreme Musikszene, was nicht zuletzt an der Tatsache liegt, dass es an zwei andere Länder grenzt. Laut Teidelbaum finden gerade im benachbarten Frankfreich und in der Schweiz viele rechtsextreme Konzerte statt, auch weil man dort auf weniger Probleme mit den Behörden stößt. Das Publikum bei diesen Konzerten kommt dann fast ausschließlich aus Deutschland.

Auch Verlage sind ein wichtiger Bestandteil der rechtsextremen Szene in Baden-Würrtemberg. Vor allem der über 50 Jahre alte „Grabert Verlag“ aus Tübingen hat deutschlandweit eine große Bedeutung und gehört zu den dreißig größten rechten Verlagen im Land.

Anknüpfen an bundesweite Trends

Bei den Inhalten, die vemehrt von Rechtsextremen verbreitet werden, deckt sich die Entwicklung in Baden-Württemberg in vielerlei Hinsicht mit bundesweiten Trends. So mobilisiert die Szene durch kurzfristige Kundgebungen vor allem mit Anti-Euro Parolen, die auf rassistische Ressentiments und Vorurteile gegenüber Griechen aufbauen. Des Weiteren wird im Moment Hetze gegenüber Sexualstraftätern betrieben, wie man auch in anderen Bundesländern beobachten konnte. Eine weitere Parallele zu Entwicklungen in anderen Bundesländern ist die stärkere Konsolidierung der Szene. Es geht dabei vor allem darum, Sympathisanten in ihrer Unterstützung für die NPD oder anderen Organisationen zu verstärken, meint Lucius Teidelbaum. Diese Entwicklung finde man immer öfter in Schwerpunktregionen wie dem Schwarzwald.

Einen weiteren Teil der rechten Szene Baden-Württembergs stellen rechtspopulistische Bündnisse und Parteien dar, die Anti-Muslimische Inhalte und Parolen verbreiten und damit ziemlich erfolgreich sind. Trotz organisatorischer Trennung überschneidet sich dieses Milieu oftmals auch mit dem Rest der Szene. So wurde z.B. im Juni 2011 ein von der „Bürgerbewegung Pax Europa“ organisiertes Islamkritisches Wochenende in Stuttgart abgehalten. Es haben sich zusätzlich auch einige sogenannte „PI-Ortsgruppen“ in Baden-Württemberg gebildet, die sich inhaltlich dem islamfeindlichen Internetportal „Politically Incorrect“ anschließen.

Der Widerstand gegen Rechtsextremen hängt vor allem im ländlichen Raum stark von den lokalen Behörden ab. In einigen Dörfern und Regionen findet man sehr engagierte und besorgte Bürgermeister und BürgerInnen vor, während andere lieber weg schauen und schweigen, oder im Zweifel sogar die Bemühungen besorgter Bürger aktiv versuchen zu verhindern. Immerhin hat sich nach Meinung Teidelbaums auf Landesebene etwas verändert, die Langesregierung würde dem Rechtsextremismus in Baden-Württemberg mittlerweile mehr Aufmerksamkeit schenken und auch die Förderung für Gedenkstätten sei verbessert worden. Dies lässt darauf hoffen, dass Rechtsextremismus im „Ländle“ zunehmend thematisiert und nicht mehr unterschätzt bzw. ignoriert wird. Denn eins ist klar: Eine Hetzjagd mit anschließendem fünffachen Mordversuch sollte Jedem deutlich gemacht haben, welch eine Bedrohung für die Gesellschaft von der Szene ausgeht.

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