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Kontinuität des Hasses in Dortmund – Teil 1 die Anfänge

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Siegfried Borchardt, Spitzname „SS-Siggi“, auf einem Sticker der Partei „Die Rechte“ in Dortmund (Quelle: Drei Steine, Nils Oskamp)

Im November 2014 sorgte ein Vertreter der Partei „Die Rechte“ im Dortmunder Stadtrat für internationale Schlagzeilen, als er die Stadtverwaltung aufforderte, die Juden in Dortmund zählen zu lassen. Der antisemitische Antrag wurde begleitet von ähnlichen Anfragen, die sich etwa auf die Anzahl von HIV-erkrankten Menschen in der Stadt oder Adressen von engagierten Lokalpolitikern bezogen. Nicht minder medienwirksam war der Sturm auf das Dortmunder Rathaus im Mai 2014, als am Abend der Kommunalwahl rund dreißig Neonazis aus dem Umfeld von „Die Rechte“ versuchten, mit Gewalt ins Gebäude zu kommen. Anlass war der Einzug ihres Spitzenkandidaten Siegfried Borchardt in den Stadtrat. Bei den folgenden Auseinandersetzungen mit den Gegendemonstranten wurden mehrere Menschen verletzt.

Es sind Meldungen wie diese, die zumindest zum Teil erklären, warum Dortmund derzeit als eine der rechten Hochburgen Westdeutschlands, wenn nicht gar das Zentrum der extremen Rechten in den alten Bundesländern gilt. Tatsächlich ist in Dortmund eine hervorragend vernetzte Neonazi-Szene zu beobachten, die es versteht, schnell und umfassend zu mobilisieren – und das, obwohl ihr harter Kern vermutlich gerade einmal fünfzig Personen umfasst. Warum es dieser überschaubaren Gruppe aber immer wieder gelingt, mit ihren Aktivitäten Breitenwirkung zu erzielen, zeigt eine Analyse der Kontinuitäten des Hasses: Die Neonazi-Szene Dortmunds ist über Jahrzehnte gewachsen, entsprechend fest verwurzelt und erprobt.

Die Betrachtung ihrer Entwicklung macht aber auch deutlich, dass Politik und Zivilgesellschaft mittlerweile reagieren: Konnte die extreme Rechte Anfang der 1980er noch relativ ungestört walten, trifft sie heute auf breiten Widerstand.

Ein autobiografischer Comic über Neonazi-Gewalt in Dortmund

1980 – 1990: Borussenfront und FAP

Wer sich mit der extrem rechten Szene Dortmunds beschäftigt, kommt an einem Namen nicht vorbei: Siegfried Borchardt wurde in der Nazi-Szene unter dem Spitznamen „SS-Siggi“ bekannt, obwohl er nach eigener Aussage lieber „SA-Siggi“ genannt werden möchte. Er zeigt wie kaum ein anderer, dass die Kontinuität des Hasses auch eine Kontinuität der Personen ist. Schon in den 1980er-Jahren machte Borchardt als Anführer des berüchtigten rechten Hooligan-Zusammenschlusses „Borussenfront“ von sich reden. Damals war es üblich, dass er gemeinsam mit anderen Nazi-Hools nach Heimspielen des BVB in der Dortmunder Nordstadt Jagd auf (Deutsch-) Türken und andere Minderheiten machte. Nicht wenige von Borchardts Anzeigen wegen Körperverletzung stammen aus jener Zeit.

„SS-Siggi“ war 2012 in der Mallinckrodtstraße gemeldet, in jener Straße, in der Mehmet Kubasik vom NSU in seinem Kiosk erschossen wurde. (Anmerkung der Redaktion)

Schon damals strafte Borchardt das Klischee vom tumben prügelnden Neonazi Lügen: Denn parallel zu seinen Aktivitäten bei der Borussenfront wurde er Kameradschaftsführer der Aktionsfront „Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS)“, einer 1983 verbotenen Neonazi-Organisation, sowie Kreisleiter bei der ANS-Nachfolgeorganisation „Komitee Adolf Hitler“ (KAH), das neonazistische Feierlichkeiten zum 100. Geburtstag Hitlers vorbereitete und 1995 verboten wurde. Sowohl bei der Gründung der ANS als auch des KAH spielte der Neonazi Michael Kühnen eine entscheidende Rolle. Kühnen gehörte in den 1970er- und 80er- Jahren auch noch nach Bekanntwerden seiner Homosexualität zu den bedeutendsten Neonazi-Größen Deutschlands und gründete etwa 1977 eine neonazistische NSDAP-Aufbauorganisation namens „SA-Sturm Hamburg“. Nach dem Verbot der ANS war Kühnen an der Gründung der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“ (GdNF) und der Wehrsportgruppe „Werwolf“ beteiligt und unterwanderte gemeinsam mit ANS-Kameraden die bis dahin unbedeutende „Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei“ (FAP), die er zu einer militanten, eindeutig neonazistischen und extrem gewaltbereiten Kleinpartei umformte.

Auch bei der FAP kreuzten sich Borchardts und Kühnens Wege: So baute Borchardt 1984 gemeinsam mit anderen ANS/NA-Kadern den Landesverband Nordrhein-Westfalen der FAP auf. Im gleichen Jahr kandidierte er bei den Kommunalwahlen und war 1985 FAP-Spitzenkandidat zur Landtagswahl. Vier Jahre später wurde der umtriebige Borchardt schließlich FAP-Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen sowie stellvertretender Bundesvorsitzender der Partei unter dem Vorsitzenden Friedhelm Busse, einem Altnazi und führendem Kopf der militanten Neonazi-Szene Deutschlands. In dieser Funktion trat Borchardt auch 1989 bei der Wahl zum Europaparlament an – allerdings ohne Erfolg.

Schon in jener Zeit zeigten sich die engen Verflechtungen, welche den rechtsextremen Handlungsraum Dortmunds bis heute kennzeichnen: So mischten FAP-Mitglieder bei der Borussenfront mit, die wiederum als Saalschutz für Veranstaltungen der NPD diente.

1990–2000: Vermeintliche Ruhe vor dem Sturm

Von Ende der 1980er- bis Anfang der 1990er-Jahre wurde Siegfried Borchardt mehrfach zu Haftstrafen verurteilt. Seine kontinuierliche Bedeutung für die Dortmunder rechte Szene zeigte sich nicht zuletzt darin, dass die Aktivitäten der Neonazis immer dann deutlich zunahmen, wenn Borchardt aus der Haft entlassen wurde.

1995 wurde die FAP schließlich verboten. In der Folge baute Borchardt die Kameradschaft Dortmund auf. Deren Mitglieder machten in der Nordstadt erneut Jagd auf politische Gegnerinnen und Gegner sowie auf Migrantinnen und Migranten. Hier etablierte sich mit dem „Schützeneck“ auch eine Kneipe als beliebte Anlaufstelle für die lokalen Neonazis.

Teil 2: 2000–2010: Höhepunkte der Gewalt in Dortmund

Teil 3: 2010 bis Heute: Getarnter Hass und ein Sturm auf das Rathaus

 

Dieser Text ist zuerst in „Drei Steine“ 2015 erscheinen und wurde von der Belltower-Redaktion an einigen Stellen aktualisiert. 

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anettamut

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