Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Ethnische Datenbank Italien will „Zählung“ von Sinti und Roma

Von|
Salvini posiert mit einem antiziganistischen Shirt, das die Räumung von Roma-Siedlungen verspricht (Quelle: Screenshot Twitter)

 

 

Etwa 170.000 Sinti und Roma leben in Italien. Die Mehrheit von ihnen hat einen festen Wohnsitz und einen regulären Job. 43 Prozent von ihnen sind italienische Staatsangehörige. Italiens neuer Innenminister will nun offenbar eine genaue Zahl haben. Er fordert die Zählung aller in Italien lebender Roma. Um ein Bild der Situation zu bekommen, müsse man „wieder das tun, was früher Zählung genannt wurde“, sagte der Chef der rechtsextremen Lega Nord laut italienischen Nachrichtenagenturen. Die­jeni­gen mit italieni­schem Pass müsse man „unglück­licher­weise be­halten“.

 

Datenbanken dienten als Grundlage für die NS-Deportation von Juden, Sinti und Roma

Die Idee der Volkszählung einer Minderheit erinnert zurecht viele Menschen an die NS-Verfolgung. Während der Hitler-Diktatur wurden Juden sowie Sinti und Roma zunächst in Deutschland entrechtet und diskriminiert. Anschließend ermordete Nazi-Deutschland mit Hilfe seiner verbündeten systematisch Angehörige von Minderheiten.

Auch zu jener Zeit dienten zuvor angelegte Datenbanken als Grundlage der „Ethnischen Säuberung“. So wurden beispielsweise Burgenlandroma in der Zwischenkriegszeit in Österreich für eine eigene „Zigeunerkartothek“ fotografisch registriert. Wenig später diente dies als Grundlage für die NS-Deportation.

 

Purer Antiziganismus bei der Lega Nord

Doch der Vorstoß der rechtsextremen Lega Nord ist nicht neu in der Nachkriegszeit: Bereits 2008 plante Berlusconis Innenminister Roberto Maroni (Lega Nord) eine Registrierung aller Roma, samt Erfassung der Fingerabdrücke der Kinder. Internationale Proteste konnten den Plan damals weitestgehend verhindern. Sogenannte Sonderkommissare in Rom, Mailand und Neapel führten dennoch eine nunmehr fotografische Erfassung der Roma durch. In den Siedlungen lebende Nicht-Roma wurden nicht erfasst. Die italienische Justiz erklärte diese systematische ethnische Registrierung 2013 für rechtswidrig. Dabei sind Vorstöße zu Registrierung in Europa keineswegs neu, wie unter anderem auf dem Blog „Roma-Service“ vermerkt wird.  

 

Ethnische Sondererfassung von Sinti und Roma in Deutschland bis 2001

Die bayerische Polizei hat 1899 eine „Zigeunerzentrale“ eingerichtet, den „Nachrichtendienst für die Sicherheitspolizei in Bezug auf Zigeuner“. Hier liefen Daten aus ganz Deutschland zusammen. Unter  wechselnden Namen agierte diese Behörde auch nach dem Holocaust an 500.000 Sinti und Roma weiter. Deutsche Behörden nutzen auch nach 1945 weiterhin nationalsozialistische „Rasseforschungs“-Akten etwa für polizeiliche Zwecke und bauten zur weiteren Datenerfassung die „Landfahrerzentrale“ in Bayern als Nachfolgeinstitution der NS-„Zigeunerzentrale aus”, bis sie schließlich 1970 wegen Grundgesetzwidrigkeit offiziell aufgelöst wurde. Doch erst im Oktober 2001 wurde die letzte verbliebene ethnische Sondererfassung von Sinti und Roma in bayerischen Polizeiberichten offiziell eingestellt.

 

Geheime Akten in Schweden und Frankreich

In Schweden wurden bis 2013 etwa 4.000 rechtschaffene Roma (auch Minderjährige) in einer geheimen Polizeiakte erfasst. In Frankreich führte die Polizei bis Ende 2007 eine geheime Roma-Abstammungskartei samt DNA-Proben. In Schweden und Italien handelte es sich um illegal angelegte und heimlich geführte Datenbanken der Polizei. Salvini geht es hingegen um eine offene Erfassung einer Ethnie.

 

„Bettlerdatenbank“ in Österreich

Seit 2015 gibt es in Oberösterreich eine „Bettlerdatenbank“. In Niederösterreich wurde diese 2016 beschlossen. Die „Bettlerdatenbank“ fußt auf einer Sondergesetzgebung, die Menschen allein aufgrund ihrer Anwesenheit und ihrer Herkunft verdächtigt. Der Pauschalverdacht des „gewerbsmäßigen“ Bettelns und die Annahme von „der Bettelmafia“ zugehörigen „Clans“, entspringen einem rassistischen Diskurs. Denn nicht selten wird Roma synonym zu Bettler verwendet. Das antiziganistische Framing des europäischen Betteldiskurses hat diese Stigmatisierung erst möglich gemacht. Genau das sehen wir auch in dem aktuellen Vorstoß Salvinis.

 

Hauptsache Provokation?

Auf Twitter äußerte er sich zu der Empörung die seine Forderung – sicherlich bewusst – ausgelöst hat: „Jemand spricht von ‚Schock‘. Warum??? Ich denke auch an die armen Kinder, denen Diebstahl und Illegalität beigebracht wird.“

Erst vor knapp einer Woche erkläre der auf AfD-Pfaden wandelnde Horst Seehofer zur Sicherung der Außengrenzen die „Achse der Willigen“: Eine Kooperation zwischen Berlin, Wien und Rom. Eine „Achse Berlin-Rom“ gab es bereits 1936. Damals zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini. Das faschistische Italien unter Diktator Benito Mussolini begann nach Bildung der „Achse Berlin-Rom“ ebenfalls mit der Verfolgung seiner jüdischen Bürger ab 1938.

 

Mehr zum Thema Antiziganismus auf Belltower.News:

Antiziganismus im Film: Die Produktion von rassistischen Stereotypen“Nellys Abenteuer“ – ein zutiefst rassistischer KinderfilmBrandanschläge auf Roma-Familien in Plauen und kaum jemanden interessiert es

Weiterlesen

Antiziganismus2

Antiziganismus in Rumänien

Rassismus gegen Roma und andere Minderheiten findet sich auch heute in allen Schichten der rumänischen Gesellschaft, nicht nur am rechten Rand. Institutioneller Rassismus bei Behörden, Justiz oder Polizei ist die Regel und nicht die Ausnahme. So wurden im September 1993 im siebenbürgischen Dorf Hadareni unter polizeilicher Duldung drei Roma gelyncht und dreizehn Häuser von Roma in Brand gesteckt. Die Aufklärung des Pogroms wurde anschließend behindert. Michael Lausberg beleuchtet die historische Kontinuität in der Diskriminierung von Roma in Rumänien.

Von Michael Lausberg

Von|
Eine Plattform der