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Ein Rucksack voller weißer Privilegien

Ich wachse als Frau auf, die als deutsch und weiß wahrgenommen wird. Das heißt, dass ich ohne von der Polizei kontrolliert zu werden eine Stunde lang am Bahnhof auf meinen Zug warten kann. Wenn ich erzähle, dass ich kein Sauerkraut und Eisbein mag, werde ich nicht mit einer angeblichen „deutschen Kultur“ konfrontiert. Nie werde ich von fremden Menschen auf die Herkunft meiner Eltern angesprochen. Diese gilt jedoch nicht für alle Menschen.

 
US-Menschenrechtlerin Peggy McIntosh spricht davon, dass weiß zu sein bedeutet, mit einem unsichtbaren Rucksack gesellschaftlicher Privilegien ausgestattet zu sein. (Quelle: flickr / cc / katling)

Rassismus ist auch heutzutage ständig gegenwärtig.  Weiße Personen erlernen und reproduzieren rassistische Denkstrukturen bereits im Kindesalter. Wenn in Kinderbüchern Schwarze Menschen „zur Erklärung“ in ein Tintenfass getaucht werden, verfestigen sich Bilder und Vorstellungen in den Köpfen der Kleinsten, was „normal“ ist – und was eben nicht. Weißsein gilt als Norm und wird nicht benannt, wo hingegen Schwarzsein immer als „das Andere“ konstruiert wird. Rassistische Witzen und Beleidigungen auf dem Schulhof oder in der Bahn gelten so immer noch als hinnehmbar, wenn sie nicht zu beleidigend werden. 

Auch in den Medien wird eine rassistische Normalität übermittelt. In deutschen Soaps und Filmen spielen Schwarze Menschen meist eine „besondere“ Rolle. Egal ob Adoptivkinder, Au- Pair Mädchen oder Flüchtling: Sie benötigen stets eine erfundene Biographie, die erklärt, warum sie sich in Deutschland aufhalten. 

Alltagsrassismus ist auch, wenn in einer Pressemitteilung der Polizei von einem Täter berichtet wird, der ein „südländisches Aussehen“ hat. Dann ist dem oder der Leser*in sofort klar, dass von einem vermeintlichen Migrationshintergrund ausgegangen wird. Es entsteht schnell eine Verbindung zwischen Schwarzen Männern und Kriminalität. Wird jedoch nicht näher auf das Aussehen des oder der Täter*in eingegangen, handelt sich meistens um eine weiße, deutsche männliche Person.

Noah Sow hat in ihrem Buch „Deutschland Schwarz Weiß“ Privilegien aufgelistet, die weiße Deutsche derzeit von der Geburt an besitzen:

– als Individuum betrachtet zu werden.

– als vollwertiges Mitglied der Bevölkerung betrachtet zu werden.

– nicht automatisch als ‚fremd’ betrachtet zu werden.

– nicht rechtfertigen zu müssen, weshalb Sie in Ihrem eigenen Land leben oder weshalb Sie überhaupt in Ihrer Form und Farbe existieren.

– sich und Ihre Gruppe selbst benennen zu dürfen.

alle Menschen, die nicht weiß sind, benennen, einteilen und kategorisieren zu dürfen.

– dass Ihre Anwesenheit als normal und selbstverständlich betrachtet wird.

– sich benehmen zu können, als spiele Ihre eigene ethnische Zugehörigkeit keine Rolle.

– jede andere Kultur nachäffen oder sich in Teilen aneignen zu können, ohne dafür von der Mehrheitskultur ausgegrenzt zu werden (ausgelacht vielleicht … ausgegrenzt aber nicht).

– bestimmen zu dürfen, inwiefern die Errungenschaften und Meinungen aller Menschen, die nicht weiß sind, relevant sind, selbst wenn diese Menschen viel gebildeter sind als Sie.

ohne die Möglichkeit aufzuwachsen, dass Sie rassistisch beleidigt werden können.

in der Gesellschaft, in der Sie sich bewegen, öffentlich anonym bleiben zu können, wenn Sie wollen.

– nie darüber nachdenken zu müssen, ob Verdächtigungen oder Kontrollen vielleicht aufgrund Ihres vermeintlich anderen Aussehens erfolgen.

– Fremden Ihre Herkunft nicht erklären zu müssen.

– grundsätzlich ungehindert und unkontrolliert in die ganze Welt reisen zu können.

– auf Rassismus nicht reagieren zu müssen.

Weil Weißsein als Norm gilt, ist es unbenannt und unmarkiert. Deshalb setzten sich viele weiße Menschen in Deutschland (noch) nicht damit auseinander, dass sie Weiße sind. Wenn weiße Menschen als solche benannt werden, reagieren sie nicht selten mit Wut und Abneigung. Sie sehen sich nicht als Weiße. Weißsein beschreibt dabei keine äußerlichen Zuschreibungen, sondern eine gesellschaftlich wirkungsvolle Kategorie.

Rassismus kann weiße Menschen nicht betreffen – aber betroffen machen. Im Gegensatz zu Schwarzen Menschen haben weiße Menschen die Wahl, ob sie sich mit Rassismus auseinandersetzen wollen oder eben auch nicht. Weiße Menschen besitzen aber noch mehr Privilegien, die ihnen nicht bewusst sind. Peggy McIntosh spricht davon, dass weiß zu sein bedeutet, mit einem unsichtbaren Rucksack gesellschaftlicher Privilegien ausgestattet zu sein. In diesem Rucksack befinden sich Pässe, Arbeitsplätze und Wohnungen. Diese Privilegien sind nicht erarbeitet worden, sondern durch eine gewaltsame Dominanzstruktur gesichtert. Sich mit Rassismus auseinander zusetzen ist ein langer Weg, der sich jedoch lohnt. Denn weiße Menschen üben Rassismus aus und sind somit für ihn verantwortlich. 

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