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Zum 10. Geburtstag Antisemitismus und die AfD

Björn Höcke, Landeschef der AfD in Thüringen, vor dem Logo der Partei
Am rechten Rand der AfD: Björn Höcke (Quelle: picture alliance/dpa/Michael Reichel)

Am 6. Februar 2013 wurde die Alternative für Deutschland (AfD) in Oberursel (Hessen) gegründet. 2023 feierte die Partei, die inzwischen im Bundestag und in den meisten Landtagen sitzt, ihr 10-jähriges Bestehen. Rückblickend ist eine inhaltliche und personelle Radikalisierung der Partei festzustellen. Die inhaltliche Radikalisierung ist insbesondere in der Asyl- und Migrationspolitik zu beobachten: Das Thema spielte in der Gründungsphase fast keine, seit 2015/16 eine zentrale Rolle.

Die Radikalisierung gipfelte hier in der Rede vom „Großen Austausch“ (bzw. „Bevölkerungsaustausch“). Das ist ein antisemitischer Verschwörungsmythos: Eine geheime, meist jüdische Elite wolle, so lautet der Mythos, die Deutschen mittels niedriger Geburten- und hoher Einwanderungsrate vernichten.

Selbst der damalige AfD-Bundesvorsitzende Alexander Gauland thematisierte den „Bevölkerungsaustausch“. Gauland sagte Mitte 2018: „Die Bundeskanzlerin will vollendete Tatsachen schaffen, bevor sie abtritt. Sie will den Bevölkerungsaustausch unumkehrbar machen. Wir sollen als Volk und als Nation allmählich absterben.“ Der „Bevölkerungsaustausch“ ist keineswegs der einzige antisemitische Verschwörungsmythos. Ein besonders populäres Beispiel liefert die Rede von den „globalistischen Eliten“.

Das Bild einer geheimen Elite, die über Geld und Macht verfügt, hat einen judenfeindlichen Charakter: 2022 veröffentlichte Leo Roepert einen Artikel zum Elitenbild in der politischen Rechten. An zwei Beispielen – einem Aufsatz von Alexander Gauland und einer Rede des ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump – zeigt er, „dass die Gegenüberstellung von Volk und Elite […] die semantische Struktur des Antisemitismus reproduziert und daher als strukturell antisemitisch bezeichnet werden muss“.

In den Beispielen werden die Codes „die Globalisten“ bzw. „die globalistischen Eliten“ thematisiert. Zwar stellt Roepert fest, es mache einen „erheblichen Unterschied, ob ‚globalistische Eliten‘ oder ‚die Juden‘ als Feindbild adressiert werden“. Allerdings betont er: „Wenn aber alle semantischen Elemente des Antisemitismus vorhanden sind, ist es nur noch ein kleiner Schritt hin zum manifesten Antisemitismus, der sich explizit gegen Jüdinnen und Juden richtet.“ Struktureller Antisemitismus ist ein Antisemitismus (noch) ohne Juden.

Roepert untersuchte einen Aufsatz von Gauland, der im Februar 2019 unter dem Titel „Populismus und Demokratie“ in der rechtsextremen Zeitschrift Sezession erschienen ist. Erst im Oktober 2018 hatte Gauland einen Gastkommentar mit dem Titel „Warum muss es Populismus sein?“ in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) platziert. In beiden Texten wird deutlich, wie nah „die Globalisten“ und „die Juden“ einander sind. Mehr noch: Im FAZ-Gastkommentar wurden Parallelen zu einer Rede Adolf Hitlers sichtbar.

Gauland hatte geschrieben: „Diese globalisierte Klasse sitzt in den international agierenden Unternehmen, in Organisationen wie der UN, in den Medien, Start-ups, Universitäten, NGOs, Stiftungen, in den Parteien und ihren Apparaten, und weil sie die Informationen kontrolliert, gibt sie kulturell und politisch den Takt vor.“ Im Nachgang wurde auf die Nähe dieser Überlegung zu einer Rede von Adolf Hitler hingewiesen. Der hat am 10. November 1933 in Berlin-Siemensstadt nämlich gesagt: „Es ist ein kleine wurzellose internationale Clique, die die Völker gegeneinander hetzt, die nicht will, daß sie zur Ruhe kommen. Es sind das die Menschen, die überall und nirgends zuhause sind, sondern die heute in Berlin leben, morgen genauso in Brüssel sein können, übermorgen in Paris und dann wieder in Prag oder Wien oder in London, und die sich überall zu Hause fühlen.“ Ob „globalisierte Klasse“ oder „wurzellose internationale Clique“: Die antisemitisch konnotierte Erzählung ist identisch.

Der Fall Höcke

Die Rede von „Globalisten“ und „globalistischen Eliten“ ist nicht nur im Kontext der Asyl- und Migrationspolitik, sondern auch in der Corona- und Ukrainepolitik zu beobachten. Stets wird eine Elite verantwortlich gemacht, einen Geheimplan zu verfolgen, um die Menschheit und das Weltgeschehen zu kontrollieren. Ein Politiker spricht immer wieder von den „globalistischen Eliten“: der Thüringer AfD-Fraktionsvorsitzende Björn Höcke.

In der Geschichte der AfD war Höcke wohl einer der ersten Parteifunktionär*innen, die ihre antisemitische Haltung zur Shoah, zur millionenfachen Ermordung der europäischen Jüdinnen*Juden, offen ausgesprochen haben. In seiner Dresdner Rede vom 17. Januar 2017 bezeichnete er die Gedenkkultur als „dämliche Bewältigungspolitik“, das Berliner Shoah-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ und die Rede Richard von Weizsäckers zum „Tag der Befreiung“ als „Rede gegen das eigene Volk“.

Zudem beklagte Höcke die angeblich „nach 1945 begonnene systematische Umerziehung“ und forderte eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“. Der Geschichtsrevisionismus ist kein Randphänomen in der Partei. Im Gegenteil: Die „erinnerungspolitische Wende“ wurde schon 2016 im AfD-Grundsatzprogramm verankert. Dort heißt es: „Die aktuelle Verengung der deutschen Erinnerungskultur auf die Zeit des Nationalsozialismus ist zugunsten einer erweiterten Geschichtsbetrachtung aufzubrechen, die auch die positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte mit umfasst.“

Am 24. Februar 2023 verwendete Höcke die antisemitische Chiffre der „Globalisten“ im Rahmen einer Demonstration von AfD und PEGIDA in Dresden. Etwa 800 Menschen besuchten die Demonstration. Höcke sagte in seiner Rede, Deutschland sei „nicht souverän“, sondern ein „fremdbestimmtes“ und „teilbesetztes Land“. Es herrsche ein „erstarrtes Besatzungsrecht“.

Mit Blick auf Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen; Bundesaußenministerin) und Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP; Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen Bundestag) sagte er: „Die Baerbocks dieser Republik, die Strack-Zimmermanns dieser Republik, diese ganzen globalistischen Handpuppen – das sind Kriegstreiber!“ Höcke behauptete, nicht nur Deutschland, sondern auch die USA seien „fremdbestimmt“. Er sagte: „Auch Amerika, auch die USA sind ein fremdbestimmtes Land, genau wie Deutschland, fremdbestimmt von einer kriegsgeilen, globalistischen Elite, die unsere Länder in die Irre führt, die die Menschen manipuliert und die uns für die Zukunft nichts Gutes will und dieser Elite müssen wir das Handwerk legen.“

Der Antisemitismus verwebt sich mit dem Antiamerikanismus. Das Zitat der strukturell antisemitischen Erzählung enthält die Aufforderung, gegen die „globalistische Elite“ vorzugehen. Zu Verschwörungsideologien gehören Vernichtungsfantasien. Gleichzeitig verwebt sich das antisemitische Bild mit misogynen Vorstellungen: Gerade Frauen haben in der Erzählung häufig hinter sich stehende „Strippenzieher“, die als machtvoll gekennzeichnet werden, die Frauen dabei als macht- und willenlose Puppen.

Die Dresdner Rede muss im Kontext von Höckes ideologischer Grundsatzrede vom 3. Oktober 2022 in Gera betrachtet werden. Am „Tag der Deutschen Freiheit“, wie er verlautbarte, sprach der AfD-Politiker über sein Weltbild. Die USA sei eine „raumfremde Macht“ und habe das Ziel, „unseren Kontinent“ zu spalten. Russland hingegen sei „der natürliche Partner unserer Arbeits- und Lebensweise“. Schließlich hätten Deutschland und Russland eine „ähnliche seelische Prägung“.

Der Ukrainekrieg sei ein „Kampf zwischen den USA und Russland“. Dieser Kampf sei die „eigentliche Auseinandersetzung“; eine Auseinandersetzung um ein Menschenbild. Höcke sagte im Wortlaut: „Einerseits dort im Osten Europas diejenigen, die jeden historischen Baustein prüfend in die Hand nehmen, die Respekt vor der Leistung ihrer Vorfahren haben, die den Wandel unterstützen, durchaus, aber dort am Alten festhalten, wo es sinnvoll ist, die in jedem Volk und jeder nationalen Ordnung etwas sehen, das bewahrt werden muss.

Völker und Nationen also, die sich der globalen Einheitszivilisation nicht unterwerfen wollen. Und andererseits der neue Westen, […] das neue Regenbogen-Imperium, das seine Fahnen auch in unserm Land selbstbewusst vor den Regierungsgebäuden und Parlamenten, vor unseren Schulen und Universitäten, vor unseren Kindergärten und Supermärkten hochgezogen hat.

Dieses Regenbogen-Imperium mit den USA als Kernland und der Bundesrepublik Deutschland als wichtigstem Brückenkopf in Europa ist es, das die Zerstörung der Nation durch Masseneinwanderung forciert […].“ Der böse Westen, der gute Osten: Höcke verbreitet die Erzählung, der Westen wolle nationale Identitäten abschaffen und eine „globale Einheitszivilisation“ erschaffen. Ein Mittel zur „Zerstörung der Nation“ sei die „Masseneinwanderung“. Es wird erneut sichtbar, welch tragende Rolle der antisemitische Verschwörungsmythos vom „Großen Austausch“ spielt. Am Ende sprach Höcke, wenn er zwischen dem „neuen Westen“ (bzw. dem „globalistischen Westen“) und dem „traditionellen Osten“ entscheiden müsste, würde er den Osten wählen.

Der Fall Maaßen

Zum 10-jährigen Bestehen der AfD gehören die Versuche (rechts-)konservativer Akteur*innen im Umfeld der Partei, antisemitische und verschwörungsideologische Narrative in die „Mitte“ der deutschen Gesellschaft und Parteienlandschaft zu tragen. Das prominenteste Beispiel: Hans-Georg Maaßen. Der Jurist war von 2012 bis 2018 der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ende Januar 2023 wurde das CDU-Mitglied zum Vorsitzenden der Werteunion gewählt. Die Werteunion ist, nach eigenem Bekunden, „die konservative Basisbewegung innerhalb der CDU/CSU“. Sie hat den Anspruch, das „konservative“ Profil der CDU/CSU zu stärken. Jedoch ist sie keine offizielle Parteigliederung der Union. Ihr wird immer wieder Nähe zur AfD nachgesagt.

Hans-Georg Maaßen fiel in der Vergangenheit durch die Verwendung antisemitischer Chiffren auf. So sprach auch Maaßen von den „Globalisten“. Am 10. Januar 2021 twitterte er: „Globalisten und Sozialisten (und Teile der Kirchen) sind in einem Punkt der gleichen Meinung: die Verachtung der gewöhnlichen Menschen, ihres bürgerlichen Lebens, ihrer Kultur und ihres Anspruchs, ihr Leben selbst bestimmen zu wollen.“

In der öffentlichen Debatte um die Frage, inwiefern „die Globalisten“ eine antisemitische Chiffre sind, kommentierte Esther Schapira in der Jüdische Allgemeinen: „Wer antisemitische Chiffren […] nutzt, trägt zum folgenschweren Tabubruch bei.“ Mit Maaßen geht eine Strategie der AfD auf: Die Grenzen des Sagbaren wurden verschoben. Im Januar 2023 erklärte Maaßen: „Kein Wort von dem, was ich je gesagt habe, war antisemitisch.“ Die Behauptung, er sage „die Globalisten“ und meine „die Juden“, sei eine „unverschämte Unterstellung“. Schließlich seien „die Globalisten“ gar keine antisemitische Chiffre. Es blieb nicht sein letztes Spiel mit dem Tabubruch.

Am 13. Januar 2023 twitterte Maaßen, „die treibenden Kräfte im politischen- medialen Raum“ strebten einen „eliminatorischen Rassismus gegen Weiße“ an. Drei Tage später, am 16. Januar 2023, behauptete er in einem Interview, es gebe eine „grün-rote Rassenlehre, nach der Weiße als minderwertige Rasse angesehen werden und man deshalb arabische und afrikanische Männer ins Land holen müsse“.

Die Äußerungen, die u.a. von Felix Klein, dem Beauftragten der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und im Kampf gegen Antisemitismus, und vom Zentralrat der Juden in Deutschland aufgrund der NS-Verharmlosung scharf kritisiert wurden, führten zum CDU-Parteiausschlussverfahren. Das Verfahren läuft noch (Stand: 05/2023).

Die deutsche Gesellschaft hat mit der AfD im Laufe des vergangenen Jahrzehnts einen enormen Rechtsruck erlebt. Nicht nur in den Parlamenten, sondern auch in der Sprache. Antisemitische Codes und Erzählmuster finden Wege in die „Mitte“ der Gesellschaft. Hierbei spielt auch der Antiamerikanismus eine starke Rolle. Akteur*innen wie Hans-Georg Maaßen haben – das geht aus seinen Äußerungen hervor – eine Art Scharnierfunktion, um das Gedankengut in die „Mitte“ zu tragen. Die Folgen sind verheerend.

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