Christoph Richter, einer der Autoren der Studie „Demokratieferne Räume? Wahlkreisanalyse zur Bundestagswahl 2017“, erläutert die Ergebnisse auf einer Pressekonferenz in Berlin: Oft werden gute Wahlergebnisse für Rechtsaußen-Parteien mit sozio-ökonomischen Faktoren begründet. Den Menschen in den Regionen mit hohen Stimmanteilen für die AfD ginge es finanziell nicht gut, ihrer Region auch nicht, und aus Protest werde dann eine rechtspopulistische Partei gewählt. Richter und sein Co-Autor Lukas Bösch kommen dagegen zu einem anderen Ergebnis: Es gibt keinen starken Zusammenhang zwischen sozio-ökonomischen Faktoren und politischer Wahlentscheidung. Das heißt, es gibt eben auch Regionen, denen es im Schnitt ökonomisch nicht gut geht, die aber trotzdem nicht AfD gewählt haben, und es gibt auch ökonomisch starke Regionen, in denen trotzdem hohe AfD-Erfolge zu verzeichnen waren.
AfD überzeugte Nichtwähler_innen
Stattdessen weisen die Autoren in der Studie des „Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft” (IDZ) in Jena nach, dass eine politisch-kulturelle Dimension diese Unterschiede erklärt: Die AfD ist in Regionen stark, wo es zuvor viele Nichtwähler_innen gab. Es ist der AfD also offenkundig geglückt, Menschen an die Wahlurne zu bringen, die sich zuvor von demokratischen Prozessen – wie einer Wahl – abgekoppelt hatten.
Normalisierung rechtsextremer Positionen macht AfD wählbar
Und die AfD ist in Regionen stark, in der bei der Bundestagswahl 2013 viele Menschen NPD gewählt haben. Damit ist nicht gemeint, dass die NPD-Wähler_innen nun AfD gewählt hätten – diese Wählerwanderung gab es, das war aber nicht das Interesse der Forscher, weshalb sie die Daten um Wechselwähler bereinigt haben. Vielmehr verweisen die Zahlen darauf, so Christoph Richter und IDZ-Direktor Matthias Quent, dass in Kommunen, wo die NPD bereits in Kommunalparlamenten sitzt, ein Normalisierungsprozess eingetreten ist. Rechtsaußen-Parteien erscheinen wählbarer, ihre teilweise demokratiefeindlichen Thesen sagbarer. Kommt dann auch noch wenig Gegenwehr von demokratischen Parteien und Zivilgesellschaft, erscheinen Rechtspopulist_innen trotz Angriffen auf im Grundgesetz verbriefte Freiheit und auf die Menschenrechte wählbar. Interessanter Nebeneffekt dieser Erkenntnisse: Dass viele Geflüchtete 2015/2016 nach Deutschland gekommen sind, war nicht die Ursache der Wahlentscheidung. Autor Christoph Richter sagt: „Im Umkehrschluss heißt das, dass eine härtere Politik der Abschottung gegenüber Geflüchteten nicht den Effekt haben wird, dass dann weniger Menschen AfD wählen.“
Auch Tradiertes kann verändert werden
Aussagen kann die Studie nur über Räume, in diesem Fall Wahlkreise, treffen – Einstellungen einzelner Wähler_innen wurden nicht untersucht. Doch wie im eigenen Lebensumfeld über Themen debattiert wird, hat großen Einfluss auf individuelle Entscheidungen. IDZ-Direktor Matthias Quent erläutert: „In manchen Wahlkreisen kann man eine Kontinuität von extrem rechten Einstellungen seit der Zeit des Nationalsozialismus erkennen.“ Zu befürchten sei, dass hier die AfD unter bisherigen Nichtwähler_innen noch mehr potenzielle Zustimmung finden könne. „Unter den aktuell demokratiefernen Nichtwähler_innen sollten die demokratischen Parteien ihre Bemühungen verstärken, Nichtwähler_innen zu erreichen.“
Was aber gar nicht so leicht ist, wie Wolfgang Thierse (SPD) weiß – der ehemalige Bundestagspräsident und Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung war zur Pressekonferenz eingeladen, um die Studienergebnisse zu kommentieren. Um die Nichtwähler_innen zu erreichen, sieht er einen inhaltlichen Diskurs mit AfD-Themen als unerlässlich an. Er konstatiert ein Bedürfnis nach Heimat, eine Modernisierungsmüdigkeit und Veränderungsängste: „Gerade im Osten Deutschlands haben Menschen einen dramatischen Veränderungsprozess erlebt, der auch viele Verlierer hervorgebracht hat. Denen müssen wir zeigen, warum Demokratie und Mitbestimmung für sie arbeitet, wenn sie sich beteiligen.“ Gerade an seine Partei, die SPD, hat Thierse den Wunsch: „Wir müssen aufhören, Identitätsfragen abzuwehren. Politische Kultur ist mehr als ein Verweis aufs Grundgesetz. Wo es Entheimatungs-Befürchtungen gibt, müssen wir vermitteln, dass wir Land und Leute lieben und für sie Politik machen!“
Praktisch, so ergänzt Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, hilft eine Positionierung gegen rechtsextremes, rassistisches, abwertendes Gedankengut – sei es durch lokale Autoritäten wie Bürgermeister, als auch durch zivilgesellschaftliche Projekte und Unterstützungsstrukturen: „Aktuell werden solche Projekte durch Bundesprogramme des Familienministeriums gefördert. Dies auch in Zukunft zu gewährleisten, wäre eine wichtige Aufgabe.“ Denn natürlich seien Regionen, auch wenn sie Tradierungen und Normalisierungen rechten Gedankenguts aufweisen, immer auch veränderbar.