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Antisemitismus im Kulturbetrieb Alles von der Kunstfreiheit gedeckt?

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(Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

Der idyllische Ort direkt am größten See Berlins hat eine beunruhigende Ambivalenz. Einerseits ist da die Schönheit dieses Ortes mit seinem weitläufigen Garten samt riesigen Pappelbäumen, aufgeräumten Terrassen und gepflegtem Englischen Rasen. Auf der anderen Seite ist das Haus der Wannsee-Konferenz untrennbar verbunden mit einer schrecklichen Vergangenheit. Einer Vergangenheit, die deutsche Struktur- und Ordnungsliebe mit einer brutalen und antisemitischen Ideologie zusammenbrachte und letztendlich in der industriellen Massenvernichtung der europäischen Jüdinnen*Juden mündete.

Die Bildungsstätte Haus der Wannsee-Konferenz, der Zentralrat der Juden, das American Jewish Committee Berlin und die Amadeu Antonio Stiftung luden am 11. Mai zu der Veranstaltung „Alles von der Kunstfreiheit gedeckt? – Aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Kunst und Kultur“ ein, in der das Spannungsverhältnis zwischen Antisemitismus und Kunstfreiheit thematisiert wurde. Die Notwendigkeit für eine solche Veranstaltung lag schon lange vor der documenta fifteen auf der Hand. Allerdings haben die antisemitischen „Kunstwerke“ auf der documenta in Kassel der schwierigen Debatte bundesweit erheblichen Vorschub gegeben.

Antisemitismus in der bildenden Kunst, in Theaterstücken oder der Musik wird oftmals mit dem Verweis auf die Kunstfreiheit relativiert. Diese hängt wie ein Damoklesschwert über jedweder Art der Kritik und gibt den Verantwortlichen die Möglichkeit, sich ihrer Verantwortung für antisemitisches Verhalten zu entziehen.

Eine Kultur des Antisemitismus

Zusammen mit der documenta fifteeen hat die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ die mangelnde Sensibilität zum Thema Antisemitismus in Kunst und Kultur bloßgelegt. Antisemitismus hat in der Branche Tradition, eine, die von Richard Wagner über Joseph Beuys bis in die Moderne reicht. Das zeigt ein Film der Künstler Leon Kahane und Fabian Bechtle vom „Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst“ der Amadeu Antonio Stiftung.

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Die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ von zahlreichen Kultur- und Wissenschaftsinstitutionen hatte im Jahr 2020 darauf verwiesen, dass die Ausgrenzung von lokalen und internationalen Stimmen aus dem kritischen Dialog schädlich für eine Demokratie sei. Speziell sind damit antisemitische, antizionistische und/oder israelfeindliche Kunstprojekte gemeint. Diesen werde, so die Initiative, missbräuchlich Antisemitismus vorgeworfen, was wichtige Stimmen beiseite dränge und kritische Positionen verzerre. Damit legt die Initiative allerdings zweierlei Maß an: Denn während „kritische“ Kunst immerzu mit der Kunstfreiheit verteidigt wird und deshalb ihren rechtfertigen Platz in der Kunst hat, haben jüdische Künstler*innen große Probleme in Deutschland ihre Perspektive zu schildern, sie werden ausgeschlossen und müssen Konsequenzen fürchten, wenn sie eine pro-jüdische oder pro-israelische Position beziehen.

Mia Alvizuri Sommerfeld, die bis vor kurzem an einer Berliner Bühne in der Produktion arbeitete, berichtete in einem Panel zum Thema „Weltoffenheit und Antisemitismus im deutschen Gegenwartstheater“ eindrücklich von diesen Ängsten, die sie, aber auch zahlreiche Kulturschaffende aus ihrem Umfeld, haben. Nach interner Kritik an BDS sei sie von einer Abteilungsleiterin genötigt worden, sich unter anderem „zur israelischen Besatzung“ zu positionieren. Mit Unterstützung der Beratungsstellen Ofek und RIAS entschied sie sich schließlich, zu kündigen. Heute arbeitet sie beim „Institut für Neue Soziale Plastik“ und setzt sich mit anderen Verbündeten und Betroffenen gegen Ausschlüsse und Antisemitismus in Kunst und Kultur ein. Sie ist auch im Projekt „Reclaim Kunstfreiheit“ aktiv, das vom Zentralrat der Juden und dem Antisemitismusbeauftragten des Bundes Felix Klein gefördert wird und eine mehrtägige Veranstaltung mit konkreten kulturpolitischen Forderungen im Oktober plant.

In der Intersektionalitätsdebatte werden Jüdinnen*Juden nicht mit gedacht, denn sie gelten vermeintlich als weiß und privilegiert. Können sie deshalb nicht Opfer von Diskriminierung sein? Wie der Ort der Veranstaltung weist auch der Konnex zwischen Antisemitismus und Kunst eine gewisse Ambivalenz auf. „Heute geht es permanent um Identität“, sagt Karin Stögner von der Universität Passau in einem Panel, moderiert vom Berliner Antisemitismusbeauftragten Samuel Salzborn: „Interessant ist doch, dass ausgerechnet Jüdinnen und Juden keine Identität haben sollen.“ Dieser Unterschied sei erstmal notwendig, dass Antisemitismus in Kunst und Kultur möglich ist, so Stögner weiter. Für die „kritischen“ Positionen gelte die Kunstfreiheit, für jüdische oder pro-israelische Meinungen gilt sie nicht. Eine Doppelmoral, die kein anderes Urteil erlaubt als das des Antisemitismus.

Zu oft wiegt Kunstfreiheit schwerer als die Menschenwürde

Denn auch die Kunst- und Meinungsfreiheit hat Grenzen, diese Grenzen werden durch einen Artikel im Grundgesetz abgesteckt, der um einiges früher steht als der, auf den sich die Initiator*innen der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ beziehen. Diesen wichtigsten Artikel unseres Grundgesetzes anzuerkennen und zu achten, sollte gerade Menschen in Machtpositionen ein wichtiges Anliegen sein. In deutschen Theatern, die oftmals immer noch streng hierarchisch strukturiert sind, „gibt es oftmals eine Linie – welche geprägt ist von den Intendant*innen – und darin kommt die jüdische Perspektive kaum bis wenig vor“, so Benno Plassmann vom „Institut für Neue Soziale Plastik e.V.“ auf der Bühne. Doch gerade bei Intendanten wiegt die Kunstfreiheit wohl schwerer als die Menschenwürde; und gerade bei ihnen ist die erwähnte Doppelmoral skandalös offenkundig.

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Das sind nur einige der Kernaussagen der Diskussion am Wannsee. Sie soll der Ausgangspunkt einer größeren Debatte sein. Denn die Beiträge machen, teilweise schmerzhaft, deutlich, dass die Kunst- und Kulturszene erst am Anfang einer zwingend notwendigen Auseinandersetzung steht. Josef Schuster vom Zentralrat der Juden fasst es in seiner Keynote-Rede am Abend rückblickend auf die documenta so zusammen: „Wenn uns das vergangene Jahr eines gelehrt hat, dann ist es, dass das alles so nicht weitergehen kann!“ Samuel Salzborn bleibt kritisch, aber optimistisch. In seiner Rede sagt er: „Ich habe die große Hoffnung, dass die Kunst- und Kulturszene die Wendung zu einer Selbstkritikfähigkeit, auch was die Auseinandersetzung mit Antisemitismus angeht, in Gang setzen, fortsetzen, intensivieren wird.“

Dieser Handlungsauftrag ist keiner für die Kulturlandschaft allein, sondern richtet sich an Zivilgesellschaft über Intendant*innen und Kurator*innen bis hin zu Politiker*innen und Regierenden gleichermaßen. Denn wenn ein Fazit gezogen werden kann, ist es dieses: Antisemitismus ist keine Kunst.

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