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Monatsüberblick September 2016 Antisemitismus

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Antisemitismus beim "Compact-Magazin" untersuchten die Sozialwissenschaftler Kevin Culina und Jan Fedders. (Quelle: Screenshot Facebook, 04.10.2016)

 

Zusammengestellt von Carina Schulz

 

Holocaust-Überlebender Max Mannheimer ist tot

Der Holocaust-Zeitzeuge Max Mannheimer ist im Alter von 96 Jahren gestorben. Jahrzehntelang engagierte sich Mannheimer öffentlich gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus.

Mannheimer und sein Bruder waren die einzigen in ihrer Familie, die Auschwitz überlebten. Die beiden Geschwister kamen nach Dachau, von dort sollten sie am 30. April Richtung Süden gebracht werden. Sie sollten ermordet werden, doch auf dem Weg befreiten alliierte Truppen die Gefangenen.

Seit 1986 berichtete Mannheimer immer wieder von seinem Leben und seinen Erfahrungen unter dem nationalsozialistischen Regime. 1990 übernahm er das Amt als Präsident der Lagergemeinschaft Dachau, fünf Jahre später wurde er Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) würdigte Mannheimer als „Mahner gegen das Vergessen und großen Versöhner“ (Tagesschau).

 

Historiker Jacob Eder: Helmut Kohl verbreitete antisemitische Vorurteile

Der Historiker Jacob Eder hat in einer preisgekrönten Doktorarbeit Helmut Kohls damalige Geschichtspolitik zum Holocaust analysiert. Eder kommt zu dem Schluss: 40 Jahre nach Kriegsende waren antisemitische Vorurteile und Klischees unter CDU-Politiker_innen und Konservativen der Bundesregierung verbreitet. Auch der damalige Kanzler Helmut Kohl war nach Eders Recherchen nicht frei davon (Spiegel).

„Kohl und seine Leute haben sich einerseits stets eindeutig von den Verbrechen des Nazi-Regimes distanziert“, sagt Eder im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung. „Allerdings äußerte man sich im Umfeld des Kanzlers vorurteilsbeladen und negativ über Juden.“ So übernahm Kohl 1983, kurz nach seiner Wahl zum Kanzler, das einschlägige Klischee, „führende Juden in den Vereinigten Staaten“ instrumentalisierten die Schoa für politische Zwecke. Eder belegt auch, dass sich der Kanzler abfällig über den KZ-Überlebenden Elie Wiesel geäußert hat. Wiesel hatte den US-Präsidenten öffentlich dazu aufgefordert, einen Besuch mit Kohl bei einem Friedhof in Bitburg abzusagen, auf dem auch Kämpfer der Waffen-SS begraben sind. Der Kanzler nannte ihn daraufhin „Herr Wiesel, der aus Auschwitz kam“.

 

Publikation: Antisemitismus bei „Compact“

Die Sozialwissenschaftler Kevin Culina und Jan Fedders untersuchen in ihrem Buch „Im Feindbild vereint“ den Antisemitismus bei „Compact“, einer zentralen Zeitschrift der Neuen Rechten. Die Zeitschrift habe sich innerhalb kurzer Zeit zu einem der relevantesten Querfrontorgane im deutschsprachigen Raum entwickelt, begründen die beiden ihr Interesse an „Compact“.

Culina und Fedders analysieren in ihrer Arbeit verschiedene Compact-Artikel und zeigen so, welchen zentralen Stellenwert antisemitische Codes in der Berichterstattung des Magazins spielen. „Während also der offen neonazistische Antisemitismus bisweilen aus politischen Diskursen ausgegrenzt wird, haben sich gewisse Artikulationsformen für antisemitische Ressentiments herausgebildet, welche zwar auf das starke Fortbestehen von antisemitischen Positionen in der Gesellschaft verweisen, aber nicht immer als solche (an)erkannt werden und daher bis weit in die selbst ernannte bürgerliche ‘Mitte’ hineinreichen“, schreiben die Sozialwissenschaftler (Freitag).

 

Antisemitismus in der (Offenen) Jugendarbeit: Was braucht die gute Praxis?

Die „ju:an – Praxisstelle antisemitismus- und rassismuskritische Jugendarbeit“ befragt Sozialpädagog_innen der (Offenen) Jugendarbeit jährlich nach den aktuellen Bedarfen aus der Praxis. Dass Antisemitismus und Rassismus Themen der Jugendarbeit sind und bleiben, zeigen die Ergebnisse der aktuellen Befragung: So machen 40 Prozent der befragten Sozialpädagog_innen in ihrer Praxis Erfahrungen mit Äußerungen gegen Juden und Jüdinnen, 44 Prozent mit Äußerungen gegen Muslim_innen und 60 Prozent mit Äußerungen gegen Geflüchtete (Netz gegen Nazis).

 

Große Anfrage an Senat in Bremen: Keine Zunahme antisemitischer Tendenzen

Grüne und SPD wollten in einer großen Anfrage an den Senat wissen, wie stark der Antisemitismus in Bremen ist, ob sich antisemitische Strömungen in den vergangenen Jahren verstärkt haben und welche Maßnahmen und Strategien der Senat dem entgegensetzt. Die Antwort des Senats: Ja, in Bremen gibt es Antisemitismus. Die Antisemitischen Strömungen nehmen aber zumindest nicht zu. Hintergrund der Anfrage von Grünen und SPD ist zum einen der konstant hohe bundesweite Anteil von etwa 35 Prozent Antisemitismus in Deutschland, zum anderen antisemitische Aktionen speziell in Bremen. Zuletzt fiel der Pfarrer einer evangelischen Gemeinde dadurch auf, dass er sich in einer Mail an einen Journalisten der Jerusalem Post selbst als Antisemit bezeichnete (taz).

 

AfD I: AfD in Baden-Württemberg nach Antisemitismus-Streit wieder vereint

Die Landtagsfraktionen AfD und Alternative für Baden-Württemberg (AFB) sind auf dem Weg der Wiedervereinigung. Auf einer Klausurtagung einigten sich die Mitglieder  darauf, in den kommenden Wochen Schritte für die erneute Zusammenführung auszuhandeln. Der frühere gemeinsame Fraktionschef Jörg Meuthen wurde auf der Tagung bereits mit „hoher Zustimmung“ der Abgeordneten der Rest-AfD sowie der abgespaltenen ABW zum neuen Vorsitzenden gewählt (Zeit).

Damit vereint sich die Gruppe um Jörg Meuthen wieder mit denen, die (auch öffentlich) den Antisemitismus von Wolfgang Gedeon nicht so schlimm finden. Als die Fraktion keine Zweidrittelmehrheit zustande gebracht hatte, um den durch antisemitische Äußerungen aufgefallenen Abgeordneten Gedeon aus der Fraktion auszuschließen, war Meuthen mit 13 weiteren Abgeordneten ausgetreten und hatte die ABW-Fraktion gegründet (NgN berichtete).  

Mit der formellen Wiedervereinigung will man noch bis Oktober warten. Dann bliebe noch genug Zeit für AfD und ABW, um einen Untersuchungsausschuss zu Linksextremismus einzusetzen. Der Landtag hat laut Geschäftsordnung einen Ausschuss einzusetzen, wenn zwei Fraktionen das fordern. Die Geschäftsordnung sagt bislang nichts darüber, ob die Mitglieder der zwei Fraktionen der gleichen Partei angehören dürfen, wie das bei AfD und ABW der Fall ist (Stuttgarter Zeitung).

 

AfD II: Antisemitismus-Vorwürfe gegen Neusser AfD-Politiker Günter Weinert

Wegen antisemitischer Äußerungen auf seiner Facebook-Seite hat die AfD-Gruppe in der Landschaftsversammlung Rheinland ihren Vorsitzenden Günter Weinert ausgeschlossen. Nach Angaben der AfD-Gruppe soll Weinert einen Facebook-Post geteilt haben, in dem Angela Merkel als „zionistische Jüdin“ bezeichnet wird (Jüdische Allgemeine).

Weinert, der auch Vorsitzender der AfD-Fraktion im Neusser Stadtrat ist, weist die Vorwürfe zurück. Er spricht von einer Intrige gegen sich: Die Äußerungen seien von Unbekannten auf seine Facebook-Seite gesetzt worden. „Ich habe Anzeige erstattet und meine Facebook-Seite mit Hilfe eines Fachmanns gelöscht“, sagte Weinert der Rheinischen Post. Sein Mandat will er behalten, gegen den Ausschluss hat er Einspruch erhoben. Auch an seinem Plan, für die AfD in den NRW-Landtag zu wollen, hält er fest.

 

Hildesheim: HAWK- Dekanin nach Antisemitismus-Vorwürfen zurückgetreten

Bereits seit Wochen sorgt das Seminar „Soziale Lage der Jugendlichen in Palästina“ an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim (HAWK) für Streit. Der Dozentin des Seminars wird vorgeworfen, antiisraelische und antisemitische Inhalte propagiert zu haben (NgN berichtete).

In einer Diskussionsveranstaltung in Hannover wurde das Seminar erstmals öffentlich thematisiert. Mehr als 250 Zuhörer_innen verfolgten die Debatte um das Seminar, die von der Dozentin Rebecca Seidler initiiert worden war. Im Mittelpunkt des Podiums stand HAWK-Präsidentin Christiane Dienel, die versuchte, das Seminar vor dem Vorwurf des Antisemitismus in Schutz zu nehmen. Methodische Mängel und der naive Umgang mit problematischem Material würden alleine nicht reichen, um ein Seminar als Ganzes als antisemitisch zu brandmarken. Dass das Seminar grundlegende Qualitätsmängel aufwies, räumte sie aber ein (Jüdische Allgemeine).

Zuletzt zeigte sich Dienel einsichtig. Der Fakultät habe es am Gespür im Umgang mit den Vorwürfen gemangelt. Dekanin Christa Paulini, die für das Seminar verantwortlich war, trat schließlich zurück.

Die Dekanin habe sich auf die Dozent_innen verlassen und sie als Präsidentin  habe sich auf die Dekanin. Die ganze Hochschule müsse in einen Lernprozess einsteigen (NDR).

 

Jüdische Gemeinde Düsseldorf ehrt Engagement gegen Antisemitismus

Angela Genger, ehemalige Leiterin der Mahn- und Gedenkstätte Düsseldorf, erhält in diesem Jahr die Jofes-Neuberger-Medaille der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf. Der Preis wird am 10. November beim Jahresempfang der Gemeinde verliehen. Genger wird für ihr jahrelanges Engagement gegen das Vergessen und gegen Antisemitismus geehrt. Durch den Aufbau der Gedenkstätte habe sie dafür gesorgt, dass die Opfer des Nationalsozialismus aus Düsseldorf und Umgebung nicht in Vergessenheit gerieten, teilte die Gemeinde mit (WDR).

 

Benefizkonzert in Erlöserkirche Schwabing wegen Antisemitismus-Vorwurf abgesagt

In der Erlöserkirche in Schwabing war ein Benefizkonzert des Pianisten Michael Leslie mit dem Titel „Alle Menschen sind frei“ geplant, das kurzfristig wegen des Vorwurfs, die Veranstaltung sei antisemitisch, abgesagt wurde. Die Veranstalter wollten das Konzert als Plattform für antisemitische Hetze nutzen, so der Vorwurf.  Die Veranstalter gehörten dem Verein „Salam Shalom Arbeitskreis Palästina-Israel“ an und würden die internationale Kampagne „Boycott, Divestment and Sanctions“ (BDS) unterstützen, die zum wirtschaftlichen und kulturellen Boykott Israels aufruft. Bevor die evangelische Kirche sich positionierte, sagte der Pianist das Konzert ab: Er sei nicht bereit, „Spielball in irgendwelchen Machenschaften zu werden, faule Kompromisse einzugehen oder gar mir vorschreiben zu lassen, mit wem ich bei meinen Benefizkonzerten zusammenarbeite“, begründete er die Entscheidung (Süddeutsche Zeitung).

 

Fußball I: Frankfurter Fußballverein suspendiert antisemitischen Spieler

Mit einem eindrucksvollen Signal hat sich der Frankfurter Fußballverein BSC SW 1919 gegen Antisemitismus in den eigenen Reihen ausgesprochen. Am Wochenende suspendierte der Klub einen seiner Spieler, nachdem dieser sich im Anschluss an ein Spiel mit Makkabi Frankfurt antisemitisch geäußert hatte.

„Antisemitisches, rassistisches und fremdenfeindliches Gedankengut als auch deren Äußerung tolerieren wir in keinster Weise und verachten es zutiefst. Aufgrund dessen haben wir den betroffenen Spieler trotz Einsicht und Reue seinerseits und einer in Kauf genommenen Schwächung der Mannschaft sofort vom Verein ausgeschlossen“, teilte Schwarz-Weiß 1919 mit (Jüdische Allgemeine).

 

Fußball II: Antisemitische Parolen bei „Legia Warschau“

Nach 21-jähriger Abwesenheit spielte „Legia Warschau“ das erste Mal wieder bei der Champions League mit. Nach dem Spiel gegen „Borussia Dortmund“ wurde „Legia Warschau“ vorgeworfen, antisemitische und rassistische Parolen gerufen zu haben. Bereits Mitte der ersten Halbzeit kam es zu einem Angriff von Legia-Hooligans auf den Dortmunder Fanblock. Nach dem frühen und deutlichen 0:3-Rückstand schallten aus der Kurve laute Anti-BVB-Gesänge auf Deutsch. Sie sollen „Jude, Jude BVB!“ gesungen haben. „Legia Warschau“ wehrte sich nach dem Spiel in einer Pressemitteilung gegen die Antisemitismus-Vorwürfe: Die Fans hätten in Wahrheit „Nutte, Nutte BVB!“ gerufen (WAZ).

 

 

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