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Rechter Lifestyle Was sind rechtsextreme Erlebniswelten?

Rechtsextremismus ist mehr als eine Ideologie – für überzeugte Anhänger_innen bestimmt er die ganze Gestaltung des Lebens. Menschen mit rechtem Lifestyle kaufen Nazi-Marken in rechten Läden, hören Musik mit rechtsextremen Texten, teilen antisemitische Witze auf Facebook, besuchen am Wochenede Demonstrationen und suchen auch räumlich die Nähe anderer Nazis – ob sie mit anderen rechtsextreme Familien aufs Land ziehen oder mit anderen „Identitären“ in eine Wohngemeinschaft. Umso ungestörter sie ihren rechtsextremen Lifestyle ausleben können, desto überzeugter sind sie von ihrer Ideologie – und desto aggressiver vertreten sie sie.

 
Rechtsextremer Lifestyle heißt, die Ideologie in möglichst allen Lebenslagen zu feiern (Ostritz 2018)

Rechtsextreme Erlebniswelten bieten Jugendlichen und (jungen) Erwachsenen Aktivitäten mit Eventcharakter, Freizeitgestaltung und ein gemeinsames Lebensgefühl in einem rechtsextremen
Kontext, kurz, sie ermöglichen, einen rechten Lebensstil ganzheitlich und durchgängig auszuleben.

Während „Lebenswelt“ in der Soziologie das alltägliche, den Menschen umgebende Umfeld bezeichnet, konstituieren sich „Erlebniswelten“ in spezifischen Kontexten. Rechtsextreme Läden, Treffpunkte, usw. bieten Raum sowohl für aus dem Alltag herausstechende Events als auch für einen alltäglichen rechtsextremen „Way-of-life“.

Unter dem Begriff „rechtsextreme Erlebniswelten“ lassen sich all jene Ausdrucksformen und Angebote zusammenfassen, in denen sich rechtsextreme Politik und Kultur so verbinden, dass Aktivist*innen und Sympathisant*innen der rechtsextremen Szene in ihnen sowohl politisch aktiv werden als auch im Kontext des Rechtsextremismus Unterhaltung finden können.

Die Verbindung alltagskultureller Angebote mit einer Struktur, die bei den Konsumenten keine verbindliche Organisationszugehörigkeit verlangt, ist gerade für viele rechtsextrem-orientierte Jugendliche attraktiv und sorgt für ihre weitere Politisierung und Bindung an rechtsextreme Szenen.

Auch älteren Aktivist*innen wird auf diese Weise ein Milieu geboten, in dem Unterhaltung, soziale Kontakte und gelegentlich auch Jobs gesucht und gefunden werden können. Die Verbindung von Freizeitgestaltung, Lebensgefühl und politischer Botschaft charakterisiert somit auch den zeitgenössischen Rechtsextremismus.

 

Was bedeutet rechtsextreme Infrastruktur?

Für die Schaffung rechtsextremer Erlebniswelten spielen auf Dauer angelegte Treff- und Anlaufpunkte eine wesentliche Rolle. Kneipen, Tattoostudios, Büro-, Lager-, Seminar- und Bandproberäume, Geschäfte und Imbisse sind wichtige Bestandteile rechtsextremer Strukturen und (Sub-) Kultur. Im Gegensatz zu temporären, oft jahreszeitlich gebundenen Treffpunkten wie etwa Parks oder öffentlichen Plätzen bieten sie eine dauerhafte Basis. In der Mehrheit sind die Nutzer*innen dieser Angebote keine organisierten Rechtsextremen, sie stimmen aber in Teilen rechtsextremen Weltbildern zu. Sie sind daher für rechtsextreme Aktivist*innen und Kader ansprechbar, die solche Treff- und Anlaufpunkte als Rekrutierungsfeld für personellen Nachwuchs nutzen.

Rechtsextreme Erlebniswelten und rechtsextreme Infrastruktur schaffen so ein soziokulturelles Milieu, in dem Jugendliche und junge Erwachsene rechtsextrem(-orientiert)e Lebensstile und Identitäten entwickeln können. Sie bieten Raum für Kontakte und Austausch unter Gleichgesinnten, sodass sich rechtsextreme Orientierungen oder Teilidentifikationen in einer Art „Freiraum“ zu eindeutigen politischen Identitäten festigen und radikalisieren können. Die in ihrer Art, Funktion und Wirkungsweise sehr unterschiedlichen Treff- und Anlaufpunkte werden dann zu einem Bestandteil der rechtsextremen Infrastruktur, wenn sie regelmäßig und mehrheitlich oder fast ausschließlich von rechtsextrem(-orientiert)er Kundschaft frequentiert werden oder wenn ihr Angebot auf diese Zielgruppe ausgerichtet ist. Es sind Orte, die nicht nur auf unterschiedlichste Art und Weise das Bedürfnis bedienen, einem rechten Lebensgefühl Ausdruck zu verleihen, sondern die zugleich auch auf personelle, materielle, finanzielle oder organisatorische Weise den Fortbestand der rechtsextremen Szene sichern.

Dazu kommen heute außerdem rechtsextreme Radikalisierungs-, Netzwerk- und Lifestyle-Angebote im Internet und in Sozialen Netzwerken, die auch lokale Szenen unterstützen und für Aktivitäten – oder Gewalttaten – zusammen bringen.

 

Dieser Text basiert auf  einem Auszug aus der Broschüre „Ladenschluss jetzt! – Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremer Infrastruktur“ der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin von 2010. Mit freundlicher Genehmigung der Autoren.

 

Die Broschüre „Ladenschluss jetzt! – Kommunale Handlungsstrategien im Umgang mit rechtsextremer Infrastruktur“ kann hier heruntergeladen werden:

| www.mbr-berlin.de/Materialien

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