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Die tiefere Dimension des Judenhasses

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Antisemitisches Plakat auf einer "Free Gaza"-Demonstration in Wien am 20.07.2014. (Quelle: picture alliance / Alex Halada / picturedesk.com)

Israelbezogener Antisemitismus schlägt in Gewalt um

Die Amadeu Antonio Stiftung beobachtet eine besorgniserregende Zunahme antisemitischer Vorfälle in den letzten Wochen. In Frankfurt und Dresden wurden in den letzten Tagen Synagogen beschmiert. In Berlin wurde ein Mann angegriffen, weil er einen Davidstern trug. In Hamburg und Bremen gab es antisemitische Übergriffe mit teils Schwerverletzten auf Demonstrationen mit Bezug zum Nahostkonflikt.

„Die Ereignisse der letzten Tage zeigen mal wieder deutlich, dass der israelbezogene Antisemitismus die derzeit gefährlichste Spielart des Judenhasses ist. Es kommt zu körperlichen Übergriffen, antisemitischen Sprechchören auf Demonstration, Angriffe auf Synagogen – und der gesellschaftliche Aufschrei bleibt aus. Dieses Schweigen verleitet diesem Antisemitismus erst seine gesellschaftliche Sprengkraft“, so die Vorsitzende der Stiftung, Anetta Kahane.

Rufe wie „Hamas, Hamas – Juden ins Gas!“ oder der Ausruf „Kindermörder Israel“ sind häufig auf Demonstrationen zu vernehmen. Diese Äußerungen zeigen, dass nicht die Politik Israels kritisiert wird, sondern dass der Staat mit dem Judentum gleichgesetzt wird. „Hier entlädt sich aggressiver Antisemitismus unter dem Deckmantel der Israelkritik“, erklärt Kahane.

„Seit mehr als 10 Jahren dokumentieren wir antisemitische Vorfälle. Die Chronik zeigt, dass antisemitische Einstellungen und Übergriffe immer genau dann zunehmen, wenn der Nahostkonflikt die Medien beherrscht.“ Das bestätigen regelmäßig auch Erhebungen zu menschenfeindlichen Einstellungen in der Gesellschaft. Antisemitismus ist nicht nur eine Ideologie der Rechtsextremen, sondern in der gesamten Gesellschaft verbreitet. „Wir brauchen ein gesellschaftliches Bewusstsein dafür, wann Kritik an der Politik Israels in antisemitische Ressentiments umschlägt und warum Israel zur Projektionsfläche für aggressive Vorurteile wird“, fordert Kahane.

Handlungsbedarf sieht sie nicht zuletzt bei der Bundesregierung: „Eine erste Maßnahme muss die Wiedereinsetzung einer  Expertenkommission des Bundestages sein, die jährlich einen Lagebericht zu Antisemitismus in Deutschland vorlegt“, fordert Kahane. Nur so könnten antisemitische Einstellungen zukünftig realitätsnaher abgebildet werden, um effektive Handlungsstrategien zu erarbeiten.

Die Chronik antisemitischer Vorfälle der Amadeu Antonio Stiftung kann unter folgendem Link eingesehen werden:www.amadeu-antonio-stiftung.de/die-stiftung-aktiv/themen/gegen-as/antisemitismus-heute/chronik-antisemitischer-vorfaelle-1/

 

Anetta Kahane hat zum Thema auch einen Kommentar in der Frankfurter Rundschau verfasst:

Die tiefere Dimension des Judenhasses

Den Antisemiten mit ihren Hassparolen geht es nicht um Gaza. Im Grunde geht es gegen die westliche Demokratie: Die libertäre Entwicklung in einer globalisierten Welt, durch die für immer mehr Gruppen Menschenrechte möglich werden, steht zur Debatte. Eine Kolumne von Anetta Kahane.

Am Wochenende kam es am Rande von Demonstrationen zum Gaza-Konflikt zu antisemitischen Ausschreitungen. Was vor zehn Jahren noch wie ein Zufall erschien, wird nun offen zelebriert: die Querfront von Linken, Rechten, Muslimen und vermeintlichen Antirassisten unter dem Banner der Hamas gegen Israel und die Juden. Gleichermaßen hysterisch wie diszipliniert, als ob es einen Ein- und Ausschaltknopf gebe, wallte der Hass gegen Juden auf, nur halbherzig verborgen hinter dem Wort Israel. Wer in Deutschland: „Schlachtet die Juden!“ oder „Jude, Jude, feiges Schwein“ oder „Brenn, Jude!“ lauthals durch die Straßen brüllt, der meint, was er sagt. Ich weiß es, genauso wie ein Schwarzer weiß, wann ihm Rassismus im Auge seines Gegenübers begegnet. Oder ein Moslem, wenn über seine angeblich genetisch bedingten Mängel diskutiert wird.

Wer sind die Antisemiten, Israelhasser und Hamas-Verteidiger dieser Tage? Meinem Eindruck zufolge geht es nicht um Gaza. Vermutlich ging es noch nie darum. Der Hass auf den Straßen hat eine tiefere Dimension. Antisemitismus, so heißt es bei den meisten vernünftigen Menschen, habe mit den Juden gar nichts zu tun. Er sei reine Projektion, ein Wahn, eine Theorie, um jemandem die Schuld geben zu können für alles, was es an Übel in der Welt gibt. Das ist richtig, und doch ist mit dem Antisemitismus heute etwas Jüdisches gemeint, das viele überfordert. Mit dem Judentum kamen die zehn Gebote, das Gesetz, das den Glauben an Naturgewalten und kollektive Bestrafung ablöste. Es entstand das Gewissen des Einzelnen, die Eigenverantwortung, das Individuum und damit die Voraussetzung für Demokratie und den Kampf um eigene Rechte.

Genau das ist es, was die Hamas ablehnt, denn das machen islamistische Fundamentalisten so. Sie wollen keine moderne Gesellschaft. Und die anderen? Den Rechten gefällt das autoritäre Menschenbild der Hamas, für sie sind es stolze Nationalisten, die wissen wo Frauen, Kinder, Schwule und Juden hingehören. Was treibt Linke in diese antiemanzipatorischen Arme? Ihre Version von Anti-Imperialismus mit seinen Ungerechtigkeiten. So sehen das auch viele Antirassisten. Der Gaul Antikapitalismus auf seinen antisemitischen Beinen muss sie nun alle tragen: religiöse Fundamentalisten, Linke, Nazis, Neurechte und so manche Aktivisten gegen Rassismus. Doch wohin? Weiterlesen: www.fr-online.de

Mehr im Internet:

| Querfront gegen Israel (Störungsmelder, ZEIT online).

| „Israel-Kritik“ revisited: Die Judenhasser lassen die Maske fallen (Publikative.org)

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