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Jugendliche sind weniger islamfeindlich als Erwachsene

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Jugendliche und junge Erwachsene sind dem Islam gegenüber deutlich offener eingestellt, als über 25-Jährige. Das war eines der Ergebnisse der Studie "Deutschland postmigrantisch II". (Quelle: flickr / Creative Commons / Sozialfotografie StR)

Ein Interview mit dem wissenschaftlichen Mitarbeiter  Steffen Beigang, der die empirische Erhebung geleitet hat und maßgeblich an der Auswertung beteiligt ist.

Das Interview führte Johannes Riedlberger

Welche Ergebnisse der Studie halten Sie, bezogen auf Islamfeindlichkeit, für besonders nennenswert?

Die Studie zeigt, dass Jugendliche und junge Erwachsene dem Islam gegenüber deutlich offener eingestellt sind als über 25-Jährige. Besonders beachtlich fand ich dabei die unterschiedlichen Zustimmungswerte, wenn es um das Zugeständnis von Rechten geht. So befürworten etwa 70 Prozent  der 16-25-Jährigen das Recht von muslimischen Lehrerinnen, ein Kopftuch während des Schulunterrichts zu tragen. Bei den über 25-Jährigen sind das dagegen nur etwa 45 Prozent. Ähnlich verhält es sich beim Recht auf Moscheebau. Ungefähr 30 Prozent der Jugendlichen und jungen Erwachsenen fordern Einschränkungen beim Bau von öffentlich sichtbaren Moscheen in Deutschland. Bei den älteren ist die Ablehnung mit rund 45 Prozent deutlich höher. In beiden Fällen geht es um Rechte, die auf der grundgesetzlich garantierten Religionsfreiheit beruhen und damit allen Religionen gleichermaßen zustehen.  

Die Ergebnisse über den Umgang mit Muslimen in Deutschland können wir dabei als Gradmesser für den Umgang einer demokratischen Gesellschaft mit Minderheiten allgemein betrachten.

Über 25-Jährige beziehen ihr Wissen über Muslime vor allem aus medialen Quellen. Sehen sie einen Zusammenhang zwischen der Berichterstattung über Muslime und Islamfeindlichkeit?

Ja, auf jeden Fall. Es gibt ganz viele Studien die sich mit den vermittelten Muslimbildern auseinandersetzen, die tatsächlich vielfach negativ sind. Interessant ist an dieser Stelle, dass auch gerade die jungen Menschen ihr Wissen über Muslime in erster Linie aus Gesprächen mit Muslimen haben, während bei den älteren Menschen Medien eine deutlich wichtigere Rolle spielen.

Was kritisieren Sie an der Berichterstattung?

Die Berichterstattung über den Islam bedient sich häufig Stereotypen und ist sehr konfliktorientiert. Damit meine ich etwa die ständige Unterscheidung zwischen einem „uns“ und „den anderen“. Auch die Art und Weise, wie etwa über Terrorakte berichtet wird, kann dazu führen, dass der Islam und damit auch alle Muslime unter Generalverdacht gestellt werden, auch wenn das gar nicht die Intention der Berichterstattung war. Es fehlt oftmals einfach nur an Sensibilität und Bewusstsein darüber, wie bestimmte Beiträge wirken können und was bei den Zuschauern hängen bleibt.  

Jugendliche und junge Erwachsene sind die hauptsächliche Neonazi-Zielgruppe. Sehen Sie darin einen Widerspruch zu den Ergebnissen ihrer Studie?

Eigentlich nicht. Wenn wir von einer postmigrantischen Gesellschaft sprechen, dann gehen wir davon aus, dass die Gesellschaft anerkannt hat, dass sie eine Migrationsgesellschaft ist. Dieser Anerkennung folgt ein Aushandlungsprozess über Regeln und Bedingungen der Migration, aber auch über Rechte, Positionen und Zugehörigkeiten  im Zusammenleben wird gestritten. Dabei bilden sich verschiedene Pole. Auf der einen Seite stehen Inklusionsbefürworter, auf der anderen die Gegner. Zwischen diesen beiden Polen gibt es die breite, in beide Richtungen mobilisierbare Masse.  Natürlich versuchen auch rechtsextreme Gruppen die Jugendlichen anzusprechen und zu erreichen. Aber insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Jugendliche und junge Erwachsene im  Vergleich zu älteren Erwachsenen Migration, Migranten und deren Nachkommen deutlich aufgeschlossener gegenüber sind.

Rechtsextreme oder im konkreten Fall muslimfeindliche Einstellungen sind keinesfalls auf Jugendliche beschränkt. Auch Erwachsene teilen solche Meinungen, was wir also ebenso brauchen ist eine starke politische Bildung, die auch auf Erwachsene ausgerichtet ist.

Halten sie die Ressentiments gegenüber Muslimen für tatsächlich religionsbezogen, oder handelt es sich um religionsunabhängige, rassistische Vorurteile?

Auch wenn der Islam faktisch eine Religion ist, wird er in der Öffentlichkeit oftmals nicht als solche wahrgenommen. Vielmehr werden Muslime als Kategorie verwendet, die als etwas anderes, dem Deutschen oder dem Westlichen Gegenüberstehendes verwendet wird. Im Laufe der Zeit gab es einen Kategorienwechsel: Was früher noch Gastarbeiter oder Ausländer waren, sind heute Muslime. Diese Etablierung als Gegenbild wurde natürlich durch die Diskurse nach den Terrorakten des 11. Septembers 2001 verstärkt. Islamfeindliche Vorurteile beziehen sich nicht nur auf gläubige Muslime, sondern haben oftmals einen rassistischen Hintergrund.  Das Prinzip, nach dem Menschen nicht aufgrund ihres Handelns, sondern nur aufgrund einer Zuschreibung als „fremd“ wahrgenommen und abgewertet werden, ist das gleiche wie beim klassischen Rassismus.

Welche Rückschlüsse kann man aus den Ergebnissen ihrer Studie auf die Pegida-Bewegung ziehen?

Pegida ist ein Teil des Aushandlungsprozesses unserer postmigrantischen Gesellschaft. Die Bewegung gehört zum ausgrenzenden Pol und schafft es dabei zumindest teilweise, die mobilisierbare Mitte zu erreichen. Ich will nicht sagen, dass Pegida eine Notwendigkeit der Aushandlung ist, doch zumindest steckt dahinter eine gewisse Systemlogik.

Die Ergebnisse unserer Studie zeigen außerdem eindeutig, dass Pegida nicht die Mehrheitsmeinung vertritt, auch nicht in Ostdeutschland. So konnten wir in ersten Untersuchungen keine signifikanten Unterschiede in der Einstellung zu Muslimen zwischen ost- und westdeutschen Jugendlichen feststellen.

Was sind Ihre Handlungsempfehlungen an Staat und Gesellschaft, um Islamfeindlichkeit entgegenzuwirken?

Es ist wichtig, Wissen über und Kontakt zu Muslimen auszuweiten. Je mehr Wissen und Kontakt besteht, desto geringer sind islamfeindliche Einstellungen.  Zudem empfehlen wir, Schule, Polizei, Verwaltung und öffentlichen Dienst als „Scharniere der Gesellschaft“ stärker für das Thema Islam und Muslime zu sensibilisieren. Durch ihre täglichen Arbeitskontakte haben diese Meinungsträger die Möglichkeit, die breite Masse der Bevölkerung zu erreichen, und islamfeindlichen Einstellungen entgegenzutreten.  

Dazu gehört auch, dass Vielfalt in diesen Berufen sichtbar wird. Wir brauchen Beamte, Lehrer und Polizisten, die einen Migrationshintergrund haben, die Kopftuch oder Kippa tragen. Die Vielfalt religiöser Zugehörigkeiten, von Migrationsbezügen und unterschiedlichen Geschichten muss eine gesellschaftlich wahrnehmbare Selbstverständlichkeit werden.

Wir sollten mehr darüber nachdenken, was es eigentlich heißt, eine Einwanderungsgesellschaft zu sein und ein Leitbild dafür entwickeln. Darüber muss es eine politisch moderierte Debatte geben, an der Minderheiten, Politik, Wissenschaft und Medien beteiligt sind. Das Thema darf auf keinen Fall den Rechten überlassen werden.   

Was ist Ihre Prognose für die Zukunft? Wird sich Islamfeindlichkeit ausweiten oder verringern?

Das ist schwer zu sagen. Wir können keine sichere Aussage darüber treffen, ob die offeneren Einstellungen der Jugendlichen gegenüber Muslimen alters- oder generationenabhängig sind. Vermutlich aber eine Mischung aus beidem.  Wenn man aber davon ausgeht, dass in der Zukunft soziale Grenzen weiter abgebaut werden und Muslimen der Zugang zu gesellschaftlichen Schlüsselpositionen, und somit auch zur Teilhabe, erleichtert wird, dann wird ein gesellschaftlicher Normalisierungsprozess eingeleitet, der sich wiederum positiv auf die Einstellung gegenüber Muslimen auswirkt.

Foroutan, Naika/Canan, Co?kun/Schwarze, Benjamin/Beigang, Steffen/Kalkum, Dorina (2015): Deutschland postmigrantisch II – Einstellungen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu Gesellschaft, Religion und Identität, Berlin. 

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