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„Patriotisches Steetwork“ Wie die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ in die Jugendarbeit drängt

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Am Bierstand des IB-"Festivals" 2018 (Quelle: BTN)

 

In letzter Zeit ist es relativ ruhig geworden um die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ (IB): Große Aktionen finden fast nicht mehr statt. Auch der klägliche Versuch, die eigene faschistische Ideologie auf einem Festival in Dresden vorzustellen, wirkte mit den wenigen Besucher*innen eher kläglich, denn erfolgreich. Und wenn die IB dann doch wieder auf eine Hausfassade klettert und dort ein Banner runter hängen lässt, berichten die Medien in der Regel nicht mehr hysterisch davon. Mit Sicherheit tragen auch die Account-Sperren der Social-Media-Kanäle der wichtigsten IB-Kader und der wichtigsten IB-Projekte dazu bei, dass es gerade so ruhig um die Rechtsextremen scheint.

Doch all das sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass die IB bei Weitem nicht inaktiv ist. Statt auf den medialen öffentlichen Raum zu setzen, geht sie nun in den ländlichen Raum. Auf dem Vortrag „Nazis in der sozialen Arbeit: Eroberung des sozialen Raums“ in Berlin warnte das österreichische Recherchekollektiv „Mensch Merz“ davor, dass diese angebliche „Bewegung“ verstärkt in die Jugendarbeit eindringe. Ziel der rechtsextremen Sozialarbeit ist die faschistische Indoktrinierung von jungen Menschen.

 

„Halle ist Subkultur, die Steiermark ist Gegenkultur“

Nach Recherchen von „Mensch Merz“ sucht die IB ganz gezielt nach weggebrochener Infrastruktur der sozialen Arbeit in ländlichen Regionen. Dort werden dann Ortsgruppen gebildet, um den Jugendlichen auf dem Land mehr oder weniger attraktive Angebote zu liefern. Diese Angebote bestehen unter anderem aus Wanderungen zur Landschaftserkundung, Camping- und Grill-Abenden und Sportveranstaltungen. In Österreich werden darüber hinaus auch noch Schießübungen mit hochkalibrigen Waffen für die Jugendlichen organisiert. Das ist in der rechtsextremen Ideologie der IB auch nur folgerichtig. Schließlich sei nach der zugrundeliegenden Verschwörungserzählung des „Bevölkerungsaustausches“ der weiße deutsche Mann der letzte Bewahrer und Verteidiger des deutschen Volkes. Viele junge Menschen auf dem österreichischen Land werden sprichwörtlich von der IB zu ihren Aktivitäten abgeholt – mit dem Bus.

 

Dort wo Sozialarbeit zurückgefahren wird, werden Rechtsextreme aktiv

Die IB sucht sowohl in Österreich, als auch in Deutschland gezielt nach ländlichen Regionen, in denen Jugendarbeit nicht mehr stattfindet. Angesichts des stetig schrumpfenden Angebots für junge Menschen auf dem Land ist es recht einfach, leerstehende Gebäude für die rechtsextremen Zwecke zu finden. Aus Dankbarkeit, dass sich überhaupt wer der jungen Menschen annimmt, wird die politische Gesinnung selten kritisch betrachtet. Einen Ursprung des Problems sieht „Mensch Merz“ darin, dass jugendliche Gruppen im öffentlichen Raum als Problem wahrgenommen werden.

In der österreichischen Steiermark ist eine der aktivsten Regionalgruppen der IB-Österreich tätig. Nicht unwesentlich dazu beigetragen hat das im April 2016 gegründete Bildungszentrum „Verein für nachhaltige Völkerverständigung und Jugendarbeit“ in Graz. Angemietet wurde das Gebäude durch den FPÖ-Gemeinderat Heinrich Sickl.

 

IB-Kaderschmiede: „Institut für Staatspolitik“

Doch auch in der „Denkfabrik“, dem „Institut für Staatspolitik“ (IfS) in Thüringen, setzen führende Wortgeber der sogenannten „neuen“ Rechten in Deutschland, wie Götz Kubitschek, seit geraumer Zeit auf die Indoktrinierung des Nachwuchs. Das IfS  veranstaltet regelmäßig sogenannte „Akademien“. Mittlerweile sind hier nur noch Teilnehmer*innen unter 35 Jahren erwünscht. Während dieser Schulungen werden junge Menschen mit den Grundlagen der rechtsextremen Ideologie der „neuen“ Rechten ausgestattet. Wie ein Strategiepapier der IB zeigt, dürfen nur diejenigen IBler sich an medienwirksamen Aktionen beteiligen, die eine gewisse Anzahl an IfS-Akademien besucht haben. Daher ist die Bedeutung des IfS als Kaderschmiede für den rechtsextremen Nachwuchs nicht unbedeutend.

„Ein Prozent“ will offenbar völkische Siedler*innen ausbilden

Und auch die Förderplattform „Ein Prozent“, ebenfalls von Kubitschek, rückt derzeit etwas von der Raumnahme im Urbanen ab und versucht ein ländliches Netzwerk aufzubauen. Im November 2017 startete die rechtsextreme „NGO“ ihr Projekt „Kulturraum Land“. Gesucht wurden Menschen mit passender Ideologie die auf das Land ziehen wollen, sowie Mäzen, die das ganze finanzieren. Auf der Webseite heißt es: „Gesucht werden vorrangig junge Familien und Helfer mit landwirtschaftlicher und/oder handwerklicher Ausbildung, die sich vorstellen könnten, sich auf dem Land eine neue Existenz aufzubauen.“ Das klingt ziemlich stark nach völkischen Siedler*innen und passt gut in die Strategie, speziell auf dem Land Jugendliche anzusprechen und ideologisch auszubilden.

 

Auch „Der III. Weg“ setzt auf den Nachwuchs

Dass rechtsextreme Gruppen soziale Bereiche im ländlichen Raum genau dort besetzen, wo sich öffentliche Sozialarbeit zurückzieht, ist dabei keine Erfindung der sogenannten „neuen“ Rechten. Auch die Neonazi-Partei „Der III. Weg“ nimmt Kinder und Jugendliche immer stärker ins Visier. Nachdem in einem Stadtteil der sächsischen Stadt Plauen die Jugendarbeit eingestellt wurde, versuchte „Der III. Weg“ diese Lücke zu füllen, indem sie Veranstaltungen anboten, die sich speziell an junge Menschen richteten. Im März dieses Jahres wurden hier beispielsweise ausschließlich Minderjährige von knallharten Neonazis in Selbstverteidigung ausgebildet.

 

„Casa Pound“ als Vorbild der „Identitären Bewegung“

Doch als Vorbild der sozialen Ausrichtung der IB dient nicht „der III. Weg“, sondern die italienische „Casa Pound“ (CPI). Diese Mussolini-verehrende Bewegung versucht seit ihrer Gründung 2003 die eigenen faschistischen Positionen durch soziales Engagement „normal“ erscheinen zu lassen. Mittlerweile gibt es nach eigenen Angaben rund 120 soziale Zentren der CPI im ganzen Land. Obwohl die „Casa Pound“ für einen „Faschismus für das dritte Jahrtausend“ eintritt, ist sie staatlich als gemeinnützige Organisation anerkannt.

In den 2000ern gab es durch die CPI zunächst Hausbesetzungen, später wurde Infrastruktur geschaffen und niederschwellige Unterstützung für Jugendliche in sozialen und medizinischen Notlagen angeboten – natürlich immer nur für Menschen die in das eigene menschenverachtende Weltbild passen. Die „Division Soziales und Medizin“ arbeitet mit ausgebildeten Erzieher*innen und Krankenpfleger*innen. Das geht so weit, dass es Jugendzentren mit ausgebildeten Sozialarbeiter*innen gibt, in denen nachmittags Arbeitslose beraten und abends rechtsextreme Konzerte organisiert werden.

Dass die Strategie der „Identitären Bewegung“, ein ähnliches Modell aufzubauen wie in Italien, aufgehen könnte, sehen wir beispielsweise an den Auswirkungen der „Wiking Jugend“ (WJ), die bis zu 500 Mitglieder hatte. Im Sinne der nationalsozialistischen „Hitler Jugend“ wurden hier Kindern bereits in frühesten Jahren NS-Ideologie eingetrichtert. Als die WJ 1994 verboten wurde, ersetzte sie die „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) mit einer ähnlichen Programmatik. 2008 wurde auch diese faschistische Jugendorganisation verboten. Viele jetzt aktive Neonazi-Kader haben in jungen Jahren die ideologische Schulung dieser Organisationen durchlaufen.

 

„Wir brauchen einen antifaschistischen Grundkonsens in der Jugendarbeit“

Damit nicht wieder eine Generation junger Menschen mit rechtsextremer Ideologie herangezogen wird, darf die Jugendarbeit, besonders im strukturschwachen Raum, nicht weiter zurückgefahren werden. Sozialarbeiter*innen rät „Mensch Merz“ dazu, als Prämisse auf die Gleichwertigkeit aller Menschen zu setzen, statt rassistische Äußerungen der Jugendlichen zu tolerieren. Die Solidarität mit Opfern rassistischer Ideologien ist wichtiger als Neutralität. Um dem aktuellen Bestreben der „neuen“ Rechten entgegenzuwirken, müsse sich die  Jugendarbeit auf einen antifaschistischen Grundkonsens einigen.

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