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NRW 2011 Nazis in Nordrhein-Westfalen setzen auf Islamfeindschaft und Gewalt

Heute antworten Heiko Klare und Michael Sturm von „mobim – Mobile Beratung im Regierungsbezirk Münster. Gegen Rechtsextremismus, für Demokratie„.

Was waren die wichtigsten Ereignisse in Ihrem Bundesland 2011, bezogen auf Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus?

Nach wie vor zeigt sich das Spektrum der extremen Rechten in NRW vor allem in Gestalt von zwei Phänomenen: Zum einen im antimuslimischen Rassismus rechtspopulistischer Parteien wie der selbsternannten Bürgerbewegung Pro NRW und anderer regionaler Wählerbündnisse. Zum anderen im Auftreten einer militanten Neonaziszene, die auch in kleineren Orten selbstbewusster und gewaltbereiter wird.

Pro NRW hat in 2011 vor allem durch mehrere öffentlichkeitswirksame Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. Im April veranstaltete die Partei in Gelsenkirchen eine ?Deutsch-Israelische Konferenz?, zu der Vertreter der israelischen extremen Rechten angereist waren ? nach außen sollte so die angeblich erfolgreiche Abkehr vom Antisemitismus innerhalb der ?seriösen deutschen Rechten? dokumentiert werden. Davon abgesehen, dass diese Behauptung höchst fragwürdig erscheint, zielte diese Aktion im Kern vor allem darauf ab, das gemeinsame Feinbild ?Islam? zu bekräftigen. Der breit angekündigte, ebenfalls islamfeindlich ausgerichtete ?Marsch für die Freiheit? im Mai in Köln wurde von starken Gegenprotesten begleitet, so dass die Strecke und der zeitliche Ablauf verkürzt werden mussten. Immerhin nahmen über 300 Personen aus dem Umfeld der ?Pro-Bewegung? und anderer europäischer rechtspopulistischer Parteien an der Demonstration teil. Im November demonstrierte Pro Köln im Stadtteil Kalk gegen das dortige ?Autonome Zentrum?. Auch hier gab es breite Proteste und Blockaden gegen die Veranstaltung. Für das nächste Jahr hat Pro Köln weitere Aktionen gegen das Zentrum angekündigt. Im Rat der Stadt zeigt sich die Fraktion, von der aus die Gründung und Expansion von Pro NRW betrieben wurde, allerdings mittlerweile zerstritten. Offenbar steht zumindest ein Ratsherr kurz vor dem Austritt.

Pro NRW zeigte sich im Verlauf des Jahres immer wieder bei verschiedenen kleineren Demonstrationen oder ?Mahnwachen?, vor allem im Umfeld von Moscheen. Wiederholt versuchte die Partei, den geplanten Bau von Moscheen schon im Vorfeld zu instrumentalisieren und durch Unterschriftenlisten und Flugblätter die Vorurteile und Ängste der Bevölkerung zu schüren. Diese Strategie erwies sich in den vergangenen Jahren als durchaus erfolgreich ? überall dort, wo Pro NRW zu den letzten Kommunalwahlen angetreten war, konnte die Partei auch in die Stadträte einziehen.

Im Parteienspektrum spielte die NPD landesweit auch im Jahr 2011 keine maßgebliche Rolle, von einigen Vertretern in Stadträten und vereinzelten kleineren Demonstrationen abgesehen. Ihre Strukturen sind vielerorts nicht handlungsfähig, zudem muss sie voraussichtlich im nächsten Frühjahr ihre Landesgeschäftsstelle in Bochum-Wattenscheid räumen ? eine Nachwirkung der Finanzquerelen der Partei.

Die jugendkulturell geprägte Szene ?Freier Kameradschaften? und ?Autonomer Nationalisten? gab sich im Jahr 2011 weiterhin ausgesprochen aktiv und legt eine gestiegene Gewaltbereitschaft an den Tag. Dabei stehen immer weniger große Demonstrationen wie der so genannte ?Nationale Antikriegstag? am ersten Septemberwochenende in Dortmund im Mittelpunkt. Rund 750 Neonazis sind dabei zwar zum ersten Mal seit 2008 wieder durch die Straßen der Stadt gezogen ? in den letzten Jahren war jeweils nur eine stationäre Kundgebung genehmigt worden. Die großen Gegendemonstrationen tausender BürgerInnen und die Abschirmung durch die Polizei stellen die Szene aber immer wieder vor große Herausforderungen. Diese Feststellung gilt auch für den zweiten überregionalen ?Event? der militanten Szene in NRW, dem jährlich stattfindenden ?Trauermarsch? in Stolberg in der Nähe von Aachen, an dem sich im April rund 430 Neonazis beteiligten.

Die Szene wird allerdings in verschiedenen Regionen NRWs selbstbewusster. Zu nennen sind hier nach wie vor die Hochburgen in den Großräumen Aachen und Dortmund, regionale Zentren wie Wuppertal, aber auch ländliche Räume, etwa in Ostwestfalen-Lippe, im Rheinland, im Bergischen Land und im Münsterland. ?Besuche? von Veranstaltungen ? im Rahmen erinnerungskultureller Gedenktage oder gezielt, etwa zur Störung von Diskussionsabenden über die lokale extrem rechte Szene ? nehmen zu. Es kommt vermehrt zu Drohungen gegenüber Andersdenkenden und v.a. nicht-rechten Jugendlichen und zu tätlichen Angriffen auf den ?politischen Gegner?. Über das Jahr verteilt wurden vor allem im Ruhrgebiet immer wieder Fenster von Büros demokratischer Parteien eingeworfen. Die Gewaltbereitschaft zeigt sich auch durch brutale Körperverletzungen durch Neonazis. Erst im November attackierten sechs mutmaßliche Mitglieder der ?Skinhead-Front Dorstfeld? in der Dortmunder Innenstadt zwei Jugendliche türkischer Herkunft, die sie mit Fausthieben und Tritten schwer verletzten. Unter den Tatverdächtigen war auch ein im September 2010 aus der Haft entlassener, wegen Totschlags an einem Punker verurteilter 24jähriger Neonazi. Ebenso kam es in Wuppertal, Aachen und weiteren Städten des Landes zu gewalttätigen Übergriffen. Mehrere Angehörige der extremen Rechten wurden im Verlaufe des Jahres wegen Körperverletzungsdelikten, Landfriedensbruch, Brandstiftung oder Volksverhetzung zu Bewährungs- oder (teils mehrjährigen) Haftstrafen verurteilt.
Das Droh- und Gewaltpotential der Szene ist nach wie vor hoch. Auch wenn objektiv von Dominanzräumen oder kultureller Hegemonie keine Rede sein kann, ist subjektiv doch in Gegenden mit starker Präsenz extrem rechter Gruppen eine teilweise erhebliche Verunsicherung und Angst zumindest politisch Aktiver und potentieller Opfer wahrzunehmen. Dazu tragen neben öffentlichen Auftritten und Übergriffen auch die ?Reviermarkierungen? durch Graffitis, Aufkleber und Schmierereien sowie die Selbstinszenierung von Szeneangehörigen als ?politische Soldaten? vor allem über Webangebote, Flugblätter und Propagandavideos bei. Wichtig ist hier für die extreme Rechte immer auch die Präsenz an und vor Schulen. Ihre Selbstinszenierung ist dabei gerade für rechts anpolitisierte Jugendliche anziehend und verspricht (politische) Identifikationsangebote sowie durch subversives Vorgehen und die Betonung von ?Aktion? ebenso Spannung und Abenteuer.

Wie sind die Erwartungen für 2012?

Für das Jahr 2012 steht zu erwarten, dass die jugend- und subkulturell geprägte Neonaziszene auch weiterhin präsent sein wird. Neben dem Kampf gegen den ?politischen Gegner? und ?das System? werden voraussichtlich auch diese Gruppen in lokalen Zusammenhängen islamfeindliche Aktionen und Kampagnen durchführen. Damit ?bedienen? sie teilweise ähnliche Ängste, Vorurteile und rassistische Einstellungen in der ?Mitte der Gesellschaft?, wie es auch Pro NRW im kommenden Jahr versuchen wird. Im Bereich rechtspopulistischer Parteien und Wählerbündnisse werden im nächsten Jahr voraussichtlich Konkurrenzen entstehen: Neben lokalen Gruppen, die z.B. im nördlichen Ruhrgebiet bereits in Kreistage und Stadträte eingezogen sind, will auch die Partei ?Die Freiheit? weiter Strukturen in NRW aufbauen. Zudem wird die Verknüpfung mit islamfeindlichen Internetblogs, die mit ihren Angeboten und Kampagnen großen Zuspruch auch außerhalb der extremen Rechten finden und daher eine Art ?Grauzone? bilden, eine Herausforderung für die demokratische Kultur vor Ort darstellen.
Schon jetzt sind aus dem Spektrum der militanten Neonazigruppen verschiedene Demonstrationen für das nächste Jahr angemeldet worden. Im Hinblick auf den ?Nationalen Antikriegstag? wird hier zu beobachten sein, wie die Szene mit diesen größeren Veranstaltungen umgeht und ob es neue Strategien geben wird, um auf die enge Begleitung durch die Polizei und die massiven Proteste zu reagieren. Es ist auch künftig mit einer hohen Gewaltbereitschaft zu rechnen, die mit dem Versuch einhergehen wird, weiterhin öffentliche Räume nach dem Motto ?XYZ ist unsere Stadt? zu markieren.

Eine angemessene Reaktion ? ohne unnötige Hysterie, bei gleichzeitiger Sensibilität ? zu finden, die auch die subjektive Wahrnehmung potentieller Opfer und Engagierter ernst nimmt, wird eine der Aufgaben für jene Kommunen sein, die mit extrem rechten Gruppen und ihren Aktionen konfrontiert sind. Hoffnung macht hier die von der Landesregierung geförderte Einrichtung von zwei Opferberatungsstellen im Rheinland und in Westfalen, die die Mobile Beratung in NRW als sinnvolle und notwendige Ergänzung ihrer Arbeit begrüßt. Langfristig müssen die Engagierten in den Orten des Landes weiter gestärkt werden, um auf die Herausforderungen durch die extreme Rechte, aber auch durch rassistisch geprägte Diskussionen um Moscheebauten und Zusammenleben reagieren zu können. Dazu hoffen wir mit unserer Arbeit auch in Zukunft beitragen zu können.

Die Fragen stellte Jan Rathje.

Mehr im Internet:

| www.mobim.info

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

Jahresrückblicke 2011

| Baden-Württemberg: Gewalttätige und bewaffnete Nazi-Strukturen
| Berlin: Brandanschläge und verheimlichte Demonstrationen
| Brandenburg: „Spreelichter“ und „Unsterbliche“
| Hamburg: Rechtsextreme PR-Offensive
| Nordrhein-Westfalen: Nazis setzen auf Islamfeindschaft und Gewalt
| Sachsen: Ein Todesopfer, eine Terrozelle und viele Nazi-Events
| Schleswig-Holstein: Legitimationsstrategie im Landtagswahlkampf

2010

| Jahresrückblick 2010: Militante Neonazis und islamfeindliche Rechstpopulisten in Nordrhein-Westfalen

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