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Jahrestag der „Stonewall Riots“ Trauma, Trümmer & Träume

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Vor dem Stonewall Inn wird heute an die revolutionären Wurzeln der Pride erinnert. (Quelle: picture alliance / ZUMAPRESS.com | Bryan Smith)

Elegante Clubs mit hippen DJs, die pulsierende Technobeats auflegen, während sich Besucher*innen unter der glitzernden Discokugel so richtig ungehemmt austoben. Gemütliche Bars, die mit rosafarbenen Plüsch-Wänden ausgestattet sind. Gepflegte Ateliers mit reservierbaren Karaoke-Kabinen und intimen Dark Rooms für spontane Begegnungen. Regenbogen-Aufkleber am Eingang. Türsteher*innen und Mitarbeitende, die alle aus derselben Community kommen. Solche Vorstellungen haben wir, wenn wir heutzutage an LGBTQ-Lokale denken. Kunterbunt und prickelnd, ohne bedrohlich zu sein. Aber dem war nicht immer so.

Greenwich Village, gegen Ende der 1960er Jahre. In der Christopher Street 51 –  53 wird ein ehemaliges Café neu eröffnet. Diesmal primär als Kneipe. Eine queere Kneipe. Das neue Etablissement, das den Namen Stonewall Inn beibehielt, war nunmehr ein Familienbetrieb. Es gehörte genauer genommen einem Capo der berüchtigten Familie Genovese.  Mit verwässerten Getränken, versteckten Kameras und erpresserischen Intrigen gegen finanzstarke Gäste, bediente sich der Mafioso Lauria eines lukrativen Geschäftsmodells. Sein Bar-Manager kümmerte sich um die gutbetuchten VIPs, Bänker aus der Wall Street und Manager aus der Madison Avenue. Ebenjene „Closet Homosexuals“ wurden mit Callboys verkuppelt und mussten, früher oder später, neben der exorbitanten Zeche auch Schutzgeld zahlen. Lauria, der Patriarch, war wohl kein Philanthrop. Nichtsdestoweniger bot er dem vorwiegend armen Klientel einen Treffpunkt.

Der Großteil der Kundschaft setzte sich aus nahezu mittellosen Strichjungs, Dragqueens, Butches und diversen anderen gender-nonkonformen Menschen zusammen. Es waren also Queere jeglicher Couleur, auch in ethnischer Hinsicht. Auf der Suche nach einem Tapetenwechsel von ihrem grauen Alltag trafen sie sich hier zwischen den schwarz bemalten Wänden. Von der Mainstream-Gesellschaft geächtet und verstoßen, hatten sie zwar keine Zukunftsperspektiven, dafür aber in dieser Spelunke eine Zufluchtsstätte.

Die Steinmauer: Mafia, Macht und Menschenverachtung

Das zweistöckige Ziegelbacksteinhaus Stonewall Inn war ein auf Mundpropaganda angewiesener Geheimtipp der Szene. Michelin-Sterne konnte Stonewall nicht vorzeigen. Strenggenommen hatte diese Kneipe sogar nicht einmal ein Schankerlaubnis. Alkohol wurde trotzdem kredenzt, obwohl die Theke keine Spüle mit fließendem Wasser hatte. Gläser und Besteck wurden demzufolge kaum ausreichend gereinigt, was nachweislich zum Ausbruch von Hepatitis innerhalb der Community führte. Schlechte hygienische Maßnahmen und keine Alkohol-Lizenz. Wie konnte das nur gehen?

Die Beziehungen zwischen dem Besitzer Lauria und der Polizei liefen wortwörtlich wie geschmiert:  Die Polizei hielt die eine Hand auf und hielt die andere Hand schützend über die Bar. Lauria spendete durchschnittlich zwölfhundert US-Dollar (heute rund achttausend Euro) pro Monat an die Polizei im 6. Bezirk. Im Gegenzug versprachen die bestochenen Beamten, ihre zum Schein durchgeführten Razzien auf ein Minimum zu reduzieren und diese sogar kurz vorher anzukündigen. So konnten die illegalen Spirituosen rechtzeitig versteckt werden. Trotzdem geriet die Kundschaft immer wieder in die Falle. Wer von der Polizei erwischt wurde, musste erniedrigende, oft verfassungswidrige Handlungen über sich ergehen lassen – Körperdurchsuchungen und Knüppelschläge. Auch die VIPs wurden gefilzt, und nicht selten mussten sie mit Bußgeldforderungen ohne Quittung rechnen oder wurden, nebst den armen Besucher*innen, mit auf die Wache genommen. Homosexuelle Handlungen waren damals, auch in New York, streng verboten. Das ominöse Bekleidungsgesetz bescherte den Ordnungshütern zudem eine faustdicke Handhabe zur Gewährleistung heteronormativer Sitten. Personen, die mit weniger als drei zu ihrem zugewiesenen Geschlecht passenden Kleidungsstücken angetroffen wurden, konnten jederzeit festgenommen werden.

Die Queen von Elizabeth

Eine arme Adelige, die Stonewall frequentierte und viel Farbenpracht mitbrachte, war Marsha P. Johnson. Marsha, die „Queen von Elizabeth“. Da kam die Afroamerikanerin her: Elizabeth, New Jersey. Die Hunderttausend-Seelen-Stadt liegt wenige Kilometer westlich von New York City – und gleichsam im Schatten der Freiheitsstatue.  Die 1945 geborene Marsha war eigentlich als Malcolm Michaels, Jr., getauft worden. Der Vater war Fließbandarbeiter, die Mutter verdingte als Haushälterin. Sie waren die kleinen Leute, die mit dem Ausklang des Zweiten Weltkrieges Teil des hoch angepriesenen American Dreams sein wollten. Auch als Schwarze.

Nach dem Schulabschluss führte für das eine der sieben Kinder der Weg freilich aus Elizabeth über den Hudson River. Mit 17 Jahren, 15 Dollar und einer Tasche voller Klamotten. Aufbruch in die grell beleuchtete Weltmetropole. Man denke an Lou Reed’s A Walk on the Wild Side. So ging es auch: Plucked her eyebrows on the way / Shaved her legs and then he was a she. Die Augenbrauen wurden gezupft, die Beine wurden rasiert. Aus Malcolm wurde Marsha. Der Begriff „Transfrau“ war damals Zukunftsmusik, wohl bemerkt. Marsha nannte sich beliebig „Dragqueen“ und sogar „Transvestite“, bevorzugte allerdings weibliche Pronomen für ihre Anrede.

Manhattan erwies sich für Marsha, die ständig auf der Suche nach einer Absteige war, als unerbittlich herausfordernd. Anfangs jobbte sie als Kellnerin in diversen Diners. Ein Malochen für Almosen und, mit Trinkgeld, ein paar Zerquetschten. Mit einer Mischung aus Naivität, Neugierde und nicht zuletzt Nützlichkeitsdenken wurde sie zur Prostituierten. Second-Hand-Klamotten mit erstklassiger weiblicher Eleganz, und zwar vom Pillenhut und der Perücke bis zu den Pumps hinunter. Das war Marsha. In der Millionenstadt schafft sie es mittlerweile, auf sich aufmerksam zu machen. Leider auch bei der Polizei. Denn sie wanderte regelmäßig in das engmaschige Netz der Sitte. Auch wenn sie selten beim Anschaffen ertappt wurde, reichte der Verdacht auf andere Vergehen, um sie festzunehmen: Herumlungern, Drogendelikte, Verstöße gegen das Bekleidungsgesetz, Erregung öffentlichen Ärgernisses und der Klassiker: Schwarz-Sein. Gemäß ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht wurde Marsha im Männergefängnis untergebracht.  Marsha wurde etliche Male ins berühmt-berüchtigte Krankenhaus Bellevue eingeliefert, wo sie mit Psychopharmaka  monatelang vollgepumpt wurde. Als sie wieder entlassen wurde, stolperte sie zunächst wie ein Zombie über das harte Pflaster New Yorks bis sie wieder Fuß fassen konnte und durch ihr vertrautes Stolzieren ins Auge stach.

Michaela Dudley eine Berliner Queerfeministin mit afroamerikanischen Wurzeln

In selben Asphaltdschungel versuchte auch Silvia Rivera zu Recht zu kommen. Silvia, Kind eines puerto-ricanischen Vaters und einer venezolanischen Mutter, war seit ihrem elften Lebensjahr auf der Straße unterwegs, und zwar als Transgender-Prostituierte. Irgendwann lernte die Latina die sechs Jahre ältere Marsha kennen. Marsha, leidenschaftlich leutselig, zeigte sich gerne bereit, Sylvia unter ihre Fittiche zu nehmen. Dabei mussten die beiden jedoch immer wieder Federn lassen. Ihr Nest waren die Piers im Greenwich Village. Manchmal übernachteten sie einem LKW an der Landungsbrücke am West-Side-Highway. Gleich um die Ecke lag wiederum Stonewall, Tingeltangel und tickende Zeitbombe zugleich.

Revolution und Rückschläge

Es war in der Hitze des Sommers, als die Hölle losbrach. Inmitten der Saison zwischen Gimme good Lovin und Gimme Shelter. Doch in diesen Tagen war der rührselige Schlager Over the Rainbow gefragt. Freitag, den 27. Juni 1969, fand die Beerdigung der in der queeren Community beliebten Diva Judy Garland in New York statt. Rund 22.000 Trauernde waren zugegen, mehr als die Hälfte von ihnen waren homosexuell oder transgender. Hunderte sammelten sich in Stonewall. Parallellaufend nahm ein neuer Chef der Sittenpolizei seinen Dienst vor Ort auf: Seymour Pine. Ihm war Stonewall ein Dorn in Auge. Seymour war jedoch unbestechlich – und so lief nichts wie geschmiert. Eine Razzia erfolgte ganz ohne Vorwarnung in der Nacht von Freitag auf Samstag. Die Polizei kam diesmal nicht aus dem 6., sondern aus dem 1. Bezirk. Lediglich acht Beamte waren es anfangs, nur einer davon in Uniform. Mit einem ordentlichen Durchsuchungsbefehl gewappnet, griffen sie knüppelhart durch. Allerdings konzentrierten sie sich nicht auf die Mafia, sondern sie knüpften sich die Gäste vor.

Schlagstöcke gegen Schädel. Es hat immer funktioniert. Die Brutalität der Polizei uferte aus. Doch die Kundschaft wehrte sich mit Entschlossenheit – und mit Gläsern, Stühlen und Tischen. Sogar mit einer als Rammbock verwendeten Parkuhr vom Bürgersteig. Zur Verstärkung rasten lauter grüne Minnas mit Blaulicht heran.

Mitten in dem Handgemenge befand sich die Varietékünstlerin Stormé DeLarverie. Stormé war die Tochter einer afroamerikanischen Mutter und eines weißen Mannes. Die Lesbe, die als Dragking und Dyke reüssierte, solle einem Polizisten einen Kinnhaken erteilt haben. Nicht minder gewaltsam wurde sie abgeführt. Als sie sich über ihre eng anliegenden Handschellen beschwerte, reagierte ein Cop mit einer rassistischen Beleidigung und mit seinem Schlagstock. Nun am Kopf blutend, appellierte Stormé an ihre Leidensgenossinnen: „Why don’t you guys do something?“

Marsha bewarf daraufhin ein Polizeiauto mit einem Stein. Es war nachts um halb eins, es war die Stunde von Marsha und es war der Stein des Anstoßes. Als Stormé außer Gefecht gesetzt wurde, stachelte Marsha die Protestierenden weiterhin an. Silvia kam dazu, wie auch andere BIPoC trans* Frauen wie Zazu Nova und Jackie Hormona. Um die Ecke in der Greenwich Avenue gab es das Frauengefängnis, das als „House of D“ bekannt war, wo übrigens in dieser Nacht Afeni Shakur, Mutter des späteren Rappers Tupac, ihre Haftzeit verbrachte. Die Insassinnen bekamen den Aufstand mit und zündeten Toilettenpapierrollen als Zeichen der Solidarität an und schmissen diese aus den Fenstern.

Es folgten sechs Tage voller heftiger Zusammenstöße. Unterdessen ertönten die Rufe „Gay Power!“und die Protesthymne We shall overcome rund um die Uhr. Stonewall war ein vielversprechen­der Vorstoß in die Ära des Aufbruchs. Der Sommer von 1969 wurde von den Liebes- und Friedensversprechen in Woodstock geprägt, wie auch von den Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg und von der Mondlandung. Himmelhohe Hoffnungen wurden entfacht, was die sich ausdehnende LGBTQ-Community betraf. Aber in den darauffolgenden Jahren landete man, wie heute, immer wieder auf dem Boden der Tatsachen.

Heutzutage, mehr als ein halbes Jahrhundert später, dürfen wir uns noch lange nicht auf der Zielgeraden wähnen. 1919 eröffnete der jüdisch-deutsche Arzt Magnus Hirschfeld sein Institut für Sexualwissenschaft als Zentrum für homosexuelles Leben in Berlin. 1933 wurde dieses von den Nazis geplündert. Drei Jahre später wurde der Rosa-Winkel als Kainsmal für homosexuelle KZ-Häftlinge eingeführt. Der aus der Kaiserzeit stammende Paragraf § 175 StGB galt bis 1994 in Deutschland. Noch wurde kein Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet, um das seit Anfang der 1980er Jahre geltende, menschenverachtende Transsexuellengesetz endgültig zu ersetzen. Und in den USA, Heimat von Stonewall, kämpfen Republikaner*innen und andere Moralapostel*innen hartnäckig für ein Rollback sämtlicher unter Blut, Schweiß und Tränengas erworbener queerer Rechte.

Stonewall war eigentlich auch ein intersektionaler Aufstand gegen den vorherrschenden Klassismus. Indem die multikulturelle Front Gay-Rights auf die Agenda brachte, griff sie ebenfalls die patriarchalischen Machtstrukturen einer cis-heteronormativ dominierten Gesellschaft an. Dasselbe System, das die Brutalität und die Korruption der Polizei erduldete, blockierte wie eine Steinmauer den Fortschritt in Richtung soziale Gerechtigkeit. Doch die Bewegung verkümmerte zu einer Interessenvertretung für den Erhalt der Privilegien von bessergestellten Mitstreitenden. Kurz gesagt, die Revolution fraß ihre Kinder: Marsha P. Johnson, Silvia Rivera und andere BIPoC-Hauptakteur’innen von Stonewall fielen dem Rassismus und der Transfeindlichkeit der Bewegung zum Opfer.

Marsha P. Johnson wurde kurzzeitig gefeiert. Als Ehrengästin nahm sie 1970 an der ersten Pride Parade in New York unter enthusiastischem Beifall teil, als Model bei Andy Warhol genoss sie ihre 15 Minuten Berühmtheit. Aber bald wurde sie von der eigenen Bewegung marginalisiert. Weiße Queers hatten das sagen und waren– wie übrigens die wertkonservativen Baptistenprediger der Bürgerrechtsbewegung – mitnichten dazu bereit, eine Schwarze trans* Frau und Sexarbeiterin zum Poster Child zu küren. Transfeindliche Frauenrechtlerinnen inner- und außerhalb der LGBTQ-Community agitierten laufend gegen Marsha und Silvia, obwohl die beiden queeren Heldinnen dem Feminismus ein weiteres Standbein beschert hatten. 1992 wurde die 46-jährige Marsha als Leiche aus dem Hudson River herausgefischt. Ein Jahrzehnt später starb Silvia Rivera mit 50 Jahren an Leberkrebs. Beide Frauen, obwohl sie eine Aktivistengruppe gegen Obdachlosigkeit gegründet hatte, waren häufig selbst ohne Unterkunft gewesen.

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