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Struktur, Geschichte und Hintergründe von Studentenverbindungen

Burschenschaft, Turnerschaft, Corps, Katholische Verbindung, Sängerschaft, Wingolf: Die Vielfalt der deutschen Studentenverbindungen ist verwirrend. Oft werden Verbindungsstudenten, die sich mit Traditionskappe und Band in der Öffentlichkeit zeigen, pauschal mit Burschenschaftern identifiziert ? ein doppelter Kurzschluss. Denn nicht jeder Verbindungsstudent ist Burschenschafter, und nicht jeder Verbindungsstudent trägt Farben.

 

Studentenverbindungen (gleichwertige Bezeichnung Korporationen) gibt es in verschiedenen Ausprägungen, Burschenschaften sind eine davon. Die verschiedenen Arten von Studentenverbindungen unterscheiden sich in Manchem voneinander, sie haben aber auch ihre Gemeinsamkeiten. Gemeinsamkeiten, die im 19. Jahrhundert ihre heute gültige Form erhalten haben und die Burschenschaften mit allen anderen Studentenverbindungen teilen.

Gemeinsamkeiten

Zu diesen Gemeinsamkeiten zählt zunächst die abgestufte Mitgliedschaft. Wer in eine Studentenverbindung eintritt, ist nicht sofort vollgültiges Mitglied. Zunächst ist man ? für ein oder zwei Semester ? Fux. Der Fux lernt, sich seiner Studentenverbindung anzupassen, er hat Unterricht beim Fuxmajor und einen speziellen Leibbursch für die Alltagsfragen. Nach Ablauf der Fuxenzeit erlebt er seine Burschung und wird zum Vollmitglied. Als Aktiver soll er in seiner Studentenverbindung Ämter bekleiden (Sprecher, Kassenwart etc.). Nach einigen Semestern wird der Aktive von derartigen Aufgaben entlastet und ist bis zum Ende seines Studiums Inaktiver.

Die Aufnahme der Berufstätigkeit geht mit einem erneuten Statuswechsel zum Alten Herrn einher. Die Alten Herren schließen sich eigens in Altherrenverbänden zusammen, sie tragen einen bedeutenden Teil zur Finanzierung eines Verbindungshauses bei ? dies ermöglicht es Studentenverbindungen in der Regel, potentielle Mitglieder mit billigen Wohngelegenheiten zu ködern.

Zu den Gemeinsamkeiten zählt auch das Lebensbundprinzip. Wer in eine Studentenverbindung eintritt, bleibt sein Leben lang Mitglied. Das Lebensbundprinzip ist die Ursache dafür, dass Studentenverbindungen Seilschaften herausbilden. Verbindungsstudenten, die im Berufsleben stehen (Alte Herren), protegieren jüngere Verbindungsmitglieder ? nicht selten mit Erfolg. So mancher Verbindungsstudent gelangt auf diesem Wege in hohe Positionen, was das Selbstbild der Studentenverbindungen stützt, die akademische Elite zu sein.

Zu den Gemeinsamkeiten, die alle Studentenverbindungen teilen, gehört schließlich die Fixierung auf überkommene Traditionen. Wer in eine Studentenverbindung eintritt, muss zunächst ihre tradierten Verhaltensregeln (Comment) erlernen. Dazu gehören auch Feierriten. So genannte Kneipen, bei denen nach festgelegten Regeln gesungen, gelacht und getrunken wird. Die Kneipe ist Erziehungsmittel und begünstigt den strukturellen Konservatismus der Studentenverbindungen. Das Mitglied lernt, sich in vorgegebenen Strukturen zu bewegen.

Unterschiede

Die allermeisten Studentenverbindungen sind Männerbünde. Wenige Korporationen haben in den 1970er Jahren begonnen, auch Frauen aufzunehmen ? manchmal einfach aus Mitgliedermangel und Finanznöten. Inzwischen gibt es auch einige Studentinnenverbindungen; sie nehmen nur Frauen auf, sind aber strukturell am Vorbild rein männlicher Studentenverbindungen orientiert. Abgesehen von Unterschieden, die sich aus überkommenen Geschlechterklischees ergeben: Verbindungsstudentinnen trinken oft Wasser und Sekt statt Bier.

Nicht alle Studentenverbindungen tragen Farbe (Kappe und Band), nicht alle tragen Zweikämpfe mit scharfen Waffen aus (Mensur). »Schlagende Verbindungen« nennt man diejenigen, deren Mitglieder Mensuren fechten ? schwere Verletzungen können die Folge sein. Im Gesicht zurückbleibende Narben heißen Schmiss, sie dienen Mitgliedern schlagender Verbindungen als ehrenhaftes Erkennungszeichen. Und schließlich: Viele Studentenverbindungen nehmen nur Deutsche auf. Oft zählt dabei nicht die Staatszugehörigkeit, sondern die Abstammung. Für manche Studentenverbindungen gelten Österreicher durchaus als Deutsche, Deutsche mit dunkler Hautfarbe jedoch nicht.

Statistik

In Deutschland gibt es ungefähr 1.000 Studentenverbindungen mit 22.000 studierenden Mitgliedern und 135.000 Alten Herren. Darunter befinden sich etwa 140 Burschenschaften mit insgesamt 19.000 Mitgliedern. Burschenschaften nehmen nur deutsche Männer auf, gewöhnlich keine Kriegsdienstverweigerer, tragen Farbe und schlagen zumeist auch Mensuren. 20 Burschenschaften bezeichnen sich als »deutsch«, obwohl sie in Österreich angesiedelt sind und überwiegend Österreicher als Mitglieder führen.


Dieser Text wurde uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt vom Antifaschistischen Pressearchiv und Bildungszentrum e.V. (apabiz)

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